Ulis Culinaria

Saint-Brieuc

liegt an der gleichnamigen Bucht an der Kanalküste der Bretagne im nordwestfranzösischen Département Côtes-d’Armor. Hier hat ein Mönch aus der Grande-Bretagne, genauer gesagt aus Wales (frz. Pays de Galles), Ende des vierten nachchristlichen Jahrhunderts ein Kloster gegründet. Der Mönch nannte sich Brioc und wurde später bretonischsprachig als Saint-Briec, schließlich Saint-Brieuc heiliggesprochen. Nach ihm wurde die um das Kloster herum entstandene Siedlung getauft, heute ein Hafenstädtchen mit rund 45.000 Einwohnern. Diese nennen sich selbt Briochins bzw. Briochines.

Les Côtes-d'Armor

das Land am Meer

Die baie de Saint-Brieuc, die sich von der Stadt aus V-förmig nach Norden öffnet, gehört weltweit zu den Buchten mit dem höchsten Tidenhub. Der Unterschied zwischen marée basse (Niedrigwasser) und marée haute (Hochwasser) beträgt durchschnittlich 6-7m, bei Springflut werden bis zu 13m erreicht. Die Pflanzen und Tiere, die mit diesen Extremen leben, bilden ein ganz besonderes Biotop, weshalb die Bucht von Saint Brieuc seit 1998 unter Naturschutz steht.

Davon profitiert auch die Coquille Saint-Jacques de la Baie de Saint-Brieuc.

Die hiesigen Vorkommen der Pecten maximus (→Jakobsmuscheln) waren wegen Überfischung fast erschöpft, als man strenge Regeln einführte: Der Fang wird durch Begrenzung der Schiffsgröße auf Küstennähe eingeschränkt. Deshalb ist eine schnellere Weiterverarbeitung und Verkauf an den Endkunden gewährleistet. 

La Coquille Saint-Jacques de la Baie de Saint-Brieuc

Am wichtigsten ist die zeitliche Begrenzung. Nur von Oktober bis April und nur 45 Minuten pro Tag dürfen die nur 180 lizenzierten Boote in das etwa 150.000ha große Fanggebiet zwischen der Île de Bréhat im Westen und dem Cap Fréhel im Osten ausfahren. In der übrigen Zeit lässt man den Muscheln Zeit für ihre Fortpflanzung, der beste Schutz vor Überfischung! 

Deshalb findet man auf den Fischmärkten auch keine Jakobsmuscheln aus der Bucht von Saint-Brieuc, bei denen sich neben der fleischigen noix, dem Schließmuskel, auch das orangerote corail, der Fischrogen, befindet. Wenn im Oktober die ersten Boote ausfahren, haben die Muscheln bereits abgelaicht, die nächste Generation kann heranwachsen.

Wegen all dieser Maßnahmen für eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen dürfen die Saint-Brieuc-Jakobsmuscheln mit dem begehrten →Label Rouge vermarktet werden. Und das, obwohl gerade das Corail eigentlich bei vielen Feinschmeckern wegen seiner kulinarischen Besonderheit auch besonders beliebt ist …!

Eine etymologische Theorie besagt, nach dem Ort sei eine in ganz Frankreich beheimatete Gattung von Backwaren benannt, nämlich die Brioche. Für diese Theorie spricht auch die oben genannte Eigenbezeichnung der Einwohner von Saint-Brieuc.

Unter brioche versteht man einen meist hochgewölbten Hefekuchen, aber vor allem auch den Teig, aus dem er gebacken wird. Er unterscheidet sich von anderem Hefeteig zum einen, weil Weizenmehl und Butter fast im Verhältnis 2:1 in Milch gerührt werden und Eier ebenfalls in größerer Anzahl als sonst beteiligt sind. Zum zweiten werden Gebäcke aus Briocