Die Hauptstadt der Emilia-Romagna besitzt nicht nur die älteste Universität der Welt (gegründet 1088), sie ist auch heute noch ein kulturell und wirtschaftlich bedeutendes Zentrum. Vor allem gilt sie vielen Italienern als die Feinschmeckerhauptstadt Italiens, wozu nicht zuletzt die berühmten Schlemmersträßchen rund um die Kirche San Petronio (z.B. die Fischhändlergasse via pescerie) beigetragen haben, in denen die Delikatessenläden mit prachtvollen und appetitanregenden Auslagen um die Käufer wetteifern. Es heißt, wo man in anderen Städten an den Schaufenstern von Modeboutiquen entlangbummelt, gilt in Bologna die Aufmerksamkeit eher dem Angebot von Metzger, Bäcker, Fischhändler und weiteren Branchenkollegen.
Italiener reden von Bologna la Grassa, also vom fetten oder, höflicher ausgedrückt, reichhaltigen Bologna, was durchaus als Ehrentitel zu verstehen ist. Und mit der Emilia-Romagna vertritt Bologna auch so prominente Spezialitäten wie den
So wird beispielsweise die berühmte dicke Schweinefleischwurst (bis 30cm Durchmesser, manchmal bis zu 100kg schwer!) mit den charakteristischen Speckstreifen und Pistazienkernen (→Bronte), die Mortadella Bologna (→IGP 1998), öfters einfach Bologna genannt. Der Name der Stadt wird also zum Synonym für eines ihrer besten Produkte. Obwohl die IGP für weite Teile Norditaliens gilt, hat die Benennung der Wurst als Bologneser Produkt historische Berechtigung. Schon aus der antiken etruskischen Siedlung Felsina, aus der sich Bologna entwickelt hat, ist die Herstellung von Wurst aus sehr fein zerkleinertem Fleisch überliefert.
Hauptsächlich wurden dafür halbwild lebende Schweine geschlachtet, die sich in den ausgedehnten Eichenwäldern der Gegend von Eicheln ernährten. Die nahrhaften Baumfrüchte gelten bis heute in vielen Ländern als Grundlage von exzellentem Schweinefleisch für die Herstellung von Wurst und vor allem Schinken. Aber auch das Fleisch anderer Nutztiere wie Rind oder Esel wurde auf diese Weise verarbeitet. Die erste schriftliche Mortadella-Rezeptur veröffentlichte der Bolgneser Marchese Vincenzo Tanara 1644 in seinem Werk L’economia del cittadino in villa. Detailliert beschreibt er schon die ausgewogene Auswahl von mageren und fetten, jedenfalls aber den besten Teilen des Schweines, die auch nach den heutigen g.g.A.-Kriterien gilt.
Der als weiße Pünktchen im fein gecutterten rosigen Brät sichtbare schiere Bauchspeck muss 15% der Wurstmasse ausmachen. Nach dem Abfüllen (traditionell in Naturdarm, inzwischen häufig auch Kunsthaut) folgt ein etwa einstündiger Brühvorgang bei knapp 90°C, manchmal geschieht dies auch in speziellen Öfen mit heißer Luft. Mortadella ist, anders als viele italienische salume, zum raschen Verzehr bestimmt. Der Geschmack der Mortadella entfaltet sich am Besten, wenn sie hauchdünn geschnitten auf frischem Brot genossen wird. Dazu passen immer frisches Brot, ein guter Käse, vielleicht etwas Obst oder Gemüse und ein frischer Wein, mehr braucht eine kleine Mahlzeit eigentlich nicht.
Die echte Mortadella Bologna IGP darf nur Fleisch vom Schwein (bot. sus) enthalten. Varianten mit Anteilen von Rind/Kalb (bot. bos) oder Schaf/Lamm (bot. ovis) müssen den lateinisch-botanischen Begriffen entsprechend mit den Buchstaben SB (sus/bos) bzw. SO (sus/ovis) gekennzeichnet sein und dürfen sich nicht Bologna nennen.
Über die Bewahrung der alten Mortadella-Kunst und um die Vermarktung als IGP-Produkt kümmert sich das →Consorzio Mortadella Bologna. Die Herstellervereinigung veranstaltet seit wenigen Jahren die MortadellaBò, eine mehrtägige Mischung aus Messe, Fachkongress und, vor allem, fröhlich-kulinarischem Fest.
