Ulis Culinaria

Jean-Baptiste Colbert

*1619 Reims, †1683 Paris
Portrait von Ph.de Champaigne, 1655

Der französische Staatsmann hat sich nie als besonderer Feinschmecker hervorgetan. Da es aber zu seiner Zeit üblich war, dass die Köche feiner Herrschaften besondere kulinarische Zubereitungen zu Ehren ihrer Arbeitgeber tauften, werden zwei nach ihm benannte Küchenklassiker als Erfindung aus seiner Küche angesehen.

Monsieur Colbert konnte sich gutes Küchenpersonal durchaus leisten. Als Spross einer reichen Kaufmanns- und Bankiers-Familie aus der Krönungsstadt Reims und nach einer guten Ausbildung in einer Jesuitenschule stieg er in der Hierarchie des französischen Königtums schnell empor. Als Contrôleur général des Finances unter dem Sonnenkönig Louis XIV wurde er zum Superminister, der vor allem die wirtschaftliche Ausbeutung der überseeischen Kolonien vorantrieb und seitdem als Begründer des Merkantilismus gilt. Zu diesem Zweck brachte er die Marine unter seine Kontrolle, und mit dem Code Noir erließ er eine rigide gesetzliche Grundlage für den Sklavenhandel, der die rentable Nutzung des karibischen Zuckerrohres und anderer Rohstoffe erst ermöglichte. Getreu der merkantilistischen Maxime (die auch als Colbertisme bezeichnet wurde), dass es dem Land umso besser gehe, je größer der Reichtum des Souveräns sei, importierte Colbert z.B. textile Rohstoffe so billig wie möglich nach Frankreich, wo er sie ebenfalls so billig wie möglich weiterverarbeiten ließ, um beim Export der Endprodukte maximalen Gewinn zu erzielen.

Sklavenmarkt

So setzte sich die Ausbeutung der Kolonien durch die Sklaverei nahtlos fort in unzähligen Manufakturen im Mutterland, in denen die Menschen unter oft erbärmlichen Bedingungen Textilien und andere wertvolle Güter herstellten. Um dieses System lenken und kontrollieren zu können, weitete Colbert seine Machtstellung nach und nach auf fast alle Bereiche des Staatswesens aus, vor allem die Justiz wurde zu seiner Erfüllungsgehilfin. Offiziell hatte er bis zu seinem Tod das Amt des Secrétaire d’État de la Maison du Roi (Staatssekretär des Königshauses) inne, inoffiziell bezeichnete man ihn als éminence grise, als die graue Eminenz, die hinter der royalen Fassade die Fäden in der Hand hielt.

Dass im Hause einer solch wichtigen Persönlichkeit die Gäste aufs Feinste bewirtet wurden, versteht sich von selbst. Die kulinarische Exklusivität der diners diente nicht selten dazu, aus besagten Fäden erfolgversprechende Verbindungen und Intrigen zu spinnen. Von den Köchen, die dazu beitrugen, ist zwar keiner namentlich in Erinnerung geblieben, dafür aber eine feine Sauce und ein edles Fleischgericht, beide mit dem Namen Colbert verknüpft.

Sauce Colbert

Die Mutter aller Buttersaucen ist die sauce béarnaise, die im Wesentlichen aus einer schaumigen Emulsion von Eigelb, wässriger Flüssigkeit und Fett besteht (→Choron). Auf dem gleichen Prinzip beruht die Sauce Colbert. Die Flüssigkeit besteht aus Bratenfond oder einem konzentrierten Fleischsud, demi-glace oder glace de viande genannt. Da dieser meistens kräftige Farbe mitbringt, gehört die Zubereitung zu den braunen Saucen. In den Fleischsaft wird mit Kochlöffel oder Schneebesen flöckchenweise zimmerwarme Butter eingearbeitet, im Küchenfranzösisch beurre pommade, bis sie zur schaumigen Cremesauce montiert ist.

Im bain-marie werden manchmal noch zusätzlich Eigelbe untergerührt, was einer Béarnaise dann schon sehr nahe kommt. Das Wasserbad bringt die Hitze des Feuers nur indirekt in den Kochtopf, denn es gilt, ein Stocken des Eigelbs unbedingt zu verhindern, sonst wäre das Ganze missraten. Im zuweilen recht drastischen Küchenjargon macht man sich über den bedauernswerten Kollegen lustig, dem eine Sauce abgeschissen ist.

Die Eidotter erhöhen natürlich vor allem den Nährwert und den Wohlgeschmack, machen die Sauce aber auch stabiler, verhindern also, dass sich die fetten und die wässrigen Anteile der Emulsion schnell wieder voneinander verabschieden. Der aus den Kolonien gekommene Cayennepfeffer aus gemahlenen Chilischoten stellt neben frischem, gehacktem Estragon, einem Spritzer Zitronensaft und Muskatnuss die typische Würze. Häufig kommt kurz vor dem Servieren noch ein Schuss Madeira oder anderer Dessertwein dazu.

