Unter allen Gerichten mit verschiedenen Fischen und Meeresfrüchten, die weltweit in Hafenstädten zur Küchentradition gehören (→Boston, Livorno, Venezia u.v.a.), gilt die
Bouillabaisse de Marseille
als die Königin. Vielleicht liegt das ja daran, dass bereits die Schönheitskönigin der antiken Götter, →Venus, ihren Gatten Vulcanus mit einer solchen Fischsuppe derart beschäftigte, dass sie sich ungestört ihrem Liebhaber Mars widmen konnte. Und natürlich, da sind sich marseillaises und marseillais sicher, hat Venus das Gericht so zubereitet, wie sie es noch heute tun.
Tatsache ist, dass bereits aus dem griechischen Altertum, auch aus der Gründungszeit von Massilia im 7.Jh. v.Chr., die Zubereitung von Mischgerichten mit Fisch und Meeresfrüchten überliefert ist.
Dass Asterix und Obelix während ihrer Tour de Gaule in Massilia einen Topf voll der Meeresköstlichkeit als Mitbringsel einpackten, könnte also durchaus passiert sein.
Die Bouillabaisse de Marseille ist der einzige Fischeintopf, dem die französische Post eine Briefmarke gewidmet hat (2005).
Die Bouillabaisse ist ein schönes Beispiel dafür, wie aus einer Speise armer Leute eine kulinarische Berühmtheit werden kann. Ursprünglich war der Eintopf eine einfache Fischermahlzeit, zubereitet aus den Fischen, die auf dem Markt keine Käufer mehr gefunden hatten. Das Fanggebiet waren vor allem die Gewässer der calanques de Marseille, der zerklüfteten und steilen Felsenküste des Mittelmeers südlich der Stadt. Deshalb werden die dort heimischen Fischarten unter dem Begriff poissons de roche, Felsenfische zubereitet.
Traditionell gesellen sich als poissons de roche zusammen:
congre (Seeaal), grondin (Knurrhahn), rascasse (Drachenkopf), lotte/baudroie (Seeteufel), loup de mer (Wolfsbarsch), rouget-barbet (Rotbarbe), merlan (Merlan oder Wittling), und, weil am zartesten, zuletzt Saint Pierre (Petersfisch, auch vive genannt). Weitere mögliche Teilnehmer des illustren Treffens sind langouste, langoustine und crevettes. Manchmal wandert noch die eine oder andere Muschel in den Topf, z.B. die moule (Miesmuschel) oder die telline (Tellmuschel).
Die Restaurants vor allem um den vieux port, den alten Hafen von Marseille, leben hauptsächlich vom Tourismus. Dort steht die Bouillabaisse natürlich auf jeder Speisekarte. Doch was man dort als solches für völlig überzogene Preise vorgesetzt bekommt, hat bezüglich der Fischvielfalt und -qualität, der Garmethode (das zeitaufwändige bolh-abaissa ist im Tourismusgeschäft eher hinderlich!) und anderer Feinheiten wie z.B. der getrennten Präsentation von Brühe und Fisch oder der Safranbeigabe leider oft nicht mehr viel mit dem Original zu tun. Das bekommt man eher, für angemessenes Geld und nach kleinem Fußweg, etwas abseits vom Hafen in einfachen Restaurants, in denen man die Einwohner der Stadt nicht nur als Service-Personal, sondern als Gäste treffen kann. In derlei negativen Auswirkungen des Massentourismus unterscheidet sich Marseille freilich nicht von tausenden anderer beliebter Reiseziele in aller Welt.
Schon 1980 haben ein paar Marseiller Gastronomen einen Versuch gestartet, den Imageverlust der Bouillabaisse zu stoppen. In der Charte de la Bouillabaisse haben sie ein paar Mindeststandads bezüglich der Auswahl der Fische, der Zubereitung und der Präsentation formuliert.