Der Name mortadella hat übrigens nichts mit dem Tod (ital. la morte) zu tun. Es gibt zwei Erklärungsvarianten:
Bevor der Pfeffer den Weg nach Europa gefunden hatte, wurde die Wurst (wie viele andere Lebensmittel auch) mit den getrockneten, pfeffrig schmeckenden Beeren der Myrte (Myrtus communis) gewürzt und gleichzeitig haltbar gemacht, im Italienischen mirto oder mortella. Man nannte sie dementsprechend myrtatella, was sich im Laufe der Zeit zur heutigen Namensform verändert haben könnte.
Andere leiten den Namen vom italienischen Wort mortaio (lat. mortarium) für den Mörser ab, in dem das Brät mit dem pestello, dem Stößel, fein zerrieben wurde. Das gemörserte Fleisch hieß bei den Römern mortatum. Diese etymologische Variante wird u.a. durch ein antikes Relief im Archäologischen Museum von Bologna gestützt, auf dem ein paar weidende Ferkel und ein großer Mörser mit Stößel bildlich vereinigt sind.
Aus dem frühen Mittelalter sind Siegel von Metzgerzünften erhalten, die mortaio und pestello zeigen. Demnach würde sich der Name der weltbekannten Wurst auf den einen Teil des Werkzeugs beziehen, während das ebenso berühmte pesto aus →Genova sprachlich mit dem anderen Teil verbunden ist.
Welche der beiden Begriffsherleitungen die Richtige ist, bleibt bis auf Weiteres unentschieden – und spielt für den Wurstgenuss ohnehin keine Rolle.
1971 wurde die berühmte Wurst sogar zur Titelfigur einer Filmkömödie: Die junge Arbeiterin Maddalena, gespielt von der italienischen Film-Ikone Sophia →Loren, reist aus ihrer italienischen Heimat nach New York, um zu heiraten. Als Brautgeschenk von den Kolleginnen in der Wurstfabrik hat sie eine prächtige Mortadella im Gepäck. Die amerikanischen Lebensmittelgesetze verbieten aber die Einfuhr, und Maddalena harrt im Flughafen aus, weil sie sich nicht von dem Mitbringsel trennen möchte. Maddalenas Hartnäckigkeit führt zu köstlichen Verwirrungen, wegen des Charmes der jungen Einwanderin aber – natürlich! – zum Happy End.
Während des unfreiwilligen Aufenthaltes im Terminal ernährt sich Maddalena von der feinen Wurst und lässt auch das Flughafenpersonal an der Köstlichkeit teilhaben. Als schließlich nur noch ein paar Hundert Gramm von dem ursprünglichen Wurstmonstrum übrig sind, ist die Zollmenge unterschritten und sie darf die USA betreten.
Auf dem Plakat zum englischsprachigen Titel Lady Liberty posiert die Loren als Freiheitsstatue. Statt der Schrifttafel trägt sie auf dem linken Arm eine pralle Mortadella und andere Würste, und die Fackel in der rechten Hand ist ersetzt durch einen großen Teller Pasta.
Die Mortadella ist, neben Parmaschinken, Schweinefleisch, Parmesan und Ei, auch unabdingbarer Bestandteil der Füllung von tortellini, jenen kringelig eingerollten Nudeln, die in Bologna traditionell in brodo serviert werden, in würziger Fleischbrühe. So hat es die in Bologna ansässige →Confraternita del Tortellino festgelegt. Die Tortellini-Bruderschaft pflegt auch die Legende, diese Sorte von paste ripiene, gefüllten Nudeln, sei in Castelfranco Emilia entstanden, einem Ort auf halbem Weg von Bologna nach Modena. Dort sei einst die Liebesgöttin →Venus mit ihren Gefährten Mars und Bacchus in einem albergo abgestiegen. Nachdem der lüsterne Koch des Hauses durch das Schlüsselloch ihres Schlafzimmers gelugt und dabei den ombelico der Göttin, ihren Bauchnabel erblickt habe, sei er von dessen Schönheit so angetan gewesen, dass er von da an seine Teigtäschchen in jener Form präsentiert habe.
