Ulis Culinaria

Genova

In der Hauptstadt der Liguria, seit der Antike wichtiger Handelshafen, erblickte um 1451 Cristoforo Colombo das Licht der Welt, deren Bild er selbst mit seinen Entdeckungsreisen entscheidend veränderte. Wenn er auch bis zu seinem Tod glaubte, den westlichen Seeweg nach Indien gefunden zu haben, verdanken wir ihm kulinarisch eine ganze Menge. Erst durch ihn kamen die Tomaten nach Europa, die heute als unabdingbarer Grundbestandteil der cucina italiana gelten, genauso wie die vielfältigen Paprikapflanzen (→Habana), die Kartoffel, der Truthahn und …und …und etliche andere Lebensmittel, die uns längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Und nicht wenige dieser kulinarischen Neulinge kamen im Hafen von Genova an.

Einfallstor für kulinarische Neulinge

Pesto genovese

Genua, so der deutschsprachige Ortsname, ist kulinarisch untrennbar verbunden mit einer pürierten kalten Sauce aus Basilikum, angerösteten pinoli (Pinienkernen), Knoblauch, parmigiano (und/oder pecorino), Salz und Olivenöl, dem

Pesto genovese.

Unter heiße pasta gemischt ein Hochgenuss! Der Begriff pesto, im ligurischen Dialekt pestú, bedeutet zerstoßen/zerrieben und leitet sich ab vom pestello, dem Stößel, mit dem der Basilikum, der Knoblauch und die Pinienkerne im mortaio, dem Mörser, zerkleinert werden. Das Gerät heißt z.B. in der Apotheke, wo man es zur Herstellung von Salben und Cremes verwendet, heute noch Pistill.

Dazu kommt soviel olio extravergine di oliva, dass eine pastöse Creme entsteht. Der geriebene Hartkäse hilft hierbei und verbindet zudem die starken Aromen von Basilikum und Knoblauch.

Am Besten schmeckt natürlich immer ein frisch zubereitetes Pesto aus guten Zutaten. Besonders geeignet, bei uns aber (noch) kaum erhältlich ist der Basilico genovese, eine →DOP-geadelte Sorte des Ocimum basilicum, die an den sonnigen Hängen des ligurischen Küstenstreifens besonders intensives Aroma entwickelt. Vor allem der Stadtteil Pra‘ im Westen von Genua, eingezwängt zwischen Meer und Steilküste, ist seit altersher für den Anbau von baxeicò (so heißt das feine Kraut in Ligurien) in Gewächshäusern berühmt, in denen die Kraft der Sonne sich zusätzlich verstärkt.

Ligurische Feinschmecker nehmen von diesem feinen Kraut sogar nur die jüngsten Blättchen am oberen Ende der Stängel, da sie das delikateste Aroma abgeben.

Basilico genovese

In den letzten Jahren haben Samen des Genoveser Basilikums auch Eingang in das Angebot des deutschen Gärtnereihandels gefunden. Die klimatischen Bedingungen ihrer ligurischen Heimat finden sie hier freilich kaum.

Auch hinsichtlich der übrigen sechs traditionellen Zutaten bestehen manche Pesto-Liebhaber auf besonderer Qualität: den Knoblauch beziehen sie aus →Vessalico im Westen Liguriens. →Parmigiano-Reggiano und →Pecorino stellen in der Regel keine Alternative dar, sondern kommen beide hinzu. Beim ersteren ist es die Alterungsstufe stravecchio, also mindestens drei Jahre gereift, beim Schafskäse kommt nur Pecorino Fiore Sardo in Frage, ein →DOP-geadelter Schafs-Hartkäse aus Sardinien.

Das feine Olivenöl kommt natürlich auch von ligurischen Olivenbäumen und trägt das →DOP-Siegel der Riviera Ligure (→Taggia).

