Ulis Culinaria

Modena

Nachdem italienische Kochkunst in den letzten Jahrzehnten immer mehr Liebhaber auch in deutschen Küchen gefunden hat, ist die Verwendung von Balsamessig fast eine Modeerscheinung geworden.

Umso hilfreicher ist es, unter den vielen Essigflaschen im Supermarktregal, die den Aufdruck aceto balsamico tragen, etwas zu unterscheiden. Meistens handelt es sich hierbei nämlich um ganz normalen Weinessig, der durch Zusatz von eingedicktem Traubensaft und Zuckercouleur eine dickflüssige Konsistenz und dunkle Färbung erhält.

Davon unterscheiden sich die mit dem →DOP-Siegel geschützten Produkte

Aceto balsamico tradizionale di Modena (ABTM)

und

Aceto balsamico tradizionale di Reggio Emilia (ABTRE)

aus der Emilia-Romagna grundlegend in Herstellung, Geschmack und vor allem in der Qualität!

Aceto balsamico tradizionale di Modena

Piazza Roma

Für diese teure Spezialität wird Most, hauptsächlich aus der weißen Rebsorte Trebbiano und/oder aus roten Lambrusco-Trauben, durch Erhitzen auf weniger als die Hälfte des Volumens reduziert und dadurch eingedickt. Beim Kochen karamellisiert ein Teil des Fruchtzuckers, was zur dunklen Färbung des Endproduktes beiträgt. Nach Zusatz von Wein und Balsamico-Essigmutter wird der Most in Holzfässern vergoren und selbst zu Essig.

Für die Klassifizierung ist nun vor allem die Dauer ausschlaggebend, während der der Essig in der batteria lagert, einer Reihe von Holzfässern mit abnehmender Größe, in der Regel von 100 l bis zu 10 l. Dabei wechselt nach einer nicht festgelegten Abfolge die Holzart: Eiche und Kastanie sind traditionell immer dabei. Dazu häufig Kirschbaum, Wacholder, Maulbeere, Esche und Robinie. Jedes Holz gibt spezifische Geschmacks- und auch Farbstoffe wie z.B. Tannine (Gerbstoffe) an den werdenden Essig weiter. Darüberhinaus hat jede Holzart andere Porosität und Temperaturkonstanz, was den Grad der Verdunstung beeinflusst.

Batteria

Mindestens 12 Jahre dauert dieser Prozess beim affinato (weiße Flaschenkapsel), beim extravecchio (goldene Kapsel) müssen es 25 Jahre sein. Während dieser Zeit wird der Essig nach und nach vom größten zum nächstkleineren bis zum kleinsten Fass umgefüllt. Da immer ein Teil im jeweiligen Fass verbleibt, der wieder aufgefüllt wird, entsteht ein kontinuierlicher Reifungs- und Konzentrierungsprozess, der in etlichen Familien bereits über mehrere Generationen weitervererbt wurde. Schließlich wird das dickflüssige Wenige (*), das Hitze und Verdunstung in den auf Dachböden liegenden, unverschlossenen Fässern übriggelassen haben, von einem consortio nach strengen Kriterien auf seine Qualität geprüft, bevor es, oft in hübsch gestaltete Fläschchen abgefüllt, das →DOP-Siegel bekommt und zum Verkauf freigegeben wird.

(*)Als Faustregel gilt:

Nach einem 25 Jahre daernden Reifeprozess durch die batteria hindurch bleibt von ursprünglich 100kg Weintrauben gerade einmal 1l aceto balsamico übrig.

Es existieren zwei Konsortien:

eins [] für den normalen aceto balsamico und

eins [] für die Qualitätsstufe mit dem Zusatz tradizionale.

Das erstgenannte consorzio gibt – auf deutsch! – interessante Einblicke in die aktuelle juristische Auseinandersetzung um den Namensschutz, die auch die höchsten deutschen Gerichte beschäftigt.

