*1807 Nizza, †1882 Caprera
Im Ergebnis des Wiener Kongresses von 1814/15, bei dem die Großmächte die europäische Landkarte neu zeichneten, wurde der schon vorher bestehende bunte Flickenteppich nicht weniger bunt, sondern die Farben wurden nur etwas anders verteilt. Auch in Italien gab es Veränderungen. Die 20 heutigen Regionen des Landes spiegeln einigermaßen das Bild wider, das die Apenninen-Halbinsel mit den Inseln Sizilien und Sardinien noch bis ins 19.Jh. abgegeben hat. Eine Menge von mehr oder weniger selbständigen Königreichen, Fürstentümern und Kirchenstaats-Gebieten konkurrierten nicht nur wirtschaftlich miteinander, sondern fochten so manchen Streit auch kriegerisch aus.
Italien anfangs des 19.Jhs.
Das risorgimento, das Wiedererstehen des Nationalstaates Italien in der zweiten Hälfte des 19.Jhs., ist untrennbar verbunden mit dem Namen Garibaldi, der in seinem Kampf für die Überwindung der feudalistischen Kleinstaaterei den Ehrennamen eroe dei due mondi erwarb. Vielleicht gab schon seine Geburtsstadt, die als Contea (Grafschaft) zwischen Frankreich und dem Piemont mal Nice und mal Nizza hieß, den Anstoß, sich für eine Überwindung des Geschachers um Gebiets- und Herrschaftsansprüche einzusetzen. Zum Helden der zwei Welten wurde er, nachdem er sich bereits als 25-jähriger für das Ziel eines republikanisch vereinten Italien entschieden hatte. Wegen einer gescheiterten aufständischen Aktion wurde er 1834 zum Tod verurteilt und floh in die Neue Welt. In Brasilien und besonders in Uruguay wurde er mit militärischen Erfolgen im Kampf gegen die feudalen Strukturen zum Volkshelden.
1848, im Jahr der europäischen Revolutionen, kam er nach Italien zurück und nahm seinen Widerstand gegen die Habsburger in Norditalien, gegen die Bourbonen im süditalienischen Regno delle Due Sicilie, dem Königreich beider Sizilien, und gegen den mittelitalienischen Kirchenstaat um Rom wieder auf. Als Anführer kleinerer Trupps aus meist Freiwilligen errang er Erfolge in oft spektakulären Aktionen, bei denen ihm auch seine Herkunft aus einer Seefahrerfamilie und die Ausbildung an einer Schiffsjungenschule zugute kamen. Nach und nach wuchs auch in der Alten Welt sein Status als Volksheld. Nach der Ausrufung des italienischen Nationalstaates im Jahr 1861, vollendet durch die Einnahme des Kirchenstaates 1870, zog sich Garibaldi ins Privatleben auf die kleine Insel Caprera nordöstlich von Sardinien zurück.
Denn obwohl sein gesamtes politisches Wirken auch auf den Idealen der Französischen Revolution basierte und er die Franzosen noch im Krieg von 1870/71 gegen die Deutschen unterstützt hatte, passte es ihm überhaupt nicht, dass Nizza nun endgültig zu Nice geworden war. Aber bis heute begegnet man Garibaldi in unzähligen italienischen – und selbst in etlichen französischen – Orten in Straßennamen, als Statue auf öffentlichen Plätzen, in der Benennung von Schulen und vielem mehr. Und auf Porträts und Gemälden wird der Volksheld meistens in einem orange-roten Waffenrock dargestellt. Diese giubba rossa war über die Jahre zum Erkennungszeichen Garibaldis und seiner Kampfgefährten geworden. Vor allem seit der legendären spedizione dei mille, dem Zug der Tausend Soldaten, mit denen Garibaldi 1860 auf Sizilien landete, um die Herrschaft der Bourbonen zu beenden, sprach man ehrfurchtsvoll von den Rotjacken.