Bei den Pinienkernen wird nicht etwa auf preiswerten Import aus Asien zugegriffen, denn die pinoli von Pinus pinea, der Europäischen Mittelmeerkiefer, zeichnen sich durch ein unvergleichliches harzig-würziges Aroma aus, das durch das Anrösten richtig zur Geltung kommt.

Und als Salz kommt nicht irgendein Natriumchlorid-Kristall in den Mörser, sondern vorzugsweise italienisches sale marino.

Solches Meersalz wird z.B. in →Trapani auf Sizilien gewonnen, wo übrigens mit dem pesto alla trapanese eine weniger bekannte, aber keinesfalls weniger delikate Variante der Basilikumsauce zubereitet wird.

Die früheste schriftliche Rezeptfassung des heutigen Pesto findet sich im Buch Vera Cuciniera Genovese (Die wahre Genueser Köchin), in dem Emanuele Rossi 1852 ein pesto d’aglio e basilico beschreibt.

Es hat aber im moretum durchaus einen antiken Vorgänger. Vergil beschrieb schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert diese Creme aus diversen Kräutern, Frischkäse, gemahlenen Nüssen oder Samen und Olivenöl, die als Brotaufstrich bei den alten Römern beliebt war. Das Zerreiben der Zutaten zur glatten Masse nannte man moretarium, was sich auch im mortaio wiederfindet, dem Mörser.

Im benachbarten Süden Frankreichs ist eine ähnliche kalte Creme als pistou bekannt, bei der allerdings meist die Pinienkerne fehlen.

Minestrone alla genovese

Vollendet wird mit einem guten Löffel des Pesto Genovese auch ein Teller dampfender Minestrone alla genovese. Neben dem für die Nationalsuppe Italiens üblichen Gemüsemix kommt hier allerdings nicht Reis als Suppeneinlage zum Einsatz, sondern feine Fadennudeln.

Im Lebensmittelhandel findet man unzählige Pesto-Fertigprodukte, bei denen sich allerdings ein genaues Studium der Zutatenliste empfiehlt. Häufig wird der relativ teure Basilikum zu einem beträchtlichen Teil durch billigeres Grün wie z.B. Petersilie ersetzt sowie die Pinienkerne durch Cashew-Nüsse. Das unverwechselbare Basilikum-Aroma wird als Extrakt zugefügt. Auch beim Käse und beim Öl greifen die Hersteller oft zu preisgünstigeren Alternativen. Dazu kommen die üblichen Konservierungs- und Aromastoffe. Die auf dem Etikett in üppiger Frische dargestellten klassischen Zutaten entsprechen deshalb nicht unbedingt dem Inhalt des Gläschens, auch wenn es der Preis eigentlich vermuten ließe.

Farinata genovese

Antiken Ursprungs ist die Farinata (Fainá) genovese, ein dünnes Fladenbrot aus Kichererbsenmehl (ital. farina = Mehl). Römische Soldaten sollen es in Ermangelung anderen Kochgeschirrs im Feldlager auf ihren Schilden gebacken haben, heute verwendet man große runde Kupferbleche.

In der französischen Nachbarschaft, der Provence, kennt man die Farinata unter der Bezeichnung Socca.

Die Kichererbsen heißen im Italienischen ceci (Singular: cece). Dementsprechend genießt man die Farinata auch als

Cecina genovese

Kichererbse

Die Bezeichnung Kichererbse hat übrigens nichts mit dem verschmitzten Gelächter zu tun. Sie ist eine Eindeutschung des botanischen Namens Cicer arietinum, was wiederum auf den hebräischen Begriff khikar für die kugelige Form der Samen zurückgeht.

Diese Form hat ihr im Deutschen die Bezeichnung als Erbse (im Französischen als pois chiche) eingebracht. Sie gehört zwar auch zur Familie der Hülsenfrüchte (Fabaceae), ist aber mit der Erbse Pisum sativum nur entfernt verwandt. 