Schon vor Jahrhunderten soll die edle Würze als so kostbar gegolten haben, dass sie zur Mitgift heiratswilliger Damen aus wohlhabenden Familien zählte. So entstand in der neu gegründeten Familie mit der schon zur Geburt der Braut angelegten batteria auch gleichzeitig ein neuer Essigkreislauf.

Da der Begriff balsamico allerdings nicht gesetzlich geschützt ist, ist nach wie vor beim Kauf genaues Hinsehen empfehlenswert. Nur der Essig mit der DOP-geschützten Bezeichnung ist der Echte, es lohnt sich also, auf das EU-Siegel zu achten! Immerhin muss man für einen Liter des tradizionale schon weit über 100€ hinlegen, bei affinato werden es derzeit leicht einmal 700 bis 800€/l (Stand: 2023). Und für ein Fläschchen extravecchio geht der Literpreis meist in’s Vierstellige.

Eine solch edle Spezialität wird natürlich nicht für einfache Zubereitungen wie Vinaigrette oder als normale Speisewürze verwendet. Tropfenweise veredelt der echte Balsamico Kostbarkeiten, die selbst bereits eigenen Charakter besitzen. Stücke des in der Nachbarschaft gereiften Hartkäses Parmigiano-Reggiano oder hauchdünne Scheibchen des ebenfalls benachbarten Prosciutto di →Parma mit Melone aus →Cantalupo werden mit ein paar Tropfen des einmaligen Balsamessigs zum Hochgenuss. Gerne wird er auch anstelle des sonst üblichen Zitronensaftes auf frisch geöffnete Austern geträufelt.

Die Etikettierung Aceto balsamico di Modena, also ohne den Hinweis auf die traditionelle Herstellung, hat die EU immerhin noch als →IGP anerkannt.

Für den Feinschmecker-Gaumen ist der originale Balsamico nicht nur eine Wohltat auf der Zunge, sondern auch der sprichwörtliche Balsam für die Seele. Dass die Essigmacher sich bei der Benennung ihres Produktes aus uralter Medizin bedient haben, ist durchaus berechtigt. In der griechischen und römischen Antike nannte man verschiedene Sträucher und Bäume, aus deren Säften und Harzen sich heilsame Substanzen gewinnen ließen, balsamum, was wohltuend bedeutet.

Balsam

Die aus Balsambäumen (Gattung Myroxylon) gewonnenen öligen, meist zähflüssigen Harze und Säfte wurden gegen unterschiedlichste Krankheiten eingesetzt. Die alten Ägypter nutzten sie zum Einbalsamieren ihrer Toten. Auch die Myrrhe, für deren medizinische Nutzung das Alte Testament ein Rezept bietet, sowie der Weihrauchbaum, dessen Harz bis heute in der katholischen Kirche mystischen Rauch verbreitet, gehören zu den Balsambäumen. Deren wissenschaftlicher Name Myroxylon bedeutet duftendes Holz!

Vitis vinifera, die Weinrebe, hat natürlich botanisch mit den Balsambäumen nichts zu tun. Aber Kenner schwören darauf, dass ein allmorgendliches Löffelchen des balsamgleichen Essigs, der aus ihrem Fruchtsaft entsteht, Wohlbefinden für den ganzen Tag garantiert. Und das ganz ohne ärztliche Verschreibungspflicht!

Prosciutto di Modena

Mit dem Prosciutto di Modena (DOP) bietet das Städtchen einen Schinken an, der seinem Bruder aus Parma durchaus ebenbürtig ist, weil er im Wesentlichen nach den gleichen strengen Regularien entsteht. Und zu dem der Balsamessig, auf die hauchdünnen Scheibchen geträufelt, natürlich genausogut passt.

