Ulis Culinaria

Margherita di Savoia

*1851 Torino, †1926 Bordighera

Die pizza verace artigianale (echt handwerkliche Pizza) ist als italienisches prodotto agroalimentare tradizionale (traditionelles landwirtschaftliches Lebensmittelprodukt, PAT) notiert. 2014 wurde L’arte del pizzaiolo napoletano, die Kunst des neapolitanischen Pizzabäckers, von der UNESCO zum Immateriellen Weltkulturerbe erklärt. Dass man die Tradition der Pizza in Napoli besonders ernst nimmt, zeigt die Gründung der →Associazione Verace Pizza Napoletana im Jahr 1984, die den Anspruch erhebt, weltweit über die Einhaltung der Regeln wahrer Pizzakunst zu wachen. Ein wichtiges Kriterium ist beispielsweise die Benutzung eines forno a legno, eines holzbefeuerten Ofens, weil nur hier die erforderliche Hitze und die rauchigen Aromen an die Pizza kommen.

la pizza verace artigianale

Aus Mehl und Wasser einen Teig zu kneten, daraus Fladenbrote zu formen und diese auf erhitzten Steinen oder in einem Ofen zu backen, gehört in praktisch allen menschlichen Kulturkreisen zu den ältesten Formen der Verwendung von Getreide. Bis heute backen Griechen ihre pita und fyllo, die türkischen Nachbarn pide, yufka und lahmacun, in Nordafrika gehört nach wie vor das brik zum täglichen Brot. Von Italien über Frankreich und Spanien bis nach Portugal werden focaccia, fugassa, fougasse und fogaça gebacken. Im Alsace gehört flammeküeche/tarte flambée zur Volksküche, auf der anderen, der badisch-schwäbischen Rheinseite heißt es Dünnet oder Dinnete. Inder belegen ihr paratha mit scharf gewürztem Fleisch und Gemüse, die mexikanische Küche ist ohne tortillas aus Maismehl nicht denkbar. Die Aufzählung ist noch lange nicht vollständig. Alle diese flachen Brote werden entweder pur gebacken oder mit unterschiedlichen Zutaten erweitert. Diese können direkt in den Teig eingearbeitet sein oder sie werden vor dem Backen auf den Teigfladen gelegt.

Fladenbrot

das Urgebäck

Doch keine dieser Varianten hat eine solche Vielfalt entwickelt wie die Pizza, und keine hat sich so weltweit verbreitet. Aus wirtschaftlicher Not wanderten im 19.Jh. unzählige Familien aus Italien nach Nord- und Südamerika aus, später kamen andere als sog. Gastarbeiter in nördlichere Länder Europas, auch nach Deutschland. Sie nahmen ihre Kochgewohnheiten nicht nur zum familiären Gebrauch mit, sondern eröffneten Restaurants und Pizzerien, die, zusammen mit dem entstehenden Mittelmeer-Tourismus, die italienische Küche bekannt und beliebt machten. Allen voran ‒ Hand in Hand mit der pasta  ‒ die pizza! Und wenn man sie nicht direkt beim Italiener genießt, backt man die TK-Pizza aus dem Supermarkt auf oder bestellt sich bequem eine Pizza aus dem oft seitenlangen Angebot eines Home-Service. Und nicht selten wandert auch auf deutschen Backblechen eine hausgemachte Pizza in den Einbau-Backofen, selbst wenn dieser die eigentlich erforderliche hohe Temperatur nicht so ganz schafft.

la Pizza Margherita

Immerhin ist die pizza napoletana seit 2010 nach EU-Recht als specialità tradizionale garantita mit dem STG-Siegel registriert! Wenn auch in den meisten Pizzerien in aller Welt unter pizza napoletana/Napoli ein Belag aus pürierten Tomaten, Mozzarella und Sardellen angezeigt wird, bezieht sich das Herkunftssiegel auf zwei genau definierte Varianten des Hefeteigfladens:

Da ist zum Einen die pizza alla marinara mit pürierten Tomaten, Knoblauch, Oregano und Olivenöl.