Den Artnamen arietinum hat sich wohl jemand ausgedacht, den die Form der aus den Schoten befreiten Früchtchen an die Schädelform eines Schafsbocks erinnert hat. Der Widder heißt auf Latein aries.

Die Kicherbse wurde wohl schon vor mindestens 8.000 Jahren, also in der Kupfersteinzeit, in Kleinasien zur Kulturpflanze und verbreitete sich in der Blütezeit des Hellenismus über Griechenland im gesamten Mittelmeerraum. Reis als pflanzliches Grundnahrungsmittel war noch nicht üblich, sodass cicer eine wichtige Rolle im antiken Speiseplan spielte. Auch im römischen Kochbuch von →Apicius ist die Kichererbse vertreten. 

Hummus

Die Kichererbse ist auch der Ursprung des Beinamens von Marcus Tullius Cicero, dem Gegenspieler von Julius Caesar im 1.Jh.v.Chr. Es wird vermutet, dass einer seiner Vorfahren den Spitznamen bekam wegen einer kicherbsenförmigen Warze im Gesicht.

Weiter nördlich konnte sie sich bis heute kaum gegen Weizen, Roggen und Co. durchsetzen. Hildegard von Bingen führte sie unter Heilpflanzen, und der Fakt, dass die rohen Samen giftig sind, machte sie nicht beliebter. Erst in jüngerer Zeit werden – Tourismus und orientalischer Imbiss-Bude sei Dank – typische Zubereitungen wie Hummus oder Falafel auch bei uns geschätzt. Und in vegetarische/vegane Ernährungskonzepte passt sich das Hülsenfrüchtchen hervorragend ein.

Falafel

Wer bei uns die →redensartliche Nadel im Heuhaufen sucht, der

cerca un cece nel mare

(der sucht eine Kichererbse im Meer). Und wenn er dabei aufgeregt plappert und sich verhaspelt,

parla con il cece in bocca

(spricht er mit einer Kichererbse im Mund).

Zum Testen der Ofentemperatur nahmen Bäcker früher gerne einen kleinen, flachen Hefeteigfladen. Mittlerweile hat sich dieser in Genua als Focaccia genovese, je nach Geschmack mit Oliven, Kräutern, Speck oder auch Trockenfrüchten verfeinert, zu einer eigenständigen Backware gemausert. Die ligurische Bezeichnung fugassa lässt die Verwandtschaft zur französischen fougasse erkennen, wie sie z.B. in →Foix gebacken wird.

Die italienische →Redensart

rendere pan per focaccia

heißt wörtlich, Brot für Focaccia zurückzugeben.

Im Deutschen entspricht das dem Vergelten von Gleichem mit Gleichem oder dem Heimzahlen mit gleicher Münze.

Focaccia genovese

Pansoti alla genovese

Eine typisch ligurische Variante von →paste ripiene (gefüllten Nudeln) sind die Pansoti alla genovese.

Einen wohlgenährten Bauch nennen Italiener pancia, die Genueser pansa. Die meist dreieckig gefalteten Nudel-Bäuchlein werden gefüllt mit Mangold, Borretsch und Ricotta; serviert werden sie mit salsa di noci, einer Sauce aus gemahlenen Pistazien, Pinienkernen und Walnüssen (ital. noci). Und nicht zu wenig aglio (Knoblauch)!

Teile von Rind und Kalb, die häufig (zu Unrecht!) als frattaglie (Schlachtabfälle) behandelt werden, finden Platz in der Cima alla genovese.

Ein flaches Stück aus der Kalbsbrust wird vorsichtig zu einer Tasche aufgeschnitten. Womit der Metzger diese nun füllt, ist von Betrieb zu Betrieb, von Region zu Region unterschiedlich. Aber meist besteht das kleingeschnittene Füllsel aus Hirn und Bries vom Kalb, aus seinen Hoden und Kuheuter vom Muttertier. Dazu kommen unterschiedliche Gemüse wie Erbsen, Karotten und Pilze sowie Butter und Käse. Die Erbsen werden gemeinsam mit Pistazien als typische grüne Pünktchen im Anschnitt sichtbar. Die Bindung besorgen Eier und Brotkrume, und meist Majoran und Knoblauch dominieren die Würzmischung.

