Ulis Culinaria

John Montagu, 4th Earl of Sandwich

*1718, †1792 Chiswick

Viele Methoden, Lebensmittel zu einer genießbaren Mahlzeit zuzubereiten, sind weniger aus kreativem Geist oder aus reiflicher Überlegung entstanden, sondern aus Fehlern und Zufällen. Oder, wie man hier sieht, aus purer Bequemlichkeit.

Denn während einer ausgiebigen Partie Cribbage überkam John Montagu der Appetit. Da er jedoch keine Lust hatte, das fesselnde Kartenspiel zu unterbrechen, ließ er sich von einem Rinderbraten ein paar dünne Scheiben schneiden und einfach zwischen zwei Scheiben Kastenweißbrot servieren. So konnte er seinen Hunger stillen, ohne die Finger und die Spielkarten zu beschmutzen. Und da sich der Earl diese praktische Mahlzeit zur Angewohnheit machte, bestellten nach und nach auch Mitspieler so eins wie das von Sandwich.

Th.Gainsborough, Portrait Earl of Sandwich, 1783

Diese Begebenheit soll sich in den 1760er Jahren zugetragen haben, auch wenn ein späterer Biograf die Szenerie lieber an den Arbeitstisch des Earls als an den Kartentisch verortete.

Jedenfalls hatte John Montagu zu jener Zeit bereits eine wechselvolle Karriere beim britisch-königlichen Militär und in der Politik hinter sich. Aber in keinem dieser Gebiete hat er offensichtlich, im Nachhinein betrachtet, so viel Engagement gezeigt wie beim Cribbage-Spiel. Die diversen Ämter, wie z.B. das des Marineministers, verdankte er weniger irgendwelchen nachgewiesenen Qualifikationen als seinem geerbten Adelstitel. Der ist benannt nach der alten Hafenstadt Sandwich an der Südost-Spitze der britischen Insel. 

Immerhin wurde auf Vorschlag des Earls of Sandwich der berühmte Seefahrer James Cook 1771 zum königlichen Fregattenkapitän ernannt. Drei Jahre später bedankte sich Cook, indem er ein im Südatlantik neuentdecktes Archipel South Sandwich Islands nannte. Die Inselgruppe gehört bis heute zu den britischen Übersee-Gebieten.

Doch schon zu Lebzeiten war der öffentliche Ruf Montagus durch Korruptions- und Unfähigkeitsvorwürfe ziemlich ruiniert. Die hier abgebildete Karikatur von 1780 macht sich lustig über die State Tinkers, die staatlichen Kesselflicker: … In stopping of one hole_ they’re sure to make Two, während sie versuchen, ein Loch zu flicken, machen sie unweigerlich zwei neue. Der Earl of Sandwich ist links in Marine-Uniform dargestellt, wie er mit dem groben Vorschlaghammer zu Werke geht.

Seine endgültige Entlassung aus dem Amt des First Lord of the Admiralty wurde von eben jener Admiralität mit Erleichterung begrüßt.

Auch das als finger food zwischen zwei ziemlich geschmacksneutrale Brotscheiben geklemmte Bratenfleisch ist ja nicht unbedingt eine großartige kulinarische Erfindung. Aber immerhin hat sich das Prinzip unter dem Sammelbegriff Sandwich vom Kartenspiel-Imbiss des englischen Grafen aus zu einem weltweiten Erfolgsmodell mit unzähligen Variationen entwickelt. Zunächst wurde es als Pausenbrot in Schule und Beruf oder als Reiseproviant beliebt. Im Zuge der wachsenden Mobilität im Alltagsleben stellt es bis heute einen wichtigen Sektor des street food dar.

finger food

In Großbritannien wird noch vielfach die Tradition des five-o-clock-tea gepflegt. Dazu werden meistens scones serviert, ein süßes Kleingebäck. Wer aber etwas Herzhaftes bevorzugt, nimmt gerne ein Sandwich zwischen die Finger.

Als gemeinsames Merkmal eines klassischen Sandwichs gilt die Verwendung von Toastbrot, also Weizenmehlbrot ohne spürbare Kruste, in Kombination mit Fleisch-Schnitten. Allerdings hat das Fleisch längst eine schier unbegrenzte Auswahl an möglichen Begleitungen gefunden. Fast alle Arten roh essbaren Gemüses eignen sich, zum Standard gehören Kopfsalat, Zwiebeln, Tomaten sowie Salat- und Essiggurken. Dazu kommen unterschiedlichste Würzsaucen wie Senf, Ketchup, →Mayonnaise oder Remoulade in beliebigen Zusammenstellungen. Auch das Rindfleisch selbst ist nicht mehr die einzig mögliche Grundzutat, genauso gerne nehmen diese Rolle Geflügel, Schinken, Wurst oder Fisch, vor allem Thunfisch, ein. Natürlich kommen auch Vegetarier und Veganer zu ihrem Sandwich. Im Gegenzug genießen Fleischpuristen ein deftiges Schnitzel-Sandwich, das in seiner sparsamen Beigabe von pflanzlicher Kost dem Urtyp des Earls recht nahe steht.

das Sandwich

Typisch ist die quadratische Form der Brotscheiben, die nach dem Belegen meistens diagonal halbiert werden. Eine Schwierigkeit besteht darin, die Zutaten so zu wählen und zu verstauen, dass sie nicht schon beim Anheben oder spätestens beim Anbeißen des Sandwiches die Flucht ergreifen, um dann auf der Kleidung oder auf dem Boden zu landen. Denn der schon von Montagu gewollte Sinn des Ganzen war ja, dass man es gefahrlos aus der Hand verspeisen kann. Wer also ein noch so kunstvoll belegtes Brot so gestaltet, dass man Messer und Gabel benötigt, darf in diesem Sinne eigentlich nicht mehr von einem Sandwich reden.

