Ulis Culinaria

Nice

Markt auf der Cours Saleya

mediterrane Genüsse

Dass sich auf der Promenade des Anglais entlang der Baie des Anges nicht nur Engländer, sondern die Reichen und Schönen des internationalen Jet-Sets tummeln, hat der alten Fischer- und Hafenstadt mondänes Flair verpasst.

Die ursprünglich griechische Siedlung wird im 1.Jh.n.Chr. als nicaea erwähnt. Dies ist abgeleitet von griechisch nikaia für Sieg bringend und erinnert an die Siegesgöttin Nike. Dennoch wurde die Grenzstadt immer wieder zum Spielball der Geschichte. Als Nizza gehörte sie mal zu Italien (der italienische Volksheld →Garibaldi wurde 1807 hier geboren!), seit 1860 belegt die Namensform Nice ihre Zugehörigkeit zu Frankreich.

Deshalb vereinigen sich in den cuisines niçoises auch französische wie italienische Einflüsse zu mediterranen Genüssen vom Feinsten.

Das wohl weltweit bekannteste namentlich an Nizza gebundene Gericht ist die

Salade niçoise.

Auch wenn nach dem Rezept des großen →Escoffier, in unmittelbarer Nachbarschaft geboren, gekochte Kartoffeln und Kapern in die Schüssel gehören, beschwören Puristen in Nizza die Beschränkung auf: Blattsalate, Lauchzwiebeln, Tomaten, ganz junge Artischocken, rote oder grüne Paprikaschoten, Oliven und Anchovis. Die einzigen gekochten Zutaten sind kleine grüne Bohnen, geviertelte Eier und in Öl eingelegter Thunfisch.

Salade niçoise

Der berühmte Salat galt ursprünglich eher als Speise der ärmeren Bevölkerung, die in der Schüssel das vereinigte, was das eigene bescheidene Gärtchen und die nicht verkaufte Ausbeute des letzten Fischzuges gerade hergaben. Gerne bröckelte man noch etwas vom trockenen Brot des Vortages dazu. Das pan (occitan für pain/Brot) wurde durch das bagna (bain/Bad) in der Vinaigrette wieder genießbar.

Inzwischen hat sich in der vom Tourismus begünstigten →Sandwich-Kultur das Verhältnis umgedreht: In eine aufgeschnittene Baguette oder ein Brötchen werden – in unterschiedlichen Kombinationen – jene Zutaten verpackt, die auch in die Salade niçoise gehören.

Den Snack bekommt man, als Alternative zur oft völlig überteuerten Restaurant-Version des Nizza-Salates, praktisch an jeder Straßenecke als Pan bagnat.

Pan bagnat

Olives de Nice

Die lokale Note verleihen dem Salat die Olives de Nice (→AOP), auch einfach Niçoises genannt, und das aus ihnen gepresste Huile d’Olives de Nice (AOP). Die Sorte mit den kleinen, aber aromatischen Früchten wird in Italien taggiasca genannt (→Taggia).

Welche Version des Salates Asterix und Obelix als Salade Nicaeoise von ihrer Tour de Gaule mitbrachten, lässt der Comic offen. Auf jeden Fall waren keine Tomaten dabei, da diese erst im 16.Jh. den Weg von Lateinamerika nach Europa fanden.

Caviar à la niçoise

Feingehackte schwarze Oliven, Kapern, Sardellen und Basilikum werden mit Olivenöl angemacht und als Caviar à la niçoise mit geröstetem Brot zu einer würzigen Vorspeise.

Sardellen und Kapernäpfel

Daube à la niçoise

Eher für die Wochen des bitterkalten Nordwindes mistral eignet sich die Daube à la niçoise. Das Schmorgericht aus Rindfleisch, Speck, Schinken und Karotten wird traditionell in der daubière zubereitet, einem geschlossenen, bauchigen Tontopf, den man früher direkt in die Glut stellte. Dazu kommen reichlich Knoblauch, ein bouquet garni und eine gute Prise →Cayennepfeffer. Der Vin rouge de Provence, der zum Angießen genommen wird, bekommt alkoholisch-geschmackliche Unterstützung durch ein gutes Gläschen branda. So wird der nur aus ansässigen Rebsorten gebrannte Tresterbrand (frz. marc) genannt.

