Ulis Culinaria

Bologna

Bologna

la Grassa

Die Hauptstadt der Emilia-Romagna besitzt nicht nur die älteste Universität der Welt (gegründet 1088), sie ist auch heute noch ein kulturell und wirtschaftlich bedeutendes Zentrum. Vor allem gilt sie vielen Italienern als die Feinschmeckerhauptstadt Italiens, wozu nicht zuletzt die berühmten Schlemmersträßchen rund um die Kirche San Petronio (z.B. die Fischhändlergasse via pescerie) beigetragen haben, in denen die Delikatessenläden mit prachtvollen und appetitanregenden Auslagen um die Käufer wetteifern. Es heißt, wo man in anderen Städten an den Schaufenstern von Modeboutiquen entlangbummelt, gilt in Bologna die Aufmerksamkeit eher dem Angebot von Metzger, Bäcker, Fischhändler und weiteren Branchenkollegen. 

Italiener reden von Bologna la Grassa, also vom fetten oder, höflicher ausgedrückt, reichhaltigen Bologna, was durchaus als Ehrentitel zu verstehen ist. Und mit der Emilia-Romagna vertritt Bologna auch so prominente Spezialitäten wie den

prosciutto di →Parma, den Parmigiano-Reggiano und die zahlreichen anderen Köstlichkeiten der Region. Bologna nimmt für Italien durchaus den Rang ein, den →Lyon für Frankreich innehat.

la Mortadella

la Bologna

So wird beispielsweise die berühmte dicke Schweinefleischwurst (bis 30cm Durchmesser, manchmal bis zu 100kg schwer!) mit den charakteristischen Speckstreifen und Pistazienkernen (am Besten die IGP-Pistacchi aus →Bronte), die Mortadella Bologna (→IGP 1998), öfters einfach Bologna genannt. Der Name der Stadt wird also zum Synonym für eines ihrer besten Produkte. Obwohl die IGP für weite Teile Norditaliens gilt, hat die Benennung der Wurst als Bologneser Produkt historische Berechtigung. Schon aus der antiken etruskischen Siedlung Felsina, aus der sich Bologna entwickelt hat, ist die Herstellung von Wurst aus sehr fein zerkleinertem Fleisch überliefert.

Hauptsächlich wurden dafür halbwild lebende Schweine geschlachtet, die sich in den ausgedehnten Eichenwäldern der Gegend von Eicheln ernährten. Die nahrhaften Baumfrüchte gelten bis heute in vielen Ländern als Grundlage von exzellentem Schweinefleisch für die Herstellung von Wurst und vor allem Schinken. Aber auch das Fleisch anderer Nutztiere wie Rind oder Esel wurde auf diese Weise verarbeitet. Die erste schriftliche Mortadella-Rezeptur veröffentlichte der Bolgneser Marchese Vincenzo Tanara 1644 in seinem Werk L’economia del cittadino in villa. Detailliert beschreibt er schon die ausgewogene Auswahl von mageren und fetten, jedenfalls aber den besten Teilen des Schweines, die auch nach den heutigen g.g.A.-Kriterien gilt.

Der als weiße Pünktchen im fein gecutterten rosigen Brät sichtbare schiere Bauchspeck muss 15% der Wurstmasse ausmachen. Nach dem Abfüllen (traditionell in Naturdarm, inzwischen häufig auch Kunsthaut) folgt ein etwa einstündiger Brühvorgang bei knapp 90°C, manchmal geschieht dies auch in speziellen Öfen mit heißer Luft. Mortadella ist, anders als viele italienische →salume, zum raschen Verzehr bestimmt. Der Geschmack der Mortadella entfaltet sich am Besten, wenn sie hauchdünn geschnitten auf frischem Brot genossen wird. Dazu passen immer frisches Brot, ein guter Käse, vielleicht etwas Obst oder Gemüse und ein frischer Wein, mehr braucht eine kleine Mahlzeit eigentlich nicht.

Die echte Mortadella Bologna IGP darf nur Fleisch vom Schwein (bot. sus) enthalten. Varianten mit Anteilen von Rind/Kalb (bot. bos) oder Schaf/Lamm (bot. ovis) müssen den lateinisch-botanischen Begriffen entsprechend mit den Buchstaben SB (sus/bos) bzw. SO (sus/ovis) gekennzeichnet sein und dürfen sich nicht Bologna nennen. 