Natürlich ist die Kombination von in Scheiben geschnittenem Brot mit anderen Lebensmitteln nichts Neues, sondern so alt wie das Brot selbst. Aber von einem einfachen Wurst- oder Käsebrot, ob als Stulle, als Belegtes oder sonstwie bezeichnet, unterscheidet sich das Sandwich zum einen durch die zweite Scheibe als Decke und zum zweiten vor allem durch die vielfältigen, ja manchmal recht ausgefallenen Zutaten-Kombinationen. Auch bezüglich des Trägermaterials ist man längst nicht mehr auf das geschmacklich doch recht langweilige – und hinsichtlich der Stabilität meist unzureichende – Weißbrot beschränkt, das man in Folie verpackt im Supermarkt als Toastbrot findet, das man aber für ein Sandwich praktisch nie toastet. Auch phantasievoll belegte andere Brotsorten und diverse Brötchenvarianten bekommt man als Sandwich. Selbst die baguette­, das Nationalbrot der Franzosen, wird im Theken- und Straßenverkauf unter dem englischen Namen (aber mit nasalem sand) angeboten, wenn sie jambon, fromage und all die anderen üblichen Zutaten beinhaltet. In der Provence verpackt man den berühmten Nizza-Salat in ein aufgeschnittenes Brötchen und genießt ein →pan bagnat.

Wie bei fast allem Essbaren ist die Qualität auch beim Sandwich vor allem eine Frage der Frische. Das betrifft natürlich zunächst die Zutaten selbst, aber auch die Zeitspanne zwischen dem Belegen und dem Verzehren des Allrounders. Wenn ein solcher beispielsweise über viele Stunden im Supermarkt, an der Autobahnraststätte oder sonstwo im Plastikbehälter auf Käufer wartet, wandern gerne die flüssigen Elemente in das Brot, was das Ganze schnell zur matschigen, im wahrsten Sinne halt- und geschmacklosen Sache werden lässt.

2004 wurde im Walt Disney World Resort Florida das erste Restaurant der Fast-Food-Kette Earl of Sandwich eröffnet. Das Recht zur Vermarktung des altehrwürdigen englischen Adelstitels sowie des Konterfeis von John Montagu, dem 4. Earl, im Firmenlogo gewährte der ebenfalls John getaufte, 1943 geborene 11. Earl of Sandwich.

Zwei in diesem Lexikon beschriebene Beispiele für die weltweite Beliebtheit des Snacks sind das Sanduiche Bauru aus Brasilien und das Sándwich Barros Luco aus Chile. Bei beiden kommt auch eine zusätzliche Abwandlung des Ur-Sandwichs zum Einsatz, nämlich die Geschmackserweiterung durch geschmolzenen Käse. Zu diesem Zweck haben sich die Küchentechnik-Hersteller natürlich längst mit dem Sandwich-Maker oder ähnlich benannten Geräten etwas Passendes ausgedacht. Immerhin wird hierbei das Toastbrot seinem Namen gerecht. In französischen Bistrots kennt man etwas ähnliches schon recht lange und bestellt es als croque-monsieur. Und die seit jeher vor allem in Deutschland zwischen ein aufgeschnittenes Brötchen geklemmte Bratwurst mit Senf ist im Prinzip nichts anderes als ein Sandwich. Ebenso sämtliche Variationen der Burger aus den entsprechenden Fast-Food-Durchlauferhitzern …

Sandwichplatten zur Wärmedämmung
Sandwich-Man

Das Prinzip Trägerschicht-Füllschicht-Deckschicht haben Bautechniker inzwischen als Sandwichbauweise auf verschiedene Verbundwerkstoffe übertragen, ein Sandwich-Kind hat ein älteres und ein jüngeres Geschwister, selbst in der Sprache der Erotik findet sich das Wort. Und in der Straßenwerbung des frühen 19.Jhs. kam der Sandwich-Man in Mode. Ein solcher armer Kerl, eingeklemmt zwischen großen Plakattafeln auf Brust und Rücken und oft zusätzlich in ein lächerliches Kostüm gesteckt, wurde vom Handel, von politischen Parteien und von anderen Interessengruppen gleichermaßen eingesetzt. Natürlich könnte er auch gut für eine Imbissbude werben, an der es eben jene belegten Brote gibt, denen er seinen Namen verdankt.

Und wer denkt bei all dem noch an den alten Earl of Sandwich …?