*römische Antike, †unsterblich
Bestellt man im italienischen Ristorante eine Portion Spaghetti alle vongole, kann man sicher sein, die dampfende Pasta mit Muscheln serviert zu bekommen, die einer der mehr als 500 Arten aus der Familie Veneridae angehören.
Die Venusmuscheln, wie sie bei uns genannt werden, vergraben sich gerne im Küstensand und sind im ganzen Mittelmeer, aber auch weltweit verbreitet. Eine der häufigsten Arten ist Venus verrucosa, die Raue Venusmuschel. Für das Nudelgericht werden die Schalentiere, wie Miesmuscheln, kurz in Gemüse-Weißwein-Sud erhitzt, bis sie sich öffnen. Aber auch in Fischsuppen, Meeresfrüchte-Ragouts oder, bei größeren Exemplaren, in der Schale gratiniert sind sie ein köstlicher maritimer Genuss. Da es für Laien schwierig ist, die vielen Arten auseinanderzuhalten, ist vongola quasi als Sammelbgriff für alle möglichen Venusmuscheln im italienischen Sprachgebrauch. Das Gleiche gilt für den französischen Namen praire.
Die oft mit der römischen Schönheitsgöttin verglichene Sophia →Loren hat in ihrem Kochbuch in cucina con amore die vongole mit vermicelli kombiniert, ganz dünnen Fadennudeln.
Der namentliche Bezug zu der römischen Schönheitsgöttin hat zwei Gründe:
Zum einen wurde nach der mythologischen Überlieferung die römische Liebesgöttin Venus, genau wie ihre griechische Amtskollegin →Aphrodite, aus dem Meeresschaum geboren, der in der Brandung entsteht. Diesen Schaum nannten die alten Griechen aphros, weshalb sich der Name der griechischen Göttin mit Schaumgeborene übersetzen lässt. Die Zeugung ohne vorherigen Geschlechtsakt verband man mit den Muscheln, denen man in der Antike laut Aristoteles ebenfalls keine zweigeschlechtliche Fortpflanzung zutraute. Da lag die Vorstellung nahe, die neugeborene Göttin auf einer Muschelschale aus den Fluten emporsteigen zu lassen.
Diese mythische Geburtsszene ist in vielen antiken Darstellungen zu finden, ob Skulptur, Vasenmalerei oder andere Kunstformen. Eine der bekanntesten künstlerischen Verarbeitungen des Mythos schuf 1485 der italienische Renaissancemaler Sandro Botticelli mit dem Gemälde La nascita di Venere (Geburt der Venus).
Zum zweiten haben schon früh Menschen mit Phantasie die äußere Form der Venusmuschel erotisch interpretiert. Die Einen sahen in der Ansicht der unteren Schale mit dem leicht wulstig ausgebildeten Scharnier ein Abbild des weiblichen Nabels, wie man ihn sich bei der anmutigen Venus vorstellte. Und die symmetrische Wölbung der geschlossenen Muschel, mit noch etwas mehr Phantasie von der Rückseite betrachtet, kann an die Form der weiblichen Schamlippen, an die Vulva erinnern. Auch die Wölbung des weiblichen Körpers über dem Schambein wird bekanntlich als erogene Zone Venushügel genannt, selbst die nüchterne Medizin nennt sie im Fach-Latein Mons veneris. In solchen formalen Assoziationen liegt der Grund dafür, dass die Venusmuschel in vielen Abhandlungen über Aphrodisiaka erwähnt wird (→Aphrodite).