Über die Bewahrung der alten Mortadella-Kunst und um die Vermarktung als IGP-Produkt kümmert sich das →Consorzio Mortadella Bologna. Die Herstellervereinigung veranstaltet seit wenigen Jahren die MortadellaBò, eine mehrtägige Mischung aus Messe, Fachkongress und, vor allem, fröhlich-kulinarischem Fest.

Der Name mortadella hat übrigens nichts mit dem Tod (ital. la morte) zu tun. Es gibt zwei Erklärungsvarianten:

Bevor der Pfeffer den Weg nach Europa gefunden hatte, wurde die Wurst (wie viele andere Lebensmittel auch) mit den getrockneten, pfeffrig schmeckenden Beeren der Myrte (Myrtus communis) gewürzt und gleichzeitig haltbar gemacht, im Italienischen mirto oder mortella. Man nannte sie dementsprechend myrtatella, was sich im Laufe der Zeit zur heutigen Namensform verändert haben könnte.

Andere leiten den Namen vom italienischen Wort mortaio (lat. mortarium) für den Mörser ab, in dem das Brät mit dem pestello, dem Stößel, fein zerrieben wurde. Das gemörserte Fleisch hieß bei den Römern mortatum. Diese etymologische Variante wird u.a. durch ein antikes Relief im Archäologischen Museum von Bologna gestützt, auf dem ein paar weidende Ferkel und ein großer Mörser mit Stößel bildlich vereinigt sind.

Aus dem frühen Mittelalter sind Siegel von Metzgerzünften erhalten, die mortaio und pestello zeigen. Demnach würde sich der Name der weltbekannten Wurst auf den einen Teil des Werkzeugs beziehen, während das ebenso berühmte pesto aus →Genova sprachlich mit dem anderen Teil verbunden ist.

Welche der beiden Begriffsherleitungen die Richtige ist, bleibt bis auf Weiteres unentschieden – und spielt für den Wurstgenuss ohnehin keine Rolle.

Die Mortadella als Filmstar

1971 wurde die berühmte Wurst sogar zur Titelfigur einer Filmkömödie: Die junge Arbeiterin Maddalena, gespielt von der italienischen Film-Ikone Sophia →Loren, reist aus ihrer italienischen Heimat nach New York, um zu heiraten. Als Brautgeschenk von den Kolleginnen in der Wurstfabrik hat sie eine prächtige Mortadella im Gepäck. Die amerikanischen Lebensmittelgesetze verbieten aber die Einfuhr, und Maddalena harrt im Flughafen aus, weil sie sich nicht von dem Mitbringsel trennen möchte. Maddalenas Hartnäckigkeit führt zu köstlichen Verwirrungen, wegen des Charmes der jungen Einwanderin aber – natürlich! – zum Happy End.

Während des unfreiwilligen Aufenthaltes im Terminal ernährt sich Maddalena von der feinen Wurst und lässt auch das Flughafenpersonal an der Köstlichkeit teilhaben. Als schließlich nur noch ein paar Hundert Gramm von dem ursprünglichen Wurstmonstrum übrig sind, ist die Zollmenge unterschritten und sie darf die USA betreten.

Auf dem Plakat zum englischsprachigen Titel Lady Liberty posiert die Loren als Freiheitsstatue. Statt der Schrifttafel trägt sie auf dem linken Arm eine pralle Mortadella und andere Würste, und die Fackel in der rechten Hand ist ersetzt durch einen großen Teller Pasta.

Tortellini -

Die Mortadella ist, neben Parmaschinken, Schweinefleisch, Parmesan und Ei, auch unabdingbarer Bestandteil der Füllung von tortellini, jenen kringelig eingerollten Nudeln, die in Bologna traditionell in brodo serviert werden, in würziger Fleischbrühe. So hat es die in Bologna ansässige →Confraternita del Tortellino festgelegt. Die Tortellini-Bruderschaft pflegt auch die Legende, diese Sorte von →paste ripiene, gefüllten Nudeln, sei in Castelfranco Emilia entstanden, einem Ort auf halbem Weg von Bologna nach Modena. Dort sei einst die Liebesgöttin →Venus mit ihren Gefährten Mars und Bacchus in einem albergo abgestiegen. Nachdem der lüsterne Koch des Hauses durch das Schlüsselloch ihres Schlafzimmers gelugt und dabei den ombelico der Göttin, ihren Bauchnabel erblickt habe, sei er von dessen Schönheit so angetan gewesen, dass er von da an seine Teigtäschchen in jener Form präsentiert habe.