Natürlich gelingt die doba à la nissarda, so auf provençalisch, auch in einem normalen Bräter (Gusseisen z.B.) und schmeckt, wie viele Schmorgerichte, noch besser, wenn sie am nächsten Tag nochmal aufgewärmt wird – falls überhaupt etwas übrigbleibt!

traditionelle Daubière (Foto. Gérard Cohen)

Sole meunière à la niçoise

Seezunge, auf Müllerin Art zubereitet und mit einem Kompott aus Tomaten und Knoblauch angerichtet, steht in den Kochbüchern von →Bocuse als Sole meunière à la niçoise.

Flan à la niçoise

Mit flan sind im Französischen normalerweise puddingartige, süße Desserts aus Milch und aufgeschlagenen Eiern mit diversen schokoladigen, fruchtigen oder anderen Zutaten gemeint.

Hier nun mal eine herzhafte Variante: Flan à la niçoise ist ein Mürbeteigboden, auf dem im Ofen eine Eiermilch mit Tomaten, Sardellen und schwarzen Oliven zum Stocken gebracht wird.

Pissaladière

Ein ähnlicher Belag wie bei obigem Flan kommt auch auf die pissaladière, ein Fladenbrot, das die kulinarische Nähe Nizzas zur italienischen →Pizza-Kultur verdeutlicht. Das hat allerdings nichts mit dem ähnlich klingenden Wortanfang pissa… zu tun. Der Name des →fougasse-ähnlichen Fladens bezieht sich auf das pissalat, mit dem der pâte de pain (Brotteig) vor dem Backen dick bestrichen wird. Dafür werden mild-süßliche Zwiebeln mit gehackten →anchois, olives de nice (s,o.) und evt. fines herbes de Provence (Kräutern der Provences) in Olivenöl angeschwitzt. Pissalat ist abgeleitet vom provençalischen peis sala, französisch poisson salé, gesalzener Fisch. Auf das Pissalat kommen zur Dekoration der Pissaladière noch ein paar ganze Anchovi-Filets und (manchmal entsteinte) schwarze Oliven.

Eine Pissaladière kommt meist ohne Nennung des Städtenamens und nicht nur in Nizza auf den Teller (oder im Straßenverkauf auf die Hand), aber der Anspruch der niçois/es auf die Herkunft wird von niemandem bestritten!

Die Sardellen kommen auch in eine Suppe, die sich von den vielen Fischsuppen aus anderen französischen Küstenstädten unterscheidet: Während in eine →marmite, eine →bourride oder in die berühmte →bouillabaisse Fische im Erwachsenenalter landen, werden für die Soupe de Poutine à la niçoise noch ganz junge Sardinen und Sardellen gefangen. Die Jungfische von Sardina pilchardus und Engraulidae engrausicolus heißen – zwischen Larvenstadium und Geschlechtsreife – auf Französisch alevins, im franco-italo-Dialekt von Nizza poutine oder poutino.

Traditionell zog man die noch fast gläsernen Fischlein mit sog. sennes, (deutsch: Waden-Netzen) direkt an den Strand. Die Intensivierung dieser Methode und immer enger werdende Maschen brachten schon im 18./19.Jh. Sardinen und Sardellen in den Kreislauf der Überfischung, und gerade noch rechtzeitig konnte durch strikte zeitliche Einschränkung (15. Januar bis 15. März) und durch vorgeschriebene Mindestweite der Maschen ein Verschwinden der Schwärme verhindert werden.

Die kleinen Fische können im Ganzen, also ohne sie auszunehmen, zubereitet werden und brauchen nur ganz wenig Hitze. Für die Soupe de poutine kommen sie nur wenige Minuten vor dem Servieren in eine gute Gemüse-Bouillon. Aber auch in einem Omelette, zu Pasta oder mit Ausbackteig in Frittierfett getaucht sind sie beliebt. Oder man genießt sie wie ein →ceviche, roh und mit Zitronensaft oder vinaigre und einer Prise →fleur de sel mariniert als Salatbeigabe – oder einfach als würzigen Snack.