Cotechino di Modena

ist eine dem deutschen Schwartenmagen durchaus ähnliche Wurst. Das italienische Wort cotenna bedeutet Schwarte (vgl. frz. couenne). Verschiedene magere und fette Fleischteile vom Schwein werden mit Schwarte nicht zu fein gewürfelt und mit Salz und Pfeffer kräftig gewürzt. Meistens kommt auch ein kräftiger Schluck Wein in das Brät. Natürlich wird hierfür der Lambrusco genommen, der in der Region gekelterte leicht perlende Rotwein. Abgefüllt wird die Masse traditionell in Naturdarm, heute auch in Kunstdarm. Der codeghin, wie er regionalsprachlich heißt, wird im Ofen angetrocknet und dann gekocht. Zum Verzehr wird er erneut in Wasser erhitzt, wobei er zur Vermeidung des Aufplatzens angestochen werden sollte. Die Gelierkraft der Schwarte verleiht der rotmelierten Füllung gute Schnittfestigkeit. Der cotechino gehört unbedingt in den bollito misto, das gekochte Gericht aus gemischten Fleisch- und Wurstsorten. Als eigenständige Hauptzutat mundet er zu allerlei Gemüse wie Bohnen oder Linsen und gerne zu Kartoffelpüree.

Cotechino mit Bohnen

Die schon seit 1999 gültige →IGP schließt zwar weite Regionen Norditaliens ein, aber der Ursprung der Spezialität wird auf die Belagerung des zur Region Modena zählenden Ortes Mirandola durch die Truppen von Papst Julius II. im Jahr 1511 zurückgeführt. Die Bewohner erfanden den cotechino als Methode der Haltbarmachung von Fleisch und der möglichst vollständigen Verwendung aller Teile des Schweines, vor allem auch der Schwarte. So entzog man die Schweine, die auf den Ländereien um die Stadt weideten, dem Zugriff der Belagerer.

Zampone Modena

Die nahrhafte Wurst gilt als Vorläufer verschiedener weiterer Salume-Zubereitungen (→Fabriano) wie z.B. dem Zampone Modena (ebenfalls seit 1999 IGP). Der Schweinefuß heißt auf Italienisch zampa di maiale. Zampone ist die sprachliche Vergrößerung. In der traditionellen und durch die IGP geschützten Methode wird die Haut eines Vorderfußes vom Schwein inklusive der Klauenpartie durch Befüllen mit dem Fleisch-Schwarte-Gemenge zur Wurst. Denn da bei der Belagerung von Mirandola die Därme zum vollständigen Verwursten der Schweine nicht ausreichten, nahm man die ausgehöhlten Füße zur Ergänzung. Meist ist das Brät des Zampone etwas feiner als das des Cotechino. Ansonsten sind Herstellung und kulinarischer Gebrauch beider Produkte praktisch identisch. Aus der Belagerungskonserve wurden rasch überregional beliebte Spezialitäten, vor allem in der Renaissance verband man den Namen der Stadt Modena mit ihnen.

Für beide zeichnet seit 2001 das →Consorzio Zampone e Cotechino Modena IGP verantwortlich, in dem sich Metzger zur Einhaltung der für den Namensschutz geltenden Kriterien verpflichtet haben.

Cotechini und Zampone

Das Konsortium veranstaltet jährlich im Dezember eine große fiesta in Modena und Umgebung, bei der u.a. renommierte Profis am Herd um die raffiniertesten Rezepte für die zwei Würste wetteifern. 

Außerhalb dieser Selbstbeschränkung und folglich ohne IGP-Etikett erhält der zampone inzwischen auch durch kunstvolles Abbinden von Schweinedarm die Form eines Schweinsfußes.

Metzger aus Castelnuovo Rangone in der Nähe von Modena überbieten beim Fest im Dezember regelmäßig den eigenen Guiness-Book-Record in der Herstellung des zampone più grande al mundo: Im Jahr 2000 wog der Größte Zampone der Welt 450kg, 2006 schon 751kg, 2008 waren es 942kg, und 2011 durfte die Miss Zampone immerhin noch ein 3m langes und 890kg schweres Exemplar des speziellen Schweinefußes anschneiden. Kostenlos an die Tausende Festbesucher verteilt, ist aber stets auch diese Riesenwurst schnell verspeist.

Und der Lambrusco, der in Zampone und Cotechino enthalten ist, füllt natürlich auch die Gläser der Genießer.