Der berühmteste Sohn der Stadt →Pesaro bekannte,
nur dreimal in seinem Leben Tränen vergossen
zu haben: Einmal beim Misserfolg seiner ersten Oper, dann beim Geigenspiel des legendären Paganini und schließlich,
als ihm bei einem Bootsausflug ein getrüffelter Truthahn ins Wasser fiel.
Die in dem Zitat ausgedrückte Liebe des Schöpfers von Belcanto-Opern wie Der Barbier von Sevilla und Aschenputtel zum guten Essen wurde gewürdigt, indem eine der berühmtesten Zubereitungen eines Rinderfilets unter dem Namen Tournedos Rossini in die klassische Küchenliteratur Eingang fand. Dabei entstand diese kulinarische Namensgebung nicht in der italienischen Heimat Rossinis, sondern in Frankreich.
Der junge Gioachino erhielt als Sohn eines Blechbläsers und einer Sängerin eine solide Instrumental-, Gesangs- und Kompositionsausbildung. Nach der Kindheit an der Adriaküste verbrachte er einen Großteil seiner Jugend in der Emilia-Romagna und in deren Hauptstadt Bologna, also in der Heimat von →prosciutto di Parma, →parmigiano reggiano, →mortadella, →aceito balsamico und zahllosen anderen Köstlichkeiten. Kein Wunder, dass er schon früh neben dem musikalischen Talent auch seine Geschmacksnerven zu nutzen lernte.
Rossinis Eltern waren wegen ihrer Berufe des Öfteren mehrere Tage nicht zuhause. In Bologna überließen sie den kleinen Gioachino dann gerne der Obhut einer benachbarten Metzgersfamilie. Dabei lernte er natürlich dieses Handwerk, die Mortadella und alle anderen Produkte kennen – und lieben! Später sagte er, wenn er nicht Komponist geworden wäre, hätte er sicher den Beruf eines macellaio bzw. →norcino erlernt, das Metzgerhandwerk.
Die ersten großen Erfolge als Komponist feierte er auf den Opernbühnen in Venedig, bevor er u.a. in Wien und London zum internationalen Star wurde. In Paris schließlich engagierte ihn König Charles X als Chef der Comédie-Italienne, da war er gerade 32 Jahre alt. Bis auf wenige Unterbrechungen blieb er der französischen Hauptstadt treu und lebte mit seiner zweiten Ehefrau, einer Französin, im Stadteil Passy, der heute zum vornehmen 16e arrondissement gehört. Die Grabstätte auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise, wo er 1868 beigesetzt wurde, ist bis heute stets mit Blumen geschmückt, obwohl Rossinis sterbliche Überreste schon 1887 nach Italien überführt wurden.
In Paris soll Rossini, auch als humorvoller Zeitgenosse bekannt, eines Tages einen maître d’hôtel mit einer ungewöhnlichen Bestellung in Verlegenheit gebracht haben: Er wünschte sich ein Steak aus dem Rinderfilet, zubereitet mit →foie gras und →truffes. Als er dem feinschmeckerischen Komponisten die sonderbare Komposition servieren sollte, habe der Ober ganz verschämt den anderen Gästen den Rücken zugedreht, auf Französisch tourné le dos, um den Teller vor deren Blicken zu verbergen. Auf diese Weise, so erzählt es das französische Standardwerk Larousse gastronomique, sei das Filetsteak sowohl zur Bezeichnung tournedos als auch zum Namen des italienischen Musikers gekommen.
Aber der Begriff Tournedos ist wohl schon vor Rossini entstanden: So mancher Fisch- oder Fleischhändler auf dem Markt hat schon mal eine nicht mehr ganz so frische Ware im hinteren Teil seines Standes ins Zeitungspapier gewickelt, also dem Kunden den Rücken zugewendet, um den Betrug kaschieren zu können. Oder er hat, so eine andere Lesart, das eine oder andere Stück in der Auslage auf den Rücken gedreht, um wenigstens die noch einigermaßen ansehnliche Seite der Ware zu präsentieren. Natürlich verspricht auch ein Rinderfilet erst dann einen delikaten Genuss, wenn es gut abgehangen ist (→Carpaccio). Aber schon lange lässt man es dabei nicht mehr bis zur Entwicklung jenes leichten Verwesungsgeruchs kommen, der zeitweise als haut goût, als gehobener Geschmack schöngeredet wurde. Andere Küchen-Etymologen meinen, der Begriff sei – deutlich appetitlicher – entstanden, weil das zarte Fleisch nur kurz von einer Seite scharf angebraten und dann rasch auf den Rücken gewendet wird.