Eine der ersten Begegnungen mit der italienischen Küche ist für die meisten Nichtitaliener, neben der pizza, sicher das Ragù bolognese. Oft allerdings in der stark vereinfachten Form von spaghetti bolognese, Nudeln mit Hackfleischsauce. Unter dieser Bezeichnung findet man das Gericht allerdings in Italien nur im touristisch ausgerichteten ristorante. In Bologna selbst schon gar nicht! Denn hier legt man Wert darauf, dass man das wahre Bologneser Ragù nicht aus Hackfleisch zubereitet – erst recht nicht, wenn Schwein mit im Gehackten steckt -, und dass man es mit Tagliatelle serviert. Und nicht mit Spaghetti!
Das sei lediglich der Tatsache geschuldet, dass unter Touristen und in der außerhalb Italiens präsentierten italienischen Gastronomie diese Nudelvariante wohl als die italienischste aller pasta-Sorten gelte. Erst im März 2019 wandte sich Virginio Merola, der Bürgermeister von Bologna, per Twitter an die Weltöffentlichkeit, um endgültig klarzustellen, dass es spaghetti bolognese, obwohl man sie in aller Welt bestellt, schlicht nicht gibt. Basta!
Das ursprüngliche ragù wurde durch Zerrupfen eines (z.B. vom Sonntagsmahl übriggebliebenen) Rinderbratenfleisches und dessen Weiterverarbeitung mit Speck, Wurzelgemüse, Staudensellerie und Wein gewonnen. Nach den Reisen von Cristoforo Colombo kamen aus Amerika die Tomaten hinzu, was neuen Geschmack und eigene Saftigkeit bedeutete. Wenn auch in mancher Küche als Variation mal etwas Leber, mal ein etwas anderes Gemüse oder Pilze beigegeben werden, immer gilt, dass das Ganze sehr lange geköchelt wird, um dem Ragù höchstmögliche Geschmackskonzentration zu verleihen.
Und nicht vergessen!: keine Spaghetti, sondern tagliatelle!
Den Begriff ragù haben die Norditaliener von den Franzosen übernommen, die unter ragoût generell Fleisch verstehen, das mit Gemüse und Flüssigkeit so lange sanft geschmort wird, bis sich die Aromen der verschiedenen Zutaten mit dem zu neuem Leben erweckten Braten zu einem kräftigen harmonischen Geschmack verbunden haben. Goût heißt Geschmack, das ra kommt von raviver, neu beleben, auffrischen. Die Flüssigkeit, meist Wein und/oder Brühe, reduziert währenddessen zu einer cremigen Sauce. Wohl deshalb nennt man umgekehrt das ragù in Frankreich sauce bolognaise.
Die Kombination des Ragù Bolognese mit der Nudelvariante Tagliatelle erhielt sogar höchst offiziellen Charakter. 1972 hinterlegte die →Accademia Italiana della Cucina bei der Handelskammer in Bologna das Urmaß für die Bandnudel, la misura della tagliatella. Was der in Paris aufbewahrte Urmeter für die Welt der Maße ist, stellt das in Gold gegossene Modell der originalen Tagliatella bolognese für die italienische Pasta-Kunst dar.
In einem Kästchen aus edlem Holz kann man im Palazzo della Mercanzia den exakt 8mm breiten Metallstab bewundern. So breit hat die al dente gegarte Bandnudel zu sein. Im Rohzustand muss der Nudelteig demnach in 7mm breite Streifchen geschnitten werden (it. tagliata, von tagliare, schneiden), was dem 12.270sten Bruchteil der Höhe des Torre Asinelli entspricht, eines alten Bologneser Geschlechterturms und Wahrzeichens der Stadt. Und 1982 ergänzte die Küchen-Akademie den Zweiklang durch die Hinterlegung des Rezeptes für ein wahrhaftes ragù bolognese.
Indem er sie in die Kunst unterweist, Spaghetti Bolognese mit Hilfe von Gabel und Löffel kleckerfrei zu verspeisen, bereitet Thomas Lieven, der Agent wider Willen aus Johannes Mario Simmels Roman Es muß nicht immer Kaviar sein, zwei Ganoven auf einen Coup vor, dessen Gelingen von elegantem Auftreten abhängt.