- und was hat Venus damit zu tun?

Ragù bolognese

Eine der ersten Begegnungen mit der italienischen Küche ist für die meisten Nichtitaliener, neben der→ pizza, sicher das Ragù bolognese. Oft jedoch in der stark vereinfachten Form von spaghetti bolognese, Nudeln mit Hackfleischsauce. Unter dieser Bezeichnung findet man das Gericht allerdings in Italien nur im touristisch ausgerichteten ristorante. In Bologna selbst schon gar nicht! Denn hier legt man Wert darauf, dass man das wahre Bologneser Ragù nicht aus Hackfleisch aus dem Fleischwolf zubereitet – erst recht nicht, wenn Schwein mit im Gehackten steckt -, und dass man es mit Tagliatelle serviert. Und nicht mit Spaghetti!

Das sei lediglich der Tatsache geschuldet, dass unter Touristen und in der außerhalb Italiens präsentierten italienischen Gastronomie diese Nudelvariante wohl als die italienischste aller pasta-Sorten gelte. Erst im März 2019 wandte sich Virginio Merola, der Bürgermeister von Bologna, per Twitter an die Weltöffentlichkeit, um endgültig klarzustellen, dass es spaghetti bolognese, obwohl man sie in aller Welt bestellt, schlicht nicht gibt. Basta!

Das ursprüngliche ragù wurde durch Zerrupfen eines (z.B. vom Sonntagsmahl übriggebliebenen) Rinderbratenfleisches und dessen Weiterverarbeitung mit Speck, Wurzelgemüse, Staudensellerie und Wein gewonnen. Nach den Reisen von Cristoforo Colombo kamen aus Amerika die Tomaten hinzu, was neuen Geschmack und eigene Saftigkeit bedeutete. Wenn auch in mancher Küche als Variation mal etwas Leber, mal ein etwas anderes Gemüse oder Pilze beigegeben werden, immer gilt, dass das Ganze sehr lange geköchelt wird, um dem Ragù höchstmögliche Geschmackskonzentration zu verleihen.

Und nicht vergessen!: keine Spaghetti, sondern tagliatelle!

ragout - ragù

Den Begriff ragù haben die Norditaliener von den Franzosen übernommen, die unter ragoût generell Fleisch verstehen, das mit Gemüse und Flüssigkeit so lange sanft geschmort wird, bis sich die Aromen der verschiedenen Zutaten mit dem zu neuem Leben erweckten Braten zu einem kräftigen harmonischen Geschmack verbunden haben. Goût heißt Geschmack, das ra kommt von raviver, neu beleben, auffrischen. Die Flüssigkeit, meist Wein und/oder Brühe, reduziert währenddessen zu einer cremigen Sauce. Wohl deshalb nennt man umgekehrt das ragù in Frankreich sauce bolognaise.

Die Kombination des Ragù Bolognese mit der Nudelvariante Tagliatelle erhielt sogar höchst offiziellen Charakter. 1972 hinterlegte die Accademia Italiana della Cucina (ACI) bei der Handelskammer in Bologna das Urmaß für die Bandnudel, la misura della tagliatella. Was der in Paris aufbewahrte Urmeter für die Welt der Maße ist, stellt das in Gold gegossene Modell der originalen Tagliatella bolognese für die italienische Pasta-Kunst dar.

tagliatelle bolognese

In einem Kästchen aus edlem Holz kann man im Palazzo della Mercanzia den exakt 8mm breiten Metallstab bewundern. So breit hat die al dente gegarte Bandnudel zu sein. Im Rohzustand muss der Nudelteig demnach in 7mm breite Streifchen geschnitten werden (it. tagliata, von tagliare, schneiden), was dem 12.270sten Bruchteil der Höhe des Torre Asinelli entspricht, eines alten Bologneser Geschlechterturms und Wahrzeichens der Stadt. Und 1982 ergänzte die Küchen-Akademie den Zweiklang durch die Hinterlegung des Rezeptes für das vero ragù bolognese, das wahrhaftige Bologneser Ragout.