Cima alla genovese

Die so gefüllte und sorgfältig vernähte Fleischtasche wird 2-3 Stunden sanft in Gemüsebrühe unter dem Siedepunkt gegart, um ein Platzen zu vermeiden. Während des Abkühlens wird die Cima mit einem Gewicht beschwert, was ihr die typische abgeflachte Form verleiht. In Scheiben aufgeschnitten bildet sie einen schmackhaften Bestandteil kalter Vorspeisen, wird aber auch als secondo piatto serviert, nach italienischer Menüfolge der Hauptgang. Die sehr aufwändige Zubereitung der Cima findet kaum noch in privaten Küchen statt, jeder Metzger in Genua und der ganzen Liguria bietet sie dafür in der Wursttheke an.

Der in Genova geborene bekannte cantautore (Sänger) Fabrizio de André (1940-1999) hat viele seiner Lieder im Genueser Dialekt geschrieben, darunter eines mit dem Titel A cimma, in dem er seine Heimatverbundenheit mit der lokalen Küchenspezialität verknüpft. Das italienische Landwirtschaftsministerium hat die hiesige Cima in die →PAT-Liste aufgenommen.

Ebenfalls als secondo könnte Budino alla genovese munden, ein warmer Hackbraten aus Kalbfleisch, Huhn und Schinken mit Hartkäse. Pellegrino →Artusi hat im 347. Rezept seines Buches La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene Fleisch vom vitella di latte (Milchkalb) empfohlen, also dem Kalb im Säuglingsalter. Alle Zutaten werden fein gehackt und, wie bei der obigen cima, mit Ei und Brotkrume gebunden. Die Mischung wird in einem flachen, irdenen Bräter im Ofen gegart. Die Bezeichnung budino erinnert an pudding, eine ähnliche Fleischzubereitung in Großbritannien (→Stornoway, Timoleague). Auch die französische boudin (→Rethel) hat nicht nur sprachliche, sondern küchentechnische Gemeinsamkeiten.

Zum Einmaleins der Konditoren gehört die

Genueser Masse

(französische pâtissiers nennen sie Pâte à génoise), eine Biskuit-Variante, bei der Eigelb und Eiklar nicht getrennt, sondern im →Wasserbad vereint schaumig geschlagen werden.

Der Golf von Genua, aber mehr noch der Atlantik liefert den Kabeljau für Stoccafisso alla genovese, Stockfisch (→Stokke) mit Wurzelgemüse, Pilzen, Pinienkernen und Oliven, die Beilage besteht aus Kartoffeln und Tomatensauce.

Der Hafen von Genua ist der größte marine Umschlagplatz Italiens, während die Fischerei hier kaum noch eine Rolle spielt. Dennoch veranstaltet Slow Food (→Bra) in Genua alle zwei Jahre eine internationale Konferenz unter dem Namen Slow Fish, die sich der nachhaltigen Fischerei widmet.

Nördlich des Porto Antico, des ältesten Hafens von Genua, liegt das Stadtviertel Lagaccio. 1593 ließ dort der berühmte Admiral Andrea Doria eine große Bäckerei ausschließlich für Schiffszwieback errichten. Das mit Fenchelsamen oder Anis aromatisierte und lange haltbare Hefeteig-Gebäck aus Mehl, Butter und Zucker sättigte allerdings bald nicht mehr nur Seeleute auf großer Fahrt, sondern erfreute als Biscotti del Lagaccio auch die daheimgebliebene Stadtbevölkerung. Die Bescheutti do Lagasso, wie sie auf genovese heißen, bekommt man, wenn man zum Selberbacken keine Lust hat, in jeder ligurischen Bäckerei und, in luftdichten Tüten, im Supermarkt.