Da ein solches Fischgericht vom Tagesfang abhängig ist, schreibt die Charta keine feststehende Liste vor, sondern fordert, dass aus der hier präsentierten Reihe mindestens vier Arten vertreten sein sollten. Grundsätzlich sollen diese Fische separat von der Suppe serviert werden. Zwar können kleinere Fische durchaus mit dem Sud püriert und durchgesiebt werden, aber die größeren Fischstücke soll der Gast auch als solche erkennen können.
Und auf keinen Fall darf die Rouille mit den knusprigen Croutons fehlen (s.u.)!
Die Bezeichnung bouillabaisse leitet sich vom provençalisch/okzitanischen bolh-abaissa ab, was bedeutet, etwas sanft auf kleinem Feuer (abaissa, frz. feu abaissé) zu kochen (bolh, frz. bouillir). In der alten provençalischen Küche gibt es auch Rezepte für Bouillabaisse, bei denen kein Fisch im Spiel ist.
Eine weniger überzeugende Erklärung führt die Bezeichnung auf den okzitanischen Begriff bouille-peisses für eine bouillon de poissons, also schlicht Fischsuppe zurück,
Das Prinzip bolh-abaissa gilt heute wie früher: Die verschiedenen Fische und Krustentiere werden je nach Garzeit der Reihe nach in sanft siedender Brühe gegart.
Das gemeinsame heiße Bad besteht aus einer Fischbrühe mit Zwiebeln, Lauch, Fenchel und Knoblauch, später, nach der Entdeckung der Neuen Welt, kamen die Tomaten hinzu. Ein trockener Weißwein verfeinert das Aroma. Unabdingbar für die echte Bouillabaisse ist Safran, der für die typische geschmackliche und optische Färbung sorgt. Das Luxusgewürz kam aber bei dem ursprünglichen Mahl der Fischerfamilien sicher noch nicht in den Topf.
Eine ähnliche Crèmesauce wie die Rouille ist die Marseillaise, bei der das Corail einer klassischen →Mayonnaise beigemengt wird.
Anders als bei vielen Fischeintöpfen werden zunächst die passierte Brühe und im zweiten Gang die gegarten Meeresbewohner serviert. In den tiefen Teller mit der Suppe kommen croûtons, geröstetes Brot, und auf diese wiederum die rouille, eine pikante Crème aus Kartoffel oder eingeweichtem Weißbrot, Knoblauch, Seeigelrogen (corail, der auch von →Jakobsmuscheln stammen kann) und Olivenöl. →Cayennepfeffer bringt die gewünschte Schärfe dazu.
Ein bei Touristen beliebtes Mitbringsel sind die Navettes de Marseille. Über die Ursprünge dieses Biskuit-Gebäcks in Form von Schiffchen (frz. navettes) ranken sich diverse Legenden. Eine der am häufigsten zitierten besagt, dass ein Patissier namens Aveyrous die Navettes erfunden habe, nachdem in der Bucht des Lacydon, dem heutigen Vieux Port, eine hölzerne Marienstatue in einem Boot angeschwemmt worden war. Diese wurde bald zur Schutzpatronin der Seeleute erklärt, was die Schiffchenform nahelegt. Eine 11m hohe vergoldete Marienfigur mit dem Jesuskind auf dem Arm blickt noch heute vom Glockenturm der Basilique Notre-Dame-de-la-Garde über Hafen und Stadt. In der Kirche sind uralte Votivtafeln zu sehen, mit denen sich Seeleute für ihre Rettung aus Seenot bedankten.
Traditionell sind die Navettes mit →Orangenblütenwasser aromatisiert, heute bekommt man sie in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen.
Die 1781 von Aveyrous gegründete Bäckerei, heute unter dem Namen Four des Navettes (Schiffchen-Ofen) in 136, rue sainte gelegen, gilt als älteste boulangerie der Stadt.
Von Bäckerei-Kollegen in der italienischen Region Campania um →Napoli herum wird ein an →baguette erinnerndes Doppelbrötchen aus Bierhefeteig gebacken, das in Anlehnung an die französische Weißbrottradition Pane marsigliese, Marseiller Brot genannt wird. Marseille ist halt doch wesentlich näher an Neapel als die französische Hauptstadt, nach der das Stangenweißbrot sonst baguette de Paris genannt wird.