neu ! neu ! neu ! neu ! neu ! neu !

il vero ragù bolognese

Am 20.04.2023 hinterlegte die Accademia als frutto di lunghe e approfondite ricerche condotte da un apposito Comitato di studio dell’Accademia Italiana della Cucina (als Ergebnis einer langen und tiefgreifenden Untersuchung durch einen eigens bestimmten Studien-Ausschuss der ACI) ein nochmals aktualisiertes Rezept bei der Handelskammer von Bologna.

la ricetta

Ingredienti per 6 persone
Polpa di manzo macinata grossa: gr.400;
Pancetta fresca di maiale a fette: gr. 150;
mezza cipolla: circa gr. 60;
1 carota: circa gr. 60;
1 gambo di sedano: circa gr. 60;
1 bicchiere di vino rosso o bianco;
Passata di pomodoro: gr.200;
Doppio concentrato di pomodoro: 1 cucchiaio;
1 bicchiere di latte intero (facoltativo);
Brodo di carne o vegetale leggero (anche di dado);
Olio extra vergine d’oliva: 3 cucchiai;
Sale e pepe.

 

In una casseruola (di ottima qualità, pesante) antiaderente o di alluminio o in ghisa smaltata (un tempo era molto usato il tegame di coccio) di 24-26 cm di diametro, fare sciogliere la pancetta macinata o tritata con 3 cucchiai d’olio. Quindi, aggiungere gli odori tritati finemente sul tagliere (non usare il mixer) e fare appassire il battuto lentamente a calore medio basso, sempre girando con un mestolo di legno (la cipolla non deve assolutamente prendere il sapore di bruciato). Alzare il calore e unire la carne macinata e, sempre mescolando accuratamente, cuocerla per una decina di minuti fino a che „sfrigola“.
Versare il vino e farlo evaporare e ritirare completamente, fino a quando non si sentirà più odore di vino e, poi, unire il concentrato e la passata. Continuando a mescolare bene, versare una tazza di brodo bollente (ma si può usare anche semplicemente dell’acqua) e far cuocere piano, a recipiente coperto, per circa 2 ore (anche 3 ore secondo le preferenze e le carni usate) aggiungendo il brodo caldo man mano che occorre. A metà cottura, secondo una consigliabile antica tradizione, si può aggiungere il latte che deve essere fatto ritirare completamente. Infine, ultimata la cottura, aggiustare di sale e pepe. Il ragù dovrà risultare di un bel colore arancione scuro, avvolgente e cremoso.

VARIANTI AMMESSE
1) Carni miste: manzo (circa il 60%) e maiale (circa il 40%) (lombo o capocollo);
2) Carni tritate al coltello;
3) Pancetta stesa o arrotolata di maiale al posto della pancetta fresca;
4) Un profumo di noce moscata;

VARIANTI NON AMMESSE
1) Polpa di vitello;
2) Pancetta affumicata;
3) Solo carne di maiale;
4) Aglio, rosmarino, prezzemolo, altri aromi o spezie;
5) Brandy (in sostituzione del vino);
6) Farina (per addensare).

IL RAGÙ ALLA BOLOGNESE PUÒ ESSERE ARRICCHITO CON:
1) Fegatini, cuori e durelli di pollo;
2) Salsiccia di maiale spellata e sbriciolata;
3) Piselli scottati aggiunti a fine cottura;
4) Funghi porcini secchi ammollati.

Die über

rechte Maustaste, Übersetzen in Deutsch

erhältliche Übersetzung ist so gut, dass ich sie mir hier spare …

Mit diesem nun hinterlegten Rezept trägt die ACI zunächst moderneren Kochgewohnheiten Rechnung, wie z.B. mit dem antihaftbeschichteten Kochtopf (casseruola … antiaderante) oder mit der Erkenntnis, dass man das Fleisch besser erst dazugibt, wenn die pancetta, der Schweinebauch, und das kleingeschnittene Aroma-Gemüse (gli odori tritati finemente) bereits schön angebraten sind, da sich sonst zu viel Wasser ansammeln und das Fleisch eher gekocht als gebraten würde.