Und die zweite Variante der echten neapolitanischen Pizza ist die Pizza Margherita, die mit grünem Basilikum, weißem Mozzarella und roten Tomaten die italienischen Landesfarben repräsentiert. Diese Farbsymbolik zeigt auch die insalata caprese, die aus den gleichen Komponenten bestehende kalte Vorspeise von der Isola di Capri, dem Eiland im Golfo di Napoli.

wenige Zutaten -

Bei beiden Varianten der Pizza napoletana ist wichtig, dass sie unmittelbar nach dem Entnehmen aus dem Holzofen am Ort ihrer Produktion verzehrt wird, so Artikel 6 der EU-Vorschrift. Denn nur auf dem mindestens 485°C heißen Boden eines holzbefeuerten Ofens ist gewährleistet, dass der maximal 2,5mm dicke Teig im Inneren der Pizza geschmeidig bleibt, aber sich in der nur anderthalbminütigen Garzeit ein knuspriger cornicione, der typische, leicht hochgewölbte Rand bildet. Die Einschränkung des Verzehrs auf den Ort ihrer Produktion schließt jeden Verkauf in Vakuumverpackung oder als TK-Produkt aus. Allenfalls ein unverzüglicher und vor allem rascher Transport vom Ofen zu einem Home-Service-Kunden ist erlaubt.

- aber: gute!

Als Käse dürfen nur der Büffelmilch-Frischkäse →Mozzarella di bufala campana DOP oder ‒ von Pizza-Puristen bevorzugt! ‒ der aus Kuhmilch hergestellte Mozzarella STG verwendet werden. Letzerer wird auch unter den Bezeichnungen Mozzarella di latte vaccino oder fior di latte angeboten. 

Und die Verfechter der wahren Pizza napoletana nehmen auch nicht irgendwelche Tomaten! Die müssen aus dem nahen San Marzano (siehe weiter unten) kommen, denn nur sie sind der wahren, echten, unverfälschten napoletanischen, der Pizza verace würdig.

Basta!

In pürierter Form bilden die Tomaten bei beiden Spielarten die Grundlage für den Käse. Aber bei der Pizza Margherita kommen unbedingt frisch geschnittene Tomatenscheiben (bzw. halbierte Kirschtomaten) dazu. Und da spielt es erst recht eine Rolle, ob es sich um geschmacksarme Wasserbälle oder um festfleischige, aromatische Sonnenfrüchte handelt.

Der beste Basilikum Italiens kommt unbestritten aus der Region um Genua, was leider von Napoli ziemlich weit entfernt ist. Aber auch dort bekommt das Kraut natürlich reichlich Sonne. Die empfindlichen Blättchen vertragen keine allzu große Hitze und verlieren im Holzofen ganz schnell Geschmack und Farbe. Deshalb sollten sie erst über die Pizza gestreut werden, wenn sie gerade aus dem Ofen kommt.

Die Pizza Margherita wurde zu Ehren der Königin Margherita di Savoia getauft, als diese 1889 zum Staatsbesuch in Neapel weilte. Immer wieder wird Raffaele Esposito genannt, der seinerzeit als Pizzaiolo im Ristorante Brandi arbeitete. Den symbolischen Farben-Dreiklang der roten Tomaten, des weißen Frischkäses und des grünen Basilikums, den auch der tricolore italiano zeigt, soll Raffaele bewusst gewählt haben, um dem noch jungen Nationalstaat Italien und dessen Königin gleichermaßen zu huldigen.

Portrait 1868

la Regina d' Italia

Die Tochter aus dem norditalienischen Adelsgeschlecht Savoia-Genova hatte 1868 Umberto di Savoia geheiratet, den Sohn von Vittorio Emanuele II. Dieser war nach der Vollendung des risorgimento im Jahr 1870 (→Artusi, →Garibaldi) der erste König des vereinten Italien. Als Umberto 1878, nach dem Tod des Vaters, als Umberto I. den Thron bestieg, wurde Margherita zur regina d’Italia. Sie machte sich für die Festigung des gesamt-italienischen Nationalgefühls stark, wirkte aber als strenggläubige Katholikin auch für Interessenausgleich zwischen dem Staat und dem seit 1870 stark in seiner Macht eingeschränkten katholischen Klerus. Trotz ihrer Ablehnung jeglicher demokratischer Bestrebungen war sie recht beliebt, wozu nicht zuletzt eine großzügige Unterstützung von Künstlern aus Musik, Malerei und Literatur beitrug.