Ein beliebtes Erfrischungsgetränk, das als Aperitif in den meisten italienischen Restaurants angeboten wird, ist ein mit Campari gemischter Orangensaft, bei uns meist als Campari Orange bestellt. Die besten Orangen kommen – so behauptet man jedenfalls dort – aus Süditalien und von der Insel Sizilien. Und manche sehen in der Kombination des karminrot gefärbten Bitter-Likörs mit frischem Orangensaft die farblich-kulinarische Verbindung der giubba rossa mit der Insel, auf der Garibaldi mit dem Zug der Tausend einen entscheidenden militärischen Erfolg errungen hat. Deshalb wird der Drink vom italienischen barista, aber auch vom internationalen bartender gerne als Garibaldi angeboten.
Eine andere Begründung für diese Namensgebung sieht ganz schlicht in der Vereinigung des norditalienischen Campari mit den süditalienischen arance ein Symbol der Einheit des Landes, für die Garibaldi eben so leidenschaftlich gekämpft hat.
In der Regel besteht das Mischungsverhältnis etwa in einem Drittel Campari zu zwei Dritteln Orangensaft. In Bars wird der Garibaldi manchmal zu einem wirklichen Cocktail durch einen Schuss Gin, etwas Champagner oder andere Zutaten, chic garniert mit einer auf den Glasrand gesteckten Orangenscheibe. Aber in welcher Version auch immer: Zum Ausgleich des heißblütigen Temperaments des Namensgebers schmeckt der Garibaldi am besten eisgekühlt!
Die Erfindung des Bitterlikörs durch Gaspare Campari in der Lombardia wird in die Mitte des 19.Jhs. datiert. Ob allerdings Garibaldi ihn je selbst gekostet hat, ist nicht überliefert. Seinerzeit erhielt der Aperitif seine leuchtend rote Farbe noch durch Karmin, das von weiblichen Cochenille-Schildläusen gewonnen wird, inzwischen werden synthetische Farbstoffe zugesetzt. Der Bittergeschmack kommt von Chinin und der Schale von Bitterorangen, die genaue Rezeptur ist natürlich strengst gehütetes Geheimnis.
Auf mehreren Gemälden und Fotografien trägt Garibaldi eine kreisrunde, schirmlose Kopfbedeckung mit gerade hochstehendem Rand. Die eigenartige, zur traditionellen Tracht sizilianischer Bauern gehörende coppola schätzte er vielleicht als Reminiszenz an die Insel seiner größten Siege. Später galt die abgeflachte und mit Schirmbogen an der Vorderseite versehene Version der coppola, die im Deutschen Schiebermütze genannt wird, als die typische Kopfbedeckung sizilianischer Mafiosi. Das Wort ist die sizilianische Dialektform von cappello, italienisch für Hut.
Dass der Regisseur der Mafia-Film-Trilogie Der Pate (Originaltitel The Godfather, 1972/1924/1990) ausgerechnet Francis Ford Coppola hieß, ist zwar purer Zufall, aber ein durchaus passender Zufall!
In etlichen italienischen Kochbüchern hat man das Kleidungsstück zur Benennung eines deftigen Nudelauflaufs herangezogen. Man erzählt, das Gericht sei von einem Koch zu Garibaldis Ehren kreiert worden, als dieser sich im Oktober 1860 mit Vittorio Emanuele II traf, dem ersten König einer konstitutionellen Monarchie im vereinten Italien.
Für die Zubereitung einer Coppola di Garibaldi benötigt man eine kreisrunde Form, am besten mit einem Kamin in der Mitte wie bei einem Kugelhupf oder einem →Savarin, was eine gleichmäßigere Hitzeverteilung bewirkt. Das gut ausgebutterte Gefäß wird mit hauchdünnen Scheiben eines würzigen Kochschinkens ausgekleidet. Italien ist zwar eher berühmt für prosciutti crudi, für Rohschinken, angefangen bei Prosciutto di →Parma bis zu →San Daniele und vielen anderen. Aber es wird auch hervorragender →prosciutto cotto produziert, die besten aus dem Fleisch von →suini neri, den schwarzborstigen Schweinen, die sich u.a. in den Nebrodi-Bergen im Norden Siziliens an Eicheln sattfressen.
