Ulis Culinaria

g.U., AOP, IGP & Co.

Produktzertifizierung - Schutz für Erzeuger und für Verbraucher

Noch nie war es so einfach wie heute, Lebensmittel und kulinarische Produkte aus der ganzen Welt auf den heimischen Esstisch zu bringen.

Kein Supermarkt mehr, der nicht in üppiger Fülle Obst und Gemüse, Molkerei- und Metzgereiprodukte oder Fisch und Meeresfrüchte bietet, die man bis vor wenigen Jahrzehnten allenfalls bei Auslandsreisen probieren konnte. Während so mancher deutsche Campingurlauber der 1970er-Wirtschaftswunderjahre seine Magenverstimmung auf das so ungewohnte Olivenöl im italienischen ristorante oder auf die nicht ausreichend gegarten Nudeln schob, haben gerade die italienische und die französische Küche längst neben der deutschen am Tisch Platz genommen.

Die kulinarische Neugier, die inzwischen – und erfreulicherweise! – die anfängliche Skepsis überwunden hat, wird heute zusätzlich befriedigt durch einen praktisch grenzenlosen Internethandel.

Natürlich ist dieses Angebot für Feinschmecker eine Bereicherung, vom Sinn oder Unsinn des hierfür notwendigen Transports über Tausende Kilometer einmal abgesehen.

Gleichzeitig wollen wir sichergehen, dass wir beim Kauf auch das erhalten, was auf dem Etikett steht. Die zahlreichen Lebensmittelskandale der letzten Jahrzehnte zeigen die Brisanz des Themas.

In den Ländern der Europäischen Union ist man schon seit längerem bemüht, uns Verbrauchern mittels gesetzlich geregelter Produktzertifizierungen etwas mehr Sicherheit zu gewähren.

Wie in etlichen anderen kulinarischen Angelegenheiten haben auch hier die Franzosen eine Vorreiterrolle übernommen. Das wohl weltweit erste Lebensmittel, das durch eine Herkunftsbezeichnung vor Nachahmern geschützt wurde, ist der Schafskäse →Roquefort. Bereits 1411 erließ der französische König Charles VI, selbst ein großer Liebhaber des Blauschimmelkäses, ein Dekret, das dessen Einzigartigkeit festschrieb und in dem sogar die Höhlen des Aveyron, in denen er reift, zu geschützten Orten erklärt wurden.

Geschützte Herkunftsbezeichnung

Zu Beginn des 20.Jhs. wurde in Frankreich ein Gesetz zur offiziellen und kontrollierten Herkunftsbezeichnung vieler Lebensmittelprodukte beschlossen. Das Siegel AOC war geboren. Mit der Appelation d’Origine Controlée waren allerdings noch keine einheitlichen Qualitätsstandards verbunden, weshalb es zur Benennung verschiedener Produkte etliche jahrelange Rechtsstreitigkeiten gab.

Deshalb rief man 1935 das Institut National des Appellations d’Origine (INAO) ins Leben, das anfangs nur für Weine und Spirituosen zuständig war. Seit 1990 vergibt das INAO das AOC-Siegel an alle möglichen Lebensmittel. Und vor allem: Es kontrolliert die Einhaltung von Qualitätsanforderungen, die an die Vergabe der AOC geknüpft sind.

Roquefort

Die größten Gruppen der AOC-Produkte bilden nach wie vor Käse und Wein, die ich in meinen Wörterbüchern weitgehend außen vor lasse (siehe Startseite!). Aber natürlich ist das Siegel auch bei vielen Produkten aus Metzgerei und Bäckerei, vom Obst- und Gemüsebauer oder von Fischzüchter und Hochseefischer begehrt.

Denn gerade im internationalen Handel tragen solche Herkunfts-Zertifikate dem Umstand Rechnung, dass wir als Genießer nicht nur neugieriger geworden sind, sondern auch zunehmend sensibler hinsichtlich der Authentizität dessen, was wir für unsere Ernährung verwenden.

Wichtig für hohe Qualitätsstandards ist natürlich, dass bei der Vergabe solcher Siegel nicht mit der Gießkanne vorgegangen wird, sonst würde das gesamte System inflationär.

Dazu wieder zu Käse und Wein: Nur rund 30% aller in Frankreich produzierten Weine – und das sind bekanntlich nicht wenige – tragen eine AOC. Und von den über 1.000 französischen Käsesorten dürfen gerade einmal 45 damit ihre Qualität unterstreichen.

Nach und nach haben andere Länder das französische Zertifizierungsmodell übernommen. Die Schweiz und Italien handhabten es praktisch genauso wie Frankreich. Aber doch gab es kleine, aber feine Unterschiede, die den Käufer zuweilen etwas ratlos auf das Etikett blicken ließen.