Auch ihr intensives Interesse an technischen Neuerungen wie dem Automobil oder der Luftschifffahrt brachten ihr Sympathien ein. Ihre Volksnähe wird gerne veranschaulicht mit einer Begebenheit, die sich während des erwähnten Besuchs in Neapel zugetragen haben soll. Als sie bei einem Essen eine Hähnchenkeule mit der Hand zum Mund führte und genüsslich abnagte, sind anscheinend etliche Damen und Herren der vornehmen Tischgesellschaft in befremdetes Staunen verfallen. Belustigt, aber lapidar soll sie ihnen beschieden haben: Anche la regina Margherita mangia il pollo con le dita!

Ja, auch die Königin Margherita isst das Hähnchen mit den Fingern …

Ob die regina d’Italia auch die ihr gewidmete Pizza ‒ wenn überhaupt ‒ mit den Fingern gegessen hat, ist nicht überliefert. Dass Raffaele Esposito der erste Pizzabäcker war, der diese Pizzavariante als margherita benannte, ist gut denkbar. Das Restaurant Brandi existiert zwar nicht mehr, aber 1989 wurde dort, wo es sich befand, eine Marmortafel angebracht: Qui 100 anni fa nacque la pizza margherita ‒ 1889 ‒ 1989 ‒ Brandi. Hier wurde vor 100 Jahren die Pizza Margherita geboren.

Aber mehrere kulinarische und volkskundliche Schriften berichten freilich schon Jahrzehnte vor dem Besuch der Königin in Neapel, dass in der Campania mit diversen Belägen versehene Fladenbrote sehr beliebt seien.

Unter den genannten Zutaten werden auch immer wieder eben pomodori, mozzarella und basilico erwähnt. Besonders die Tomaten sind, seit Kolumbus sie aus Mittelamerika mitbrachte, in keinem europäischen Land so schnell und so dauerhaft zu einem unverzichtbaren Baustein der Kochkunst geworden wie in Italien. Und trotz aller Probleme. die eine überzogene und auf Gewinnmaximierung ausgelegte Massenproduktion für die Umwelt mit sich bringt, gelten italienische Tomaten nach wie vor als die besten der Welt. Die berühmtesten werden knapp 10km östlich von Pompei angebaut und tragen eine →DOP mit dem Namen des Ortes San Marzano sul Sarno, von Neapel durch den Vesuv getrennt.

Portrait 1893

Nicht nur in Neapel war Margherita als Königin beliebt. In ganz Italien findet man Schulen, Museen und andere kulturelle Einrichtungen, die in Würdigung ihrer Rolle als Förderin der Künste nach ihr benannt wurden. Und außer den Pizzabäckern hat auch die Zunft der pasticceria, der Konditorei, zwei süße Zubereitungen ihr zu Ehren getauft. Die haben zwar bei Weitem nicht den überregionalen, geschweige denn internationalen Bekanntheitsgrad der Pizza erreicht, lohnen aber in jedem Fall ein näheres Kennenlernen.

Panforte

In Siena, der nicht zuletzt wegen des Reiterspektakels palio di Siena weltweit bekannten Stadt in der Toscana, wird seit dem frühen Mittelalter panforte gebacken.

Die Grundzutaten des kräftigen Kuchens sind neben Mehl reichlich ganze und gemahlene Mandeln, Zucker, Honig, kandierte Früchte wie Zitronat und Orangeat sowie eine bunte Mixtur aus Gewürzen. Wie der bei uns vergleichbare Lebkuchen wurde das Panforte ursprünglich für die fleischlose Vorweihnachtszeit gebacken, hat sich inzwischen aber zu einer ganzjährig beliebten Spezialität entwickelt. Einige Gewürze aus dem Orient wie z.B. Zimt, Kardamom oder Nelken sind schon sehr lange bekannt, die Toscana war seit jeher in den Handel mit asiatischen Ländern gut eingebunden.

Panforte nero

Manchmal wird das Gebäck auch als panpepato angeboten, was auf die Zugabe von reichlich pepe, Pfeffer hinweist. Der Pfefferkuchen erhält seit den Reisen des Cristoforo Colombo besondere Schärfe auch durch peperoncini, die Scharfmacher aus der Familie der →Capsicum-Pflanzen, ursprünglich beheimatet in Mittelamerika.

Der Namensteil forte, stark, wird meist auf die Gärung bezogen, die sich gelegentlich entwickelt hat, wenn der noch rohe, ohne Hefe angesetzte Teig bei der längeren Reifezeit von Bakterien aus der Umgebungsluft befallen wurde. Er könnte aber durchaus auch als Hinweis auf die kräftige Würze oder ganz allgemein auf den stattlichen Nährwert des Gebäcks verstanden werden.