Auch zur Kennzeichnung mit dem Namen Rossini gibt es abweichende Erklärungen. So soll sie der große Koch →Carême, acht Jahre vor Rossini geboren und ein Verehrer seiner Musik, erstmals notiert haben. Oder: Rossini sei Stammgast im vornehmen Pariser Restaurant La Maison dorée gewesen und der dortige Küchenchef Casimir Moisson habe ihm das feine Gericht gewidmet.
Auguste →Escoffier, der Koch der Könige und König der Köche, der seine Kreationen gerne nach Künstlerinnen und Künstlern benannte, forderte dagegen, sich mehr auf die Zubereitung des Tournedos zu konzentrieren als auf die Frage, wie es zu seinem Namen gekommen sei. Dass er das ernst gemeint hat, kann man getrost an den fast 100 Tournedos-Rezepten in seinen Kochbüchern überprüfen – darunter selbstverständlich auch das Rossini.
Und die von Escoffier empfohlene Zubereitung gilt nach wie vor als klassisch:
Zunächst wird Madeira-Wein mit Rinderfond einreduziert. In einer Sauteuse röstet man rund ausgestochene Weißbrotscheiben in geklärter Butter knusprig. Während die croutons auf Küchenkrepp überschüssiges Fett abgeben, werden im gleichen Topf die Filetscheiben von jeder Seite angebraten, bis sie zwar eine schöne Kruste erhalten, innen aber noch saignant, blutig oder zumindest medium, rosa bleiben. Auf jeden Teller kommt ein Crouton, darauf das Tournedos, und das edle Obergeschoss des Türmchens bildet eine knapp fingerdicke, nur ganz kurz ins heiße Fett gelegte Scheibe foie gras, Gänse- oder Entenstopfleber. Und schließlich wird das Dach mit zwei, drei dünnen Scheibchen von truffe noire, der schwarzen Périgord-Trüffel, gedeckt. Der geringe, aber geschmacksintensive Bratensatz wird mit dem reduzierten Madeira-Fond abgelöscht und mit kalten Butterflöckchen zu einer glänzenden Sauce montiert. Einzige Gewürze sind etwas Salz und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer.
Viele Köchinnen und Köche glauben, das so einfache, schlicht von der Qualität der Zutaten lebende Rezept noch verbessern zu müssen. So wird das Fleisch manchmal auf einem pochierten Artischockenboden, einer Scheibe Briocheteig oder auf anderen Unterlagen angerichtet, statt der Stopfleber wird normale Geflügelleber angebraten, und schon bei der Dicke der Filetscheibe schwört jeder auf ein anderes Maß. Escoffier empfiehlt etwa 4 cm, was schon fast dem nach François-René →Chateaubriand benannten Zuschnitt entspricht. Meistens bewegt sich das Tournedos zwischen zwei und drei Zentimetern. Es sollte zumindest zwischen 140 und 160g auf die Waage bringen.
Bei der Würzung des Fleisches und besonders der Madeirasauce wird zuweilen der zarte Eigengeschmack des Filets, der Foie gras und der Trüffel fast überdeckt. Häufig wird die Sauce mit feingehackter Schalotte angesetzt, dann sollte sie durch ein feines Haarsieb passiert werden.
Ziemlich überflüssig ist das in manchen Rezepten angegebene Bardieren. Denn das Umwickeln von Fleisch mit dünnen Speckscheiben verhindert zwar bei etwas längeren Garzeiten tatsächlich ein Austrocknen, wirkt sich aber bei den wenigen Minuten, die ein Tournedos im heißen Fett verbringt, praktisch nicht aus. Es sei denn, man wünscht das Filet bien cuit, durchgebraten. Das aber wäre äußerst schade, denn bei diesem →Gargrad ginge trotz des Speckmantels die zarte Konsistenz des Filets verloren. Das Bardieren ist dann sinnvoll, wenn das Filet wie bei →Albert oder →Colbert im Ganzen, als größeres Stück und evt. noch mit einer Füllung als Braten im Ofen zubereitet wird.
In welcher Ecke Europas er auch immer weilte, Rossini blieb auch kulinarisch stets Italiener. Einer guten Portion →pasta war er nie abgeneigt. In seiner Geburtsstadt werden seit jeher kurze, dicke Röhrennudeln mit einer Farce aus Schinken, Zwiebeln, Kalbfleisch, Geflügelleber, Trüffel und Sahne gefüllt, im Ofen mit sugo di pomodoro gegart und kommen unter dem Namen Cannelloni alla pesarese auf den Tisch.