Während man 1982 noch festschrieb, dass die frische Pancetta mit der mezzaluna (Wiegemesser, wörtl. Halbmond) zu zerkleinern sei, erlaubt die Accademia nun auch, abgehangenen oder gepökelten Schweinebauch zu nehmen und ihn durch den Fleischwolf zu drehen (macinare). Die Messer-Methode (tritate al coltello) steht nur noch unter den varianti ammesse, den erlaubten Varianten.

Non ammesso bleibt aber der Einsatz von Räucherspeck, ebenso das Hinzufügen von typisch mediterranen Gewürzen wie Knoblauch oder Rosmarin. Allenfalls ein Hauch von Muskatnuss (un profumo di noce moscata) darf hinein.

Achtung ! Revolution !!

Schon fast einer Revolution kommt die unter den erlaubten Varianten aufgeführte Möglichkeit gleich, das Rinder-Hackfleisch bis zu 40% durch Schweine-Hackfleisch (Lende oder Nacken) zu ersetzen. 

eine alte Mezzaluna im Einsatz

Das carne di maiale, das Schweinefleisch, kann auch in Brät bestehen, das aus →salsicce ausgedrückt und zwischen den Händen zu kleinen Klümpchen zerrieben wird.

Die honorige Accademia della Cucina Italiana hat mit der offiziellen Beurkundung des Rezeptes sicher dazu beigetragen, dass das uralte Ragù Bolognese zumindest in der Gastronomie als kulinarisches Erbe erhalten bleibt. Denn nicht nur außerhalb Italiens wird es häufig in Zubereitungen angeboten, die mit dem Original fast nur noch den Namen gemein haben. Vor allem im Tourismus gehen bekanntlich erhaltenswerte kulturelle Schätze schnell verloren, wenn Billigimitate unter irreführender Verwendung traditionsreicher Bezeichnungen die Kassen klingeln lassen.

Aber im privaten Bereich sind über die im ACI-Rezept angeführten erlaubten Anreicherungen durch Pilze, Hühnerleber und -mägen oder Erbsen hinaus allerlei weitere Abweichungen zu finden.

Dort hört man, guter italienischer Tradition folgend, auf die Frage nach dem besten Ragù Bolognese oft:

Come lo fa la mia nonna!

So, wie es meine Oma macht!

Oder la mamma, il papà, …

Eine Sonderstellung in der großen weiten Welt der italienischen →Pasta nimmt die Lasagne ein.

Der dünn ausgerollte Nudelteig wird im Wechsel mit Fleisch und oder Gemüse mit reichlich Saucenanteil in eine feuerfeste Form geschichtet und, mit Käse bestreut, im Ofen überbacken. 

Wenn man die Pasta frisch zubereitet, lässt sie sich gut der Form anpassen. Als getrocknete Ware findet man die Lasagneblätter meistens in etwa postkartengroßen Rechtecken.

Dabei ist die Lasagne eine der ersten Pasta-Formen, die explizit in der italienischen Küchenliteratur erwähnt wurde. Der alte Römer →Apicius hat schon einen Auflauf beschrieben, bei dem eine Hackfleisch-Zubereitung abwechselnd mit lagana, dünn ausgerollten Teigplatten, in eine Form geschichtet wird (Buch IV, 2,14). 1282 verwendet der Dichter Antonio Guidonis de Argele in seinen Memoriali Bolognesi (Bologneser Erinnerungen) erstmals den Begriff lasagne.

Wenn man die getrockneten Lasagneblätter nicht vorgart, muss ausreichend Flüssigkeit zwischen die Schichten. Als Standardsauce hat sich die besciamella bewährt, die italienische Schwester der →sauce béchamel.

In Bologna legt man Wert darauf, dass die Nudelblätter mit Hilfe von püriertem Spinat (früher auch gerne Brennnesseln) grüne Farbe erhalten. Und dass bei einer Lasagne alla Bolognese nur ein echtes ragù bolognese zur Besciamella kommen kann, ist ja klar …!