Also selbst der so weltgewandte Lieven ist dem verbreiteten Irrtum mit den Bologneser Spaghetti aufgesessen.
2010 wurde eine schon seit dem 17.Jh. hier angebaute weißfleischige, feste Kartoffel als Patata di Bologna unter den Schutz eines →DOP-Siegels gestellt. Die Erdknolle wurde nach ihrer Ankunft aus Südamerika zunächst als frutto del diavolo abgelehnt, allenfalls wurden ihre Pflanzen der schönen Blüten wegen in adligen Gärten kultiviert. Unter Mitwirkung von Wissenschaftlern auch der Universität von Bologna wurden zunächst medizinische, dann auch ernährungsrelevante Qualitäten der patate erkannt. Die heute unter der Bezeichnung Bologneser Kartoffel praktisch nur in der Region angebaute Varietät heißt Primura.
Es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass eine im November 2017 eröffnete Einrichtung gerade Bologna als Standort gewählt hat, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, vor allem Kindern und Jugendlichen die Qualität und Vielfalt der italienischen Lebensmittelkultur nahezubringen. Die →FICO EatalyWorld ist ein Freizeit- und Erlebnispark, bei dem es allerdings nicht um Comicfiguren geht, sondern um la cultura della coltura. Das Wortspiel funktioniert im Deutschen nicht: Im Italienischen meint ersteres Kultur im gesellschaftlichen Sinn, zweiteres die landwirtschaftlichen Techniken von Ackerbau und Viehzucht (agricoltura = Landwirtschaft).
Der Park bietet auf rund 20ha (etwa 40 Fußballfelder!) eine ebenso vergnügliche wie spannende und informative Mischung aus Abenteuer, Begegnung mit Erzeugern und Erzeugnissen, vielen Gaumenerlebnissen und einen vor allem für Stadtkinder neuen Einblick in die ländliche Welt, aus der viele ihrer täglichen Nahrungsmittel kommen.
Das große O im FICO-Logo ist durch eine stilisierte Feige gebildet, die auf Italienisch ebenfalls fico heißt und allgemein als Königin der Früchte gilt. Aber FICO steht für Fabbrica Italiana Contadina, ländlicher italienischer Erzeugungsbetrieb. Teile des kulinarischen Freizeitparks sind denn auch wie reale Bauernhöfe gestaltet, auf denen Schweine, Schafe, Rinder und allerlei Geflügel leben, Oliven- und Obstbäume sowie Wein und Gemüse wachsen. In Workshops wird den Kindern und Jugendlichen, als Familie oder in ganzen Schulklassen angereist, coltura nicht nur erklärt, sondern real und durch Mitmachmöglichkeiten erlebbar gemacht.
Wie z.B. aus Milch panna und formaggio, aus Fleisch prosciutto und mortadella oder aus Getreide pane und pasta entstehen – und natürlich sehen auch manche Eltern und Lehrer so etwas zum ersten Mal. In professionellen Lehrküchen und unter fachkundiger Anleitung können die jungen Besucher aus den Lebensmitteln eigene Köstlichkeiten zubereiten.
Für viele Kinder das erste Mal, dass sie etwas Selbsgekochtes genießen, und das aus Zutaten, über die sie nun etwas erzählen können – welch ein Erlebnis!
Mit dem englischsprachigen Namens-Wortspiel aus Italy und eat wendet sich der Park auch an internationale Besucher. Der informative und pädagogische Anspruch ist natürlich mit dem langfristigen kommerziellen Interesse verbunden, etwas für die Kundschaft der Zukunft zu tun. Aber allemal besser so, als das Feld einer vereinheitlichten Fastfood- und Fertiggerichtindustrie zu überlassen.
Die Erlebniswelt reiht sich ein in etliche andere Initiativen, Kindern die Grundlagen ihrer Nahrung näher zu bringen, wie z.B. das Projekt Slow Kid der Organisation →Slow Food. An Einzelinitiativen seien hier stellvertretend nur die auch aus dem deutschen Fernsehen bekannte österreichische Köchin Sarah Wiener oder ihr englischer Kollege Jamie Oliver genannt, die sich diesem Ziel in besonderer Weise verschrieben haben.