Die Abkürzungen heißen mal AOC, mal AOP, mal DOP oder DOC … 

Dabei steht in den romanischen Sprachen das A für Appellation, das D für Denomination, beides heißt Bezeichnung. Das O steht immer für Origine, also Herkunft. Mit C wird Controllata abgekürzt, mit P Protektion (Schutz), und ein G steht für Garantia. Manchmal sieht man dann z.B. ein DOCG, also kontrollierte und garantierte Herkunftsbezeichnung. Und in Deutschland, England und anderen nicht romanisch-sprachigen Ländern fand man wiederum andere Abkürzungen.

Irgendwann wurde auch das wieder etwas unübersichtlich!

So macht es die EU

Seit 1992 existiert nun in der Europäischen Union ein einheitliches System, das im Kern auf dem französischen Modell aufbaut.

Das Ergebnis der langjährigen Bemühungen ist ein dreistufiges Zertifizierungssystem, für dessen Funktion die Europäische Kommission verantwortlich zeichnet.

Erklärtes Ziel:

  • der Schutz vor dem Missbrauch des Namens oder vor Nachahmung sowie
  • die Aufwertung von besonderen Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln mit Herkunftsbezeichnung.

Die erste Stufe ist die

geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)

Hierfür müssen … Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung des Produktes in einem bestimmten geografischen Gebiet und nach einem anerkannten und festgelegten Verfahren … erfolgen.

Für die zweite Stufe, die

geschützte geografische Angabe (g.g.A.)

muss … mindestens eine der drei Produktionsstufen (Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung) im angegebenen, bestimmten Gebiet … erfolgen.

Die dritte Stufe, die

garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.)

besagt lediglich, dass … das Produkt aus traditionellen Komponenten besteht oder in traditioneller Weise hergestellt … wurde. Über eine geografische Herkunft sagt dieses Siegel nichts aus.

Die EU-Zertifizierungen - international

Stufe 1

DE  geschützte Ursprungsbezeichnung     g.U.

EN  Protected Designation of Origin        PDO

FR  Appelation d’Origine Protégée           AOP

IT   Denominazione di Origine Protetta    DOP

ES   Denominación de Origen Protegida   DOP

Stufe 2

DE geschützte geografische Angabe     g.g.A.

EN Protected Geographical Indication   PGI 

FR Indication Géographique Protégée   IGP

IT  Indicazione Geografica Protetta       IGP

ES Indicatión Geográfica Protegida       IGP

Stufe 3

DE garantiert traditionelle Spezialität   g.t.S.

EN Traditional Speciality Guaranteed    TSG

FR Spécialité Traditionelle Garantie       STG

IT  Spezialità Traditionale Garantita      STG

ES Especialidad Tradicional Garantiz     ETG

EU-Datenbank

In Deutschland gibt es derzeit (November 2020) 12 Lebensmittel, die das g.U.-Siegel tragen dürfen, 79 sind als g.g.A. registriert. Eine g.t.S.-Einstufung liegt nicht vor. 

Sämtliche von der EU-Kommission vergebenen Zertifikate findet man auf der offiziellen Datenbank  →eAmbrosia . Mit Hilfe einer wirklich guten Suchfunktion, aufgeteilt nach Ländern, Produktgruppen, Schutz-Stufe und weiteren Suchkriterien, kommt man (mit einem Klick auf das i am Ende jeder Eintragszeile) zu allen Dossiers, in denen die Bedingungen für die Erteilung des jeweiligen Siegels dargelegt sind. Und das Ganze in allen EU-Sprachen!

An diesen Dossiers sieht man, dass diese Bedingungen nicht, wie häufig unterstellt wird, von irgendwelchen Schreibtischtätern in Brüssel oder Straßburg ausgedacht werden. Denn es sind die Erzeuger selbst, die über eine Vereinigung (consorzio, Assoziation, confrérie oder sonstwie genannt) bei der EU-Kommission den Antrag auf Erteilung einer geschützten Ursprungsbezeichnung stellen. Und ihrem Antrag sind die von ihnen selbst formulierten Produktionsmethoden und andere Bedingungen – quasi als Selbstverpflichtung – beigefügt.

Die immer wieder als Negativbeispiel für EU-Bürokratie angeführten Krümmungsgrade für Salatgurken und ähnlicher Nonsens gehen also ebenfalls auf die Erzeuger der Gurken selbst zurück, die in diesem Fall ihre Ware für einen besseren Ex- und Transport etwas normieren wollten.

Das gleiche gilt für die Problematik des Verpackungswahns:  Dass eben jene Gurken und andere Früchte, die eigentlich mit ihrer natürlichen Haut bzw. Schale ausreichend geschützt sind, auch noch in Plastik eingeschweißt werden, entspringt nicht dem Gehirn eines EU-Beamten, sondern dem von den Erzeugern ins Feld geführten Wunsch des Verbrauchers, absolut lupenreine, völlig unbeschädigte Früchte zu bekommen.