Panforte Margherita

Seit 2013 ist der Name Panforte di Siena als indicazione geografica protetta (IGP) nach EU-Recht geschützt. Das lebkuchenähnliche Gebäck, das nicht in Form eines Brotlaibes, sondern als runde Torte daherkommt, gibt es in einer hellen und einer dunklen Version. Dem panforte nero verleihen Kakao, karamellisierte Melonenstückchen und dunkle Gewürze seine fast schwarze Farbe.

Panforte bianco / Margherita

Das panforte bianco aus einer helleren Teigmischung wird zusätzlich meistens mit Puderzucker überstäubt. Und als Königin Margherita di Savoia im Jahr 1879 in Siena weilte, um sich am Palio zu erfreuen, kamen die Bäcker auf die Idee, diese margaritenblütenweiße Form ihres Spezialgebäcks mit dem verkaufsträchtigen Namen Panforte Margherita aufzuwerten. Die Königin ist lange tot, aber der königliche Pfefferkuchen wird nach wie vor gerne gekauft. Und die IGP von 2013 schließt die royale Benennung explizit mit ein.

Margheritine di Stresa

Während Margheritas Kindheit entfloh die Familie gerne der sommerlichen Hitze der Poebene, um die Ferien in Stresa zu verbringen, einem Städtchen am Westufer des Lago Maggiore. Dort bewohnte man den bis heute erhaltenen Palazzo Bolongaro. Als im Jahr 1857 die Erstkommunion der kleinen Margherita anstand, dachte sich der Konditor Pietro Antonio Bolongaro aus Stresa ein süßes Geschenk für das Mädchen aus. Er trennte zunächst Eier und ließ die unzerstörten Eidotter vorsichtig in siedendes Wasser gleiten, wachsweich stocken und abkühlen. Danach strich er sie durch ein feines Haarsieb in eine Schüssel, in der bereits zimmerwarme Butter und Puderzucker warteten. Mit etwas abgeriebener Zitronenschale rührte er die Masse glatt. Nach Zugabe von fein gesiebtem Mehl und Speisestärke verknetete er alles zu einem glatten Teig. Dem gönnte er noch eine angemessene Ruhezeit im Kühlschrank, bevor er ihn flachrollte. Schließlich stach er runde Kekse aus, die er wenige Minuten in den heißen Ofen schob. Die dank des gesiebten Eigelbs zart knusprigen Blütenblättchen bestäubte der Zuckerbäcker mit vanilliertem Puderzucker.

Die Plätzchen taufte er margheritine. Das ist nicht nur eine Anspielung auf den Namen der jungen Adligen, sondern auch auf ihr Alter: Der Frauenname Margherita, abgeleitet vom altgriechischen margarítes für die Muschelperle (→d’Angoulême), bezeichnet auch die Blüten von Leucanthemum, die auch im Deutschen Margeriten heißen. Die italienische Verkleinerungsform Margheritina meint dagegen zum Einen das kleine Mädchen namens Margherita, aber auch die Blume Bellis perennis, die wir als Gänseblümchen kennen. Das ist zwar botanisch nur entfernt verwandt mit den Margeriten, sieht ja aber tatsächlich wie deren kindliche Ausgabe aus. Die Schweizer nennen das Gänseblümchen, im typisch schwyzerdütschen Diminutiv, Margritli.

Der Pasticciere Bolongaro hatte nicht nur beim Kommunionkind und dessen Familie Erfolg mit seinen Gänseblümchen. Er begann nun regelmäßig jedes Jahr im Juli/August mit der Produktion, damit er an Ferragosto alle Kunden seiner Pasticceria zufriedenstellen konnte. Der alte Ehrentag des Kaisers Augustus am 15. August ist einer der wichtigsten kirchlichen Feiertage Italiens. Darüberhinaus befindet sich um diese Zeit praktisch ganz Italien in Urlaub, sodass Ferragosto zum Synonym für den Höhepunkt der sommerlichen Feriensaison geworden ist. Und zu dieser Zeit kamen nicht nur die adligen Herrschaften des Hauses Savoia-Genova gerne an den Alpensee. Das Städtchen Stresa ist stolz darauf, dass auch die Nachfolger Bolongaros seine Kekse als Margheritine di Stresa vermarkten.

Statt einfacher Kreise werden die Kekse häufig in Blütenform ausgestochen.

Und das kleine Loch in der Mitte wird dann gerne mit feiner Konfitüre gefüllt.