Aus schriftlichen Aufzeichnungen Rossinis ist ersichtlich, dass diese Variante von pasta ripiena schon in den Kindertagen zu seinen Lieblingsgerichten zählte, weshalb man sie auf Speisekarten auch als Cannelloni alla Rossini findet. Bei den Gästen seiner zahlreichen abendlichen Einladungen hatten die maccheroni ripieni, wie Rossini selbst das Gericht nannte, legendären Ruf. Noch ein paar weitere Gerichte, die man zu seinen Leibspeisen zählt, werden vor allem in →Pesaro gerne nach dem musikalischen Feinschmecker benannt: Beispielsweise olivette di vitello alla pesarese, kleine Kalbsröllchen, die man mit Schinken und Basilikum schmort, werden auch mit dem Zusatz alla Rossini angeboten.
Eine Abwandlung der klassischen →pizza margherita, bei der sich neapolitanische Pizza-Puristen wahrscheinlich mit Grausen abwenden würden, wird in Pesaro seit 2018 sogar mit dem Festival della Pizza Rossini gefeiert: eine Pizza Margherita gilt mit der Verkörperung der Landesfarben durch grünen Basilikum, weißen Mozzarella und rote Tomaten fast als kulinarisches Nationalheiligtum. Und in Pesaro wird diese Ikone nach dem Backen mit Scheiben von gekochtem Ei und mit reichlich Mayonnaise befleckt! Die Stadt als Veranstalter des Festivals räumt ein, dass der Komponist die Neuerfindung nie selbst probiert haben kann. Aber, bekannt für seine Aufgeschlossenheit gegenüber unkonventionellen Ideen, habe er an der verrückten Kombination ganz bestimmt seinen Spaß gehabt. Und in der französischen Küche, die er ja in Paris lange genug kennengelernt habe, sei das Zusammenspiel von œufs et mayonnaise ohnehin völlig normal. Jedenfalls ist man in Pesaro stolz genug, den eigenwilligen Genuss als Pizza unica al mondo, als weltweit einzigartige Pizza anzupreisen …
Natürlich war Rossini nicht nur mit der Vielfalt der cucina italiana bestens vertraut. Auch die Küche(n!) seiner zweiten Heimat, die cuisine française, erkundete er mit Genuss bis in alle Ecken des hexagone.
Der vor allem in der Provence beheimatete Weihnachtsbrauch des →Gros Souper muss ihm wie für ihn selbst erfunden vorgekommen sein. Dieses opulente familiäre Festmahl wird traditionell mit den treize desserts beschlossen. Und zu den 13 Desserts gehören auch die Quatre Mendiants, die vier Bettelmönche in Form von figues sèches (getrocknete Feigen), amandes (Mandeln), raisins (Weintrauben/Rosinen) und noisettes (Haselnüsse).
Etwa drei Jahre vor seinem Tod komponierte der feinschmeckerische Komponist (oder umgekehrt ..?) eine Reihe von 14 hübschen kleinen Stückchen unter dem Titel Péchés de Vieillesse, Aterssünden. Und unter diesen Alterssünden sind vier den Quatre mendiants gewidmet.
Weitere Péchés-Notenblätter für les Radis (Radieschen), les Anchois (Sardellen), les Cornichons (Essiggürkchen) und le Beurre (Butter) sind als Quatre Hors-d’Œuvre (4 Vorspeisen) zusammengefasst.
Eine nicht ganz so junge kulinarische Ehrung Rossinis entstand in Venedig, der Stadt, auf deren Bühnen er seinen internationalen Ruf als Opernkomponist begründete. In der Nähe der Piazza San Marco befindet sich Harry’s Bar, 1931 von Giuseppe Cipriani gegründet und in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein Treffpunkt des internationalen Kultur-Jetsets. Zwei berühmte Spezialitäten des Hauses benannte Cipriani nach venezianischen Künstlern: dem Renaissance-Maler →Carpaccio widmete er 1950 ein fein aufgeschnittenes und roh mariniertes Rinderfilet. Bereits zwei Jahre davor hatte er einen Drink aus Pfirsichmark und prosecco nach dem Künstler →Bellini benannt. Später wandelte er das Getränk mit Püree von anderen Früchten ab, wobei er jeweils weitere Künstlerpersönlichkeiten als Namenspaten bemühte. Für die leuchtend rote Erdbeer-Ausgabe wählte er den Namen Rossini. Rossini war zwar keinem kulinarischen – und sonstigen – Genuss abgeneigt, aber mit Schaumwein aufgegossene pürierte Erdbeeren kannte er sicher noch nicht. So kann nur vermutet werden, dass Cipriani wegen der sprachlichen Nähe des Namens zur Farbbezeichnung rosso für die roten fragole auf diese Idee kam.