Etwas völlig anderes bezeichnet das Wort poutine in Quebec, dem französischsprachigen Kanada: Dort verschlingt man (ja, ich rede bewusst nicht von Genuss …!) unter dem Namen eine meist übergroße Portion von (wenn man Glück hat, einigermaßen knusprigen) Pommes Frites mit zerbröseltem Frischkäse und einer undefinierbaren, süßlichen braunen Sauce …

Soupo de poutino à la nissarto

Ronde de Nice

Ursprünglich aus Südafrika stammt eine kugelförmige, an Melonen erinnernde Zucchini-Sorte, die als Ronde de Nice vermarktet wird und eine Zwillingsschwester des Tondo di →Piacenza darstellt. Die etwa 10cm dicken Früchte dieser Varietät von Cucurbita pepo pepo werden gerne ausgehöhlt, das feine aromatische Fruchtfleisch mit Hackfleisch zu einer Masse vermengt und die damit gefüllten Zucchini im Ofen gebacken.

Die Blüten von courgettes, wie Zucchini im Französischen heißen (Diminutiv von courge, Kürbis, →Étampes), werden ebenfalls kulinarisch verwertet. Am einfachsten tunkt man die gelb-orangefarbenen fleurs de courgettes in einen dünnen Ausbackteig und fritiert sie in gutem Olivenöl als Vorspeise.

Oder: Gefüllt z.B. mit dem Stockfischpüree brandade de morue (→Nîmes) und im Ofen, evt. mit Käse, überbacken geben sie durchaus einen Hauptgang ab.

Der Duft von Rosmarin, Thymian und all den anderen herbes de Provence, sonnengereifte, pralle courgettes, poivrons, aubergines und tomates, frisch vom Markt, dazu in der Nase die Würze von ail und oignons in heißem huile d’olives …

Dieses unvergleichliche kulinarische Wohlgefühl veschafft die Ratatouille wie kein anderes Gericht!

Gerichte mit geschmorten Zwiebeln und den typisch mediterranen Gemüse-Vertretern Zucchini (courgettes), Gemüsepaprika (poivrons) und Auberginen gibt es im ganzen Mittelmeer-Raum. In Italien die →Caponata, im Baskenland →Piperade und →Pisto, →Shakshuka im Maghreb und in Nahost, und noch einige weniger bekannte Gerichte.

Die Ratatouille, die ihre Bekanntheit nicht erst mit dem gleichnamigen (und äußerst lustigen!) →Animationsfilm von 2007 erlangt hat, wird mit Nizza verbunden, weil im Dialekt des früheren Comté de Nice mit dem Wort ratatoulho oder ratatolha seit jeher ein einfacher, aus der Soldatenküche stammender Gemüseeintopf bezeichnet wurde.

Wie bei vielen anderen Rezepten streiten sich auch hier die Puristen, die neben den genannten Gemüsesorten keine anderen zulassen, mit jenen, die je nach Marktangebot oder nach Lust und Laune auch mal Abänderungen vertragen. Rein optische Geschmackssache: hübsch im Kreis und im farblichen Wechsel oder, wie es sich für ein Ragout gehört, in harmonischem Chaos gemeinsam geschmort.

Ratatouille

Courge Musquée Longue de Nice

Den Moschuskürbis (botanisch Cucurbita moschata) findet man in verschiedensten Zuchtformen. In Frankreich kommt eine gelb oder grün bis violett gefärbte, meist länglich-flaschenförmige Sorte als Courge Musquée Longue de Nice auf den Marktstand. Bei einer Länge um 70 bis 80cm und guter Armdicke bringt sie bis zu 10kg auf die Waage. Der fast nur noch im Bio-Anbau produzierte Kürbis ist mit seinem festen, delikat-süßlichen Fruchtfleisch ein Alleskönner in der Küche. Unter anderem wird aus ihm das Purée à la niçoise, eine dicke, kräftig gewürzte Kürbissuppe.

Coupe niçoise

Als Dessert passt zu jeder Jahreszeit eine Coupe niçoise, in Curaçao marinierte Obststückchen mit Zitronensorbet. Die coupe bezeichnet das kelchartige Glas mit Stiel, in dem das Dessert angerichtet wird.