Also, eine weitere Portion eines solchen feinen Schinkens wird in Streifchen oder Würfelchen geschnitten und mit vorgekochten – al dente, versteht sich! – Tagliatelle und Erbsen vermengt. Manche Rezepte geben zusätzlich Pilze und weitere Zutaten an. Aber in jedem Fall kommen reichlich Würfel von Mozzarella dazu. Den Käse findet man ebenfalls in ganz Italien, aber nur der echte, d.h. der aus Büffelmilch hergestellte und als →DOP geschützte →mozzarella di bufala campana bringt wirklich Geschmack mit und kommt aus der süditalienischen Region Campania. Würze bringen kleingewürfelte, in Olivenöl angeschwitzte Zwiebeln, Salz, Pfeffer und Muskatnuss. Weitere Geschmacksgeber wie Knoblauch, mediterrane Kräuter usw. sind natürlich ebenfalls willkommen. Die Mischung wird in die Form gefüllt und mit einer muskatgewürzten →besciamella übergossen.
Bei 180°C im Ofen darf die Bechamel nun eine schöne goldbraune Kruste bilden. Das kann noch knuspriger und würziger ausfallen, wenn vor dem Ofengang zusätzlich etwas geriebener →Parmigiano oder →Pecorino rieselt. Nach einer guten halben Stunde wird der Auflauf auf eine Platte gestürzt.
Die Form erinnert nun tatsächlich an die von Garibaldi getragene Mütze, und zudem lässt der in der Hitze errötete Kochschinken, der nun die Oberfläche bildet, noch einmal die giubba rossa aufblitzen.
Sowohl Alexandre →Dumas, Unterstützer und Freund Garibaldis, als auch Auguste →Escoffier erwähnen in ihren kulinarischen Werken Timbales à la Garibaldi, allerdings ohne weitere Beschreibung.
In den kleinen, zylindrischen Förmchen, die in der französischen Küche timbale (dt.: Trommel) oder ramequin heißen, entsteht eines der bekanntesten Desserts, die crème caramel. Aber man bereitet häufig auch Soufflés oder auflaufartige Gerichte darin zu, die dann direkt aus dem Ofen als Einzelportion serviert werden können. Es könnte sich also durchaus um die verkleinerte Ausgabe der coppola handeln.
Einen weniger kämpferischen, aber auch nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Risorgimento hat der 13 Jahre nach Garibaldi geborene Feinschmecker und Autor Pellegrino →Artusi geleistet. Er hielt sich aus dem politischen Prozess der Einigung des Landes weitgehend heraus, sympathisierte aber durchaus mit den Ideen Garibaldis. Für sein Hauptwerk La Scienza in cucina e l’Arte di mangiar bene (Die Wissenschaft der Küche und die Kunst, gut zu essen) hatte Artusi jahrelang die Regionen Italiens bereist und die unterschiedlichen Küchengewohnheiten studiert. Als das Buch dann 1891, also gut zwei Jahrzehnte nach dem Abschluss des Risorgimento, erschien, zeigte es auf köstliche Weise, dass eine nationale Einheit auch am Herd praktikabel ist, wenn die Vielfalt nur nicht zum Einheitsbrei verkocht wird.
Ein leuchtend orangeroter (kulinarisch leider nicht interessanter) Meeresfisch wurde von Zoologen Hypsypops rubicundus getauft. Der erste Namensteil ist ein aus dem Griechischen gebildetes Phantasiewort (wörtl. hohes Auge) und charakterisiert die Kopfpartie des Fisches als hochwangig. Der zweite Namensteil bezieht sich auf die Farbe. Beide Charakteristika zusammen erinnern an den Freiheitskämpfer und seine Rothemden, weshalb der Fisch in Italien Pesce Garibaldi heißt. Auch im Deutschen und in anderen Sprachen findet die Namensverbindung statt: Garibaldi-Fisch, ~-fish, nazwą garibaldi (poln.), el garibaldi (span.), Garibaldifisk (schwed.) etc. Die Franzosen meinen es besonders nett und nennen das Fischlein Demoiselle Garibaldi …