Lasagne alla bolognese

polpette

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Die Methode, Fleisch oder Fisch schon vor dem Garen zu zerkleinern, ist wahrscheinlich aus der dem Menschen angeborenen Bequemlichkeit entstanden. Das gilt auch für pflanzliche Lebensmittel: Der Begriff Gemüse beinhaltet das Mus, das bei entsprechend langer Kochzeit automatisch entsteht. Weil wir Wert auf die Erhaltung wichtiger Inhaltsstoffe legen, verkürzen wir heute die Kochzeit und nehmen dafür die →Gemüsemühle, den Stampfer oder den Zauberstab-Mixer, um aus Kartoffeln, Karotten & Co. Püree herzustellen.

Lange vor der Erfindung des Tafelgedecks mit Messer und Gabel gab es bereits viele Formen des Löffels, dieser so simplen wie genialen Nachbildung der hohlen Hand. Oder man nahm die zerkleinerte Nahrung mit →Fladenbrot auf, der Urform heutiger Bäckerkunst.

Ein Mittelding zwischen dem großen, am Stück zubereiteten Braten oder Kochfleisch und der zu Brei gehackten Masse stellen das Gulasch sowie die vielen Formen von Fleischklöß(ch)en dar. Bei beiden geht es um mehr oder weniger mundgerechte Stücke, die mit  der Gabel, auf der Messerspitze oder einfach mit den Fingern zum Mund befördert werden können. Solche Happen hat schon der altrömische Urvater der Küchenliteratur Gaius →Apicius als →ofellae beschrieben.

pulpa

polpa

paupiettes

Das schiere, von Knochen und Sehnen befreite Fleisch heißt im Lateinischen pulpa, im heutigen Italienisch polpa. Auch das von Schale und Kernen oder Stein getrennte Fruchtfleisch von Obst oder Gemüse wird damit bezeichnet.

Obwohl aus zerkleinertem Fleisch geformte Bällchen bzw. Klößchen in ganz Italien und in unterschiedlichsten Variationen zubereitet werden, gelten polpette als unverzichtbarer Bestandteil der Bologneser Küche. Dieser Begriff taucht schriftlich erstmals im Libro de Arte Coquinaria von →Maestro Martino auf, einem weiteren Stammvater der italienischen Kulinaria.

Pellegrino →Artusi, der mit seinem Buch La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene zur Einigung des Staates Italien beigetragen hat, stellt nicht zuletzt am Beispiel der Polpette dar, dass man mit der kulinarischen Vielfalt in Gemeinsamkeit sehr schön leben kann (s.u.).

Paupiettes

Im Nachbarland Frankreich hat man das Wort zu →paupiettes umgeformt, meint damit aber eher gulaschartige Fleischstücke, die gerne mit einem Streifen Speck zu Päckchen verschnürt werden. Klößchen aus gehacktem Fleisch/Fisch/Gemüse … heißen auf Französisch eher →quenelles oder →boulettes.

In allen Kulturen dieser Erde haben sich  – wohl unabhängig voneinander – unzählige Fomen solcher kugeliger Häppchen entwickelt. Die sprachliche Vielfalt bei der Benennung ist noch viel größer. Da können die Beispiele in meinen Lexika (im Suche-Feld klöß eingeben!) nur einen kleinen Ausschnitt bieten …

Polpette in Tomatensauce

Artusi  hat es in seiner Scienza auf den Punkt gebracht:

Questo è un piatto che tutti lo sanno fare cominciando dal ciuco, il quale fu forse il primo a darne il modello al genere umano.

(Dieses Gericht kriegt jeder hin, angefangen beim Esel, der der Menschheit wohl als Erster das Modell dafür geliefert hat.)

Königsber Klopse

Indem er sie in die Kunst unterweist, Spaghetti Bolognese mit Hilfe von Gabel und Löffel kleckerfrei zu verspeisen, bereitet Thomas Lieven, der Agent wider Willen aus Johannes Mario Simmels Roman Es muß nicht immer Kaviar sein, zwei Ganoven auf einen Coup vor, dessen Gelingen von elegantem Auftreten abhängt.