Und da haben die Landwirte leider nicht ganz unrecht: Offensichtlich haben wir, die Endverbraucher, uns schon ziemlich weit von einem natürlichen Anbau von Lebensmitteln entfernt, wenn wir schon einen Apfel wegen eines kleinen Flecks, einen sattgrünen Kohlkopf wegen eines einzelnen angewelkten Blättchens … nicht mehr für genießbar halten.

Aber da lohnte sich noch eine ganz andere, eigene Diskussion!

Prodotto agroalimentare tradizionale (PAT)

Zusätzlich zu den drei EU-Zertifikaten zeichnet das italienische Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung einzelne Lebensmittel als 

Prodotto agroalimentare tradizionale (PAT)

aus, als traditionelles landwirtschaftliches Lebensmittel-Produkt.

Aufgrund der geografischen Gegebenheiten auf dem stivale italiano, so wird argumentiert, sei ein großflächiger Anbau mit moderner Mechanisierung kaum möglich, was Italien gegenüber den meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten benachteilige. Deshalb legt das PAT-Siegel (das grafisch an die EU-Siegel angelehnt ist) mit der Konzentration auf historisch gewachsene und qualitativ anspruchsvolle Lebensmittelproduktion einen etwas anderen Schwerpunkt als die EU, bei der es vorrangig um die geografische Herkunft geht.

Die Kernbegründung: 

man will solche Lebensmittel als PAT auszeichnen, die

nach regionaltypischen Methoden und Regeln hergestellt sind, die über einen Zeitraum von mindestens 25 Jahren überliefert wurden.

Damit will man vor allem Nischenprodukte kleiner Hersteller ansprechen, die vom EU-System nicht erfasst werden. Und deren Produktionsmengen aufgrund der äußeren Bedingungen nicht beliebig erhöht werden können und deshalb Gefahr laufen, dem wirtschaftlichen Wettbewerb gänzlich zum Opfer zu fallen. Auch den damit drohenden Verlust an Vielfalt in der Welt der Ernährung will man so verhindern.

Den Unterschied betont man auch, indem keine Lebensmittel als PAT registriert werden, die bereits über eines der drei EU-Siegel verfügen. Dagegen versucht manches PAT-Produkt, in das EU-System aufgenommen zu werden, obwohl das den Verlust der PAT bedeuten würde.

Das Landwirtschafts-Ministerium selbst beschränkt sich auf eine Kontrollfunktion und die Führung der offiziellen PAT-Liste. Die entscheidende Funktion haben, im Interesse einer besseren lokalen Anbindung, die Regierungen der einzelnen 20 Regionen.

2019 waren 5.128 Lebensmittel als PAT registriert. Mit 531 Spezialitäten führt die Campania mit der Hauptstadt →Napoli die Liste an.

 

Label Rouge - französische Extraklasse

Auch in Frankreich beschränkt man sich nicht auf das EU-System.

Das oben erwähnte INAO benannte sich 2007 – unter Beibehaltung der Abkürzung – um in Institut National de l’Origine et de la Qualité. Es begleitet französische Lebensmittelhersteller bei der Beantragung eines EU-Zertifikats, vergibt aber, vor allem für Weine, auch noch die alte AOC.

Und das INAO ist zuständig für das →Label Rouge (rotes Etikett), das mit einem schon fast elitären Anspruch einhergeht.

Es tut nämlich kund, dass damit etikettierte Lebensmittel sich qualitativ deutlich von vergleichbaren Produkten auf dem Markt abheben. Das Label rouge war 1960 auf Betreiben von Geflügelzüchtern in der Region Landes initiiert worden, die sich mit ihren Freiland-Vögeln und dem Verzicht auf Kunstfutter und Antibiotika der aufkommenden Massen-Käfighaltung entgegenstellen wollten.

Slow Food - Die Entdeckung der kulinarischen Langsamkeit

Ein ähnliches Ziel wie das PAT-System verfolgte der Piemonteser Carlo Petrini, als er 1986 die Organisation →Slow Food ins Leben rief. In die Archa del Gusto (Arche des Geschmacks) werden ebenfalls Produkte aufgenommen, die in der Sintflut industriell gefertigter Lebensmittel zu ertrinken drohen.

Nicht zufällig hat sich Slow Food die Weinbergschnecke als Logo gewählt: In der Vereinheitlichung unseres Nahrungsmittelangebots und unserer Essgewohnheiten durch eine ausufernde Fast-Food-Kultur hat Petrini ein ernstzunehmendes Problem erkannt.