Seezunge à la Colbert

Die Sauce Colbert passt zu vielen Gerichten, ob Fleisch, Fisch oder Gemüse. Hin und wieder wird deshalb eine ganze Zubereitung als (à la) Colbert auf die Speisekarte gesetzt, wenn sie mit ihr serviert wird. Ein gängiges Gericht ist beispielsweise Seezunge à la Colbert.

Filet Colbert

Obwohl die Sauce Colbert auch dem Filet Colbert eine angemessene Begleiterin wäre, gilt das Gericht als eigenständige Erfindung. Dabei hat der unbekannte Koch auch hier im Grunde nur bereits bekannte Zubereitungen geschickt miteinander kombiniert. Eine wichtige Komponente ist eine Farce aus feingehackten Champignons, Schalotten und Kräutern, die in Butter angeschwitzt werden. Eine solche Füllungs-Masse war gerade 1651 vom seinerzeit schon berühmten Koch →La Varenne in seinem Buch Le cuisinier françois unter dem Namen duxelles veröffentlicht worden. Den Namen hatte er zu Ehren seines Arbeitgebers gewählt, des Grafen →d’Uxelles.

Für das Colbert gewidmete Rinderfilet wird, je nach Anzahl der Gäste, der feine Fleischstrang aus der Lende im Ganzen oder nur das dicke Ende, der Kopf verwendet (→Stroganow). Mit einer schmalen, gut geschärften Klinge schneidet man vorsichtig eine Tasche in das Fleisch, sodass sich ein fingerdicker Deckel aufschlagen lässt. Eine gute Schicht Duxelles wird aufgestrichen und der Deckel geschlossen. Große Grünkohl- oder Wirsingblätter werden blanchiert und das Filet damit eingehüllt. Als zweiter Mantel dienen dünne Scheiben von grünem Speck, mit denen das gute Stück bardiert wird. Eine recht engmaschige Verschnürung verhindert, dass sich die Hülle während des Bratens löst. Als Alternative zur Schnur kann auch Schweinenetz verwendet werden. Das ist zwar nicht leicht und beim Metzger meist nur nach Vorbestellung zu bekommen, hat aber den Vorteil, dass es sich im Ofen auflöst, sodass das lästige Entfernen der Schnur vor dem Tranchieren entfällt.

Denn nun kommt das filet de bœuf, je nach Größe, eine knappe oder gute Stunde in den Ofen. Wer eine ganz bestimmte Garstufe erzielen möchte, kann mit einem Bratenthermometer, dessen Spitze bis zur Mitte des Bratens versenkt wird, auf Nummer sicher gehen. Nur bei ausreichender Erfahrung kann man den richtigen Garpunkt mit der Fingerspitze ertasten. Für den Gargrad medium sollte der Braten bei einer Kerntemperatur von 55 bis 58°C aus dem Ofen genommen werden und ein paar Minuten Ruhe erhalten, um sich zu entspannen. Dann kann das Filet aufgeschnitten werden und neben der Duxelles zart rosiges, saftiges Fleisch offenbaren.

Und natürlich kann selbst die geringe Menge des hierbei entstandenen Bratenfonds als Ausgangsmaterial für die oben beschriebene Sauce Colbert dienen, aber auch für so manch andere feine Tunke.

Die Duxelles hat im 19.Jh. in England eine weitere Kombination mit Rinderlende erfahren: Dem 1. Duke of Wellington wurde zu Ehren seines Sieges über Napoléon Bonaparte das Fillet of Beef Wellington gewidmeit. Hier komt die Champignonmasse allerdings nicht als Farce in das Fleisch, sondern bildet eine erste äußere Umhüllung. Die zweite Hülle besteht aus Teig, der zum einen die Hitze nur ganz sanft zum Fleisch vordringen lässt und dann noch als knusprige Beilage mundet.

Das Rinderfilet wird, abgeleitet vom lateinischen Nomen lumbus für Lende, in der deutschsprachigen Schweiz Lummel genannt, in Österreich Lunge, was immer wieder zur Verwechslung mit dem Atemorgan führt. Wer also im österreichischen Restaurant Lungenbraten à la Colbert auf der Karte entdeckt, bekommt keine Innereien angeboten, sondern oben beschriebenes Rinderfilet.

Der österreichische Schriftsteller Johannes Mario Simmel beschreibt das Gericht ganz klassisch als Filet Colbert. In seinem kulinarischen Agentenroman Es muß nicht immer Kaviar sein (→Baker) lässt er es von seiner Hauptfigur, dem Geheimagenten wider Willen Thomas Lieven zubereiten, der damit einen drill- und tollwütigen deutschen Feldwebel besänftigt.