Also selbst der so weltgewandte Lieven ist dem verbreiteten Irrtum mit den Bologneser Spaghetti aufgesessen.

Patata di Bologna

2010 wurde eine schon seit dem 17.Jh. hier angebaute weißfleischige, feste Kartoffel als Patata di Bologna unter den Schutz eines →DOP-Siegels gestellt. Die Erdknolle wurde nach ihrer Ankunft aus Südamerika zunächst als frutto del diavolo abgelehnt, allenfalls wurden ihre Pflanzen der schönen Blüten wegen in adligen Gärten kultiviert. Unter Mitwirkung von Wissenschaftlern auch der Universität von Bologna wurden zunächst medizinische, dann auch ernährungsrelevante Qualitäten der patate erkannt. Die heute unter der Bezeichnung Bologneser Kartoffel praktisch nur in der Region angebaute Varietät heißt Primura.

Es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass eine im November 2017 eröffnete Einrichtung gerade Bologna als Standort gewählt hat, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, vor allem Kindern und Jugendlichen die Qualität und Vielfalt der italienischen Lebensmittelkultur nahezubringen. Die →FICO EatalyWorld ist ein Freizeit- und Erlebnispark, bei dem es allerdings nicht um Comicfiguren geht, sondern um la cultura della coltura. Das Wortspiel funktioniert im Deutschen nicht: Im Italienischen meint ersteres Kultur im gesellschaftlichen Sinn, zweiteres die landwirtschaftlichen Techniken von Ackerbau und Viehzucht (agricoltura = Landwirtschaft).

kulinarischer Freizeitpark

Der Park bietet auf rund 20ha (etwa 40 Fußballfelder!) eine ebenso vergnügliche wie spannende und informative Mischung aus Abenteuer, Begegnung mit Erzeugern und Erzeugnissen, vielen Gaumenerlebnissen und einen vor allem für Stadtkinder neuen Einblick in die ländliche Welt, aus der viele ihrer täglichen Nahrungsmittel kommen.

Das große O im FICO-Logo ist durch eine stilisierte Feige gebildet, die auf Italienisch ebenfalls fico heißt und allgemein als Königin der Früchte gilt. Aber FICO steht für Fabbrica Italiana Contadina, ländlicher italienischer Erzeugungsbetrieb. Teile des kulinarischen Freizeitparks sind denn auch wie reale Bauernhöfe gestaltet, auf denen Schweine, Schafe, Rinder und allerlei Geflügel leben, Oliven- und Obstbäume sowie Wein und Gemüse wachsen. In Workshops wird den Kindern und Jugendlichen, als Familie oder in ganzen Schulklassen angereist, coltura nicht nur erklärt, sondern real und durch Mitmachmöglichkeiten erlebbar gemacht.

Wie z.B. aus Milch panna und formaggio, aus Fleisch prosciutto und mortadella oder aus Getreide pane und pasta entstehen – und natürlich sehen auch manche Eltern und Lehrer so etwas zum ersten Mal. In professionellen Lehrküchen und unter fachkundiger Anleitung können die jungen Besucher aus den Lebensmitteln eigene Köstlichkeiten zubereiten. 

Für viele Kinder das erste Mal, dass sie etwas Selbsgekochtes genießen, und das aus Zutaten, über die sie nun etwas erzählen können – welch ein Erlebnis!

Mit dem englischsprachigen Namens-Wortspiel aus Italy und eat wendet sich der Park auch an internationale Besucher. Der informative und pädagogische Anspruch ist natürlich mit dem langfristigen kommerziellen Interesse verbunden, etwas für die Kundschaft der Zukunft zu tun. Aber allemal besser so, als das Feld einer vereinheitlichten Fastfood- und Fertiggerichtindustrie zu überlassen.

Die Erlebniswelt reiht sich ein in etliche andere Initiativen, Kindern die Grundlagen ihrer Nahrung näher zu bringen, wie z.B. das Projekt Slow Kid der Organisation →Slow Food. An Einzelinitiativen seien hier stellvertretend nur die auch aus dem deutschen Fernsehen bekannte österreichische Köchin Sarah Wiener oder ihr englischer Kollege Jamie Oliver genannt, die sich diesem Ziel in besonderer Weise verschrieben haben.