Archäologen bezeichnen prähistorische Frauendarstellungen, bei denen im Sinne von Fruchtbarkeitssymbolik die Geschlechtsmerkmale, besonders Vagina und Brüste, überproportional oder in Vervielfältigung wiedergegeben sind, gerne als Venus-Figuren. Sie werden in der Regel nach ihrem Fundort unterschieden wie z.B. die rund 30.000 Jahre alte Venus von Willendorf. Hier wird der Name der römischen Göttin allerdings etwas missbräuchlich verwendet. Denn sowohl Aphrodite als auch Venus waren in der arbeitsteiligen antiken Götterwelt gerade nicht für die rein arterhaltende geschlechtliche Vereinigung zuständig, sondern für jene sinnliche körperliche Zuneigung, die man als Erotik bezeichnet. Hierbei waren auch schon in der Antike neben der Begegnung zwischen Frau und Mann alle anderen möglichen erotischen Konstellationen eingeschlossen, bei denen es nicht um die Zeugung von Nachkommen, also auch nicht um Fruchtbarkeit geht. Für das lustvolle Begehren, das weit mehr beinhaltet als den reinen Fortpflanzungs-Trieb, fand die Psycholgie den Begriff Libido.
Und dementsprechend waren die antiken Darstellungen, ganz anders als die oft recht unförmigen prähistorischen Figuren, am vorherrschenden Idealbild eines vollkommenen, erotisch attraktiven menschlichen Körpers orientiert. Dass man die bei Ausgrabungen in der alten griechischen Stadt Melos gefundene, klassisch schön in Marmor gehauene Frauenfigur, die im Pariser Louvre bewundert werden kann, im Nachhinein Aphrodite von Melos bzw. Venus von Milo getauft hat, ist schon viel eher nachvollziehbar als die Benennung der Figürchen aus Willendorf und anderen Fundorten.
Übrigens existieren sowohl in der Frühgeschichte als auch in der Antike jeweils adäquate männliche Gegenstücke. Steinzeitliche Darstellungen von Männerfiguren mit übergroßem Phallus sind eher als Symbol maskuliner Zeugungsfähigkeit zu sehen, während hellenistische Statuen, die Sportler wie den Diskuswerfer, athletische Helden wie Herakles oder Schönlinge wie Adonis zeigen, das Idealbild des erotisch begehrenswerten Mannes schlechthin verkörpern.
Mit der Einführung der 7-Tage-Woche verbanden die alten Römer jeden Tag mit einer ihrer Gottheiten. Den sechsten Tag nannten sie dies Veneris, Tag der Venus. Nach heutiger Zählweise heißt der fünfte Wochentag im romanischen Sprachraum immer noch venerdi (ital.), vendredi (frz.) oder viernes (span.).
Im germanischen Norden ersetzte man die römischen Göttinnen und Götter durch ihre Amtskollegen aus Asgard: Abgeleitet von der Hauptgöttin Frija (oder Frigg) nennen Engländer unseren Freitag friday, in Skandinavien sagt man fredag.
Alchimisten haben die zunächst sieben bekannten und benannten Planeten den seinerzeit bekannten sieben Metallen zugeordnet. Das gerne für Schmuck verwendete Kupfer hat man mit Venus verbunden.
In der Astronomie und in der Astrologie wird der Planet Venus durch den stilisierten Handspiegel der Venus symbolisiert.
Das Zeichen steht in der Biologie für das weibliche Geschlecht. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext für Weiblichkeit schlechthin, und im Kampf der Frauen gegen immer noch bestehende Ungleich-Behandlungen ruft es zur längst überfälligen Emanzipation auf.
Der Bauchnabel der Venus soll auch den italienischen tortellini als Vorbild gedient haben, jenen mit Schweinefleisch, Parmaschinken, Mortadella, Parmesan und Ei gefüllten, muskatgewürzten Teigtäschchen, die von geschickten Fingern in die gekringelte Form gebracht werden.
Eine Legende sagt, Venus soll einst mit ihren Gefährten Mars und Bacchus in einem albergo in der Nähe von →Bologna abgestiegen sein. Der lüsterne Koch des Hauses habe durch das Schlüsselloch ihres Schlafzimmers gelugt und dabei den ombelico, den Nabel der Göttin erblickt. Von dessen Schönheit sei er so angetan gewesen, dass er von da an seine →paste ripiene, die gefüllten Nudeln, in jener Form präsentiert habe.
Dass der hohe Eiweißgehalt von Schalentieren die Manneskraft unterstützen könnte, hat sich wohl auch der Liebesabenteurer Giacomo Casanova erhofft, denn er schlürfte angeblich gerne, quasi als natürliches Potenzmittel, schon zum Frühstück ganze 50 rohe Austern, um für sein Tagewerk gerüstet zu sein.
Die Liebesgöttin hat im 17.Jh. französische Obstzüchter zur Benennung einer Pfirsichsorte inspiriert. Die Téton de Vénus ist ein Pfirsich, französisch pêche, mit blasser, fast hautfarbener Oberfläche und roten Bäckchen. An der Unterseite bildet die Frucht eine deutlich hervorragende Spitze, was die Landwirte wohl an eine weibliche Brust erinnert hat. Dieser erogene Körperteil bzw. speziell die Brustwarze wird in Frankreich offiziell mamelon genannt, aber volkstümlich als téton bezeichnet. Dies ist allerdings eher zärtlich gemeint, im Unterschied zu dem entsprechenden deutschen Begriff Titte, der meist einen etwas vulgären Beiklang besitzt.
In der französischen Stadt →Montreuil werden diese Pfirsiche besonders liebevoll in Spalieren an weiß getünchten Mauern hochgezogen, den murs à pêches. Die Pfirsichmauern reflektieren das Sonnenlicht und lassen es so von allen Seiten an die Früchte kommen.
Und nachts geben sie die im Stein gespeicherte Wärme an die Pfirsiche ab. Wegen des außergewöhnlichen Ergebnisses wurde diese Anbaumethode schon von Louis XIV gefördert. Montreuil liegt nur wenige Kilometer östlich von Paris, die süßen Früchtchen mit dem anregenden Namen hatten also keinen allzu langen Weg bis an den Königshof.
Die Pfirsiche teilen sich den Namen mit einer anderen Gartenfrucht, die die gleiche Formeigenschaft besitzt. Téton de Vénus heißt auch eine wohl in Italien entstandene Tomatensorte, die aber bis heute besonders in Frankreich beliebt ist. Deshalb wird sie selbst im italienischen Handel mit dem französischen Namen angeboten, seltener als Pomodoro Venere. Die meist gelben bis orangefarbenen, seltener auch roten Früchte mit der charakteristischen kleinen Spitze besitzen festes, kernarmes und sehr aromatisches Fleisch und eignen sich deshalb besonders für Salate. Im deutschen Fachhandel findet man die Samen oder junge Pflanzen ebenfalls meistens französischsprachig, aber gelegentlich auch als Venusbrüstchen.
In der Region Puglia, dem Absatz des italienischen Stiefels, überlässt man die erotische Formgebung nicht der Natur allein, sondern bedient sich der Kunst des pasticciere, des Konditors. Besonders die Städte →Altamura und Bisceglie sind in ganz Italien berühmt für ein delikates, mit zartem Puderzucker bestäubtes Biskuitgebäck, das ganz eindeutig die weibliche Brust nachbildet. In Altamura werden die süßen Stückchen als tette delle monache, als Nonnenbrüstchen, oder als Tette di Venere (Venusbrüstchen) genossen.
Aus Biskuitmasse mit sehr steif geschlagenem Eiweiß werden durch die große, glatte Tülle des Spritzbeutels faustgroße, runde Häufchen auf das gefettete Backblech gesetzt. Beim Abziehen der Tülle entsteht dann das charakteristische Spitzchen. Das pan di spagna (Biskuit) wird sofort in den vorgeheizten Ofen geschoben, damit es keine Zeit hat, in die Breite zu zerlaufen. Manche behelfen sich mit den fein gefälteten Papiermanschetten, die man auch von Muffins kennt. Nach dem Backen werden die Brüstchen von der Unterseite mit der Spritztülle angestochen und mit Konditorcreme oder vanillierter Schlagsahne gefüllt.
In Bisceglie hat man mit sospiri delle monache eine etwas indirektere Anspielung gewählt. Die Nonnenseufzer sollen zu hören gewesen sein, als die Schwestern des hiesigen Klarissenklosters im 16.Jh. zur Hochzeit von Lucrezia Borgia mit dem Herzog von Bisceglie extra das feine Süßgebäck erfunden hatten, aber vergebens auf den erwarteten Besuch der Braut warteten. Dass vielleicht auch mancher zur Keuchheit verpflichtete männliche Klosterinsasse beim Anblick des zweideutigen Gebäcks einen wehmütigen Seufzer ausgestoßen haben könnte ‒ das verbietet natürlich die fromme Etikette!
Der altgriechische Dichter Homer beschreibt in seinem Epos Ilias den Krieg um die kleinasiatische Stadt Troja (auch Ilion genannt), der ausbrach, nachdem der trojanische Prinz Paris die griechische Schönheit →Helena entführt hatte. Ein Grieche, der vor Troja zum Helden wurde, war Achilles, jener Krieger mit der verwundbaren Ferse. Und Homer beschreibt ausführlich, wie dieser nach einem Kampf seine Blutungen mit Hilfe einer pflanzlichen Salbe stillte.
Forscher vermuten, dass es sich dabei um die in ganz Eurasien weit verbreitete Schafgarbe gehandelt haben könnte. Denn neben einer ganzen Reihe von heilsamen Eigenschaften ist besonders die blutstillende Wirkung des Krautes seit langem bekannt. Weil das auch Frauen bei Menstruationsbeschwerden helfen kann, gilt die Schafgarbe als typisches Frauenkraut.
Es war wohl der Botaniker →Linné, der aufgrund der Erzählung Homers die Gattung Achillea genannt hat. Achillea millefolium, die Gemeine Wiesen-Schafgarbe, ist bei uns am häufigsten auf Wiesen und an Waldrändern zu finden. Der Artname millefolium bedeutet tausendblättrig und beschreibt die fein gefiederten Blätter der Pflanze. Auch, wenn das kaum noch bekannt ist, lassen sich die nicht nur gesunden, sondern auch wohlschmeckend würzigen Blätter hervorragend in Salate integrieren. Und besonders die noch zarten, jungen Blättchen ähneln in ihrer schlanken, leicht gebogenen und spitz zulaufenden Form einer hübsch geschwungenen Augenbraue. Und wem sonst als der Schönheitsgöttin selbst würde man die Idealgestalt einer Braue zutrauen! Also hält man schon mal Kindern spielerisch ein solches Schafgarbenblättchen über das Auge und nennt es Augenbraue der Venus.
Die Gestalt der Venus wurde in der Bildenden Kunst unzählige Male zum Vorwand, wenn es schlicht um die Darstellung einer mehr oder (meistens) weniger bekleideten Frau ging. Denn die Darstellung einer namenlosen Nackten hätte man als seelenlose Pornographie gewertet. Ob als Venus pudica (schamhafte Venus), die notdürftig ihre Blöße mit den Händen bedeckt, ob im Tête-à-Tête mit anderen Figuren aus der Götterwelt oder lasziv auf dem Bett liegend, immer wieder musste die ehrwürdige römische Göttin ihren Namen für erotisch anmutende Aktdarstellungen hergeben, ohne jemals gefragt worden zu sein.
Dass eine Köchin oder ein Koch aus Muscheln, Tomaten oder Pfirsichen, die nach Venus benannt sind, eine köstliche Speise zubereitet, und dass dann vielleicht ein verliebtes Paar bei der gemeinsamen Mahlzeit sich von der mythischen Namensgeberin inspirieren lässt, das macht doch dem Begriff Kochkunst genauso alle Ehre wie dem oft überstrapazierten Spruch Liebe geht durch den Magen.