Ulis Culinaria

Liège

le Genièvre

der Wacholder

Eine der bekanntesten niederländisch-belgischen Spirituosen ist der Genever, französisch genièvre. Der Name hat nichts mit der schweizerischen Stadt →Genève zu tun. Er leitet sich, wie auch der Name einer anderen hochprozentigen Spezialität, des Gin, vom Wacholderbaum ab, der im Französischen genèvrier heißt. Dies entspricht seinerseits dem botanischen Namen Juniperus communis. Dem kommt die englische Bezeichnung juniper am nächsten. Der Genever wird aus den Beeren gebrannt. Getrocknet sind diese seit Jahrhunderten ein verbreitetes Gewürz, typisch an Kohl und Sauerkraut oder an Wildfleisch.

Eine in ganz Europa heimische Singvogelart aus der Familie der Drosseln ernährt sich u.a. gerne von den Beeren des Wacholder und heißt deshalb Wacholderdrossel. Im süddeutschen Sprachraum ist der Turdus pilaris, wie er von Ornithologen genannt wird, als Krammetsvogel bekannt. Krammet ist eine heute kaum noch gebräuchliche Bezeichnung für den Wachholder. Anders als die →Lerche  gilt die Wacholderdrossel, frz. grive litorne, nicht als vom Aussterben bedroht. Deshalb ist das Rezept für die Grives à la liégeoise durchaus auch heute noch ein möglicher Genuss. Dennoch hat die allgemein verbreitete Abneigung gegen den Verzehr von Singvögeln dazu geführt, dass das Gericht in Restaurants, auch in Lüttich, nur noch sehr selten angeboten wird.

die Wacholder-drossel

Noch zu Beginn des 20.Jhs. waren Rezepte für die Zubereitung von Wacholderdrosseln normaler Inhalt von Kochbüchern in allen mitteleuropäischen Ländern. In älterer deutscher Küchenliteratur ist der Krammetsvogel gut vertreten. Auf vielen der noch im 18./19.Jh. beliebten kulinarischen Stillleben-Gemälde mit allerlei Wild sind auch Krammetsvögel zu sehen. Gefangen wurden die Drosseln meist im Herbst, wenn sie sich vor ihrer Reise in den warmen Süden zu Schwärmen versammelten. Dann hatten sie auch schon reichlich Wacholder- und andere Beeren gepickt, die ihr Fleisch schmackhafter machten als das von vielen anderen Vögeln. Und als Vorbereitung für den langen Flug hatten sie sich stattliche Brustmuskeln angefressen. Auch eine nahe Verwandte der Wacholderdrossel, die →Singdrossel Turdus philomelos, stand lange auf der menschlichen Speisekarte.

Für das alte Rezept jedenfalls werden die Vögelchen gerupft und abgeflämmt. Lediglich Darm und Magen werden ausgenommen. Die Füßchen werden gekürzt, kreuzweise übereinandergelegt und unter die Flügel gesteckt. So entstehen zum gleichmäßigen Garen Päckchen, die man zusätzlich noch leicht verschnüren kann. Auch eine Bandage aus dünnen Speckstreifen hält die Päckchen schön kompakt, und dieses Bardieren gibt zusätzlich Geschmack. In heißer Butter werden sie angebraten und dann, neben Salz und Pfeffer, mit grob zerstoßenen Wacholderbeeren bestreut. Auf kleiner Flamme und mit etwas Wasser oder Weißwein angegossen dürfen sie unter dem Deckel nur noch 15 bis 20 Minuten schmoren, denn sie sind im Nu gar. Manches Rezept empfiehlt, in der Butter noch etwas Brotkrume oder Semmelbrösel mitzurösten. Dies gibt der kleinen Sauce, die man aus dem abgelöschten Bratensatz zaubern kann, leichte Bindung.

Pro Gast sollten schon zwei Vögel gerechnet werden, sie erreichen eine Körperlänge von rund 20cm. Häufige Beilage des typischen Herbstgerichtes waren gebackene Maronen.

Wachtel

Als Ersatz für die Drosseln können durchaus Wachteln herhalten. Die Jagd auf diesen kleinsten europäischen Hühnervogel ist zwar streng verboten, aber man bekommt ihn inzwischen, wie auch seine Eier, von Geflügelfarmen.

Rognons de veau à la liégeoise

In der heimlichen Hauptstadt der Wallonie, des französischsprachigen Teils Belgiens, bereitet man Kalbsnieren als Rognons de veau à la liégeoise zu, indem man sie in Hälften geschnitten anbrät, mit viel Wacholder gewürzt schmort und, dazu passend, mit dem in Belgien und den Niederlanden gebrannten und besonders beliebten Wacholderschnaps Genever flambiert.

Kalbsnieren

Salade liégeoise

Ein traditionelles Wintergericht ist Salade liégeoise. Gekochte Kartoffelviertel, grüne Bohnen und Bauchspeck werden mit Weinessig zu einem deftigen Salat angemacht und lauwarm serviert. Dazu wird gerne Brat- oder Brühwurst genossen.

Gaufres de Liège

Als Dessert oder auch als kleinen Happen für zwischendurch knabbert man Gaufres de Liège, Waffeln mit eingebackenen Zuckerkrümeln, die beim Zubeißen appetitlich knacken. Gerne werden die Waffeln zusätzlich versüßt durch eine typische Lütticher Spezialität:

Durch stundenlanges Einkochen von Birnen- und Apfelsaft, meist ergänzt durch besonders süße Früchte wie Datteln, Aprikosen oder Pflaumen, gewinnt man das dickflüssige Sirop de Liège, das, ähnlich wie das in Deutschland bekannte Apfel- oder Rübenkraut, als süßer Brotaufstrich oder eben auf den am besten noch warmen Waffeln beliebt ist. Vielfältige Verwendung erfährt das Sirup in der Feinbäckerei oder in zahlreichen Desserts. Einen süßen Kontrast bildet es in Kombination mit würzigem Käse wie dem aus Herve. In →Gouda in den benachbarten Niederlanden werden stroopwafelen (Sirupwaffeln) gebacken, zu denen das sirop de Liège auch gut passt. Dort kennt man es als appelstroop.

Lütticher Waffeln

Boulettes à la liégeoise

Und auch bei warmen, herzhaften Gerichten kommt das Apfelsirup zum Einsatz. Eine Sauce auf Basis des Sirups, gewürzt mit Salbei, begleitet häufig einen gebratenen Fleischkloß, der wegen seiner Ähnlichkeit mit einer Kanonenkugel Boulet à la liégeoise genannt wird. Dieses Gericht steht auch als Boulet sauce Lapin auf Speisekarten. Allerdings ist Kaninchen (fz. lapin) hier nicht im Spiel, sondern die Sirupsauce wurde von einer Dame namens Lapin (… mein Name ist Hase …) erfunden.

Wenn die Hackfleischmasse aus Schwein und Rind nicht zu einer großen, sondern zu mehreren kleineren Kugeln geformt wird, kommen Boulettes à la liégeoise auf den Tisch. Dazu gibt’s meistens – wir sind in Belgien! – Pommes frites …

Lapin à la liégeoise

Es gibt aber auch tatsächlich ein Rezept für Lapin à la liégeoise, bei dem das Kaninchen vor dem Braten in einer Weinessig-Marinade mit viel Sirup eingelegt wird. Und auch an diese Beize kommen gewöhnlich ein paar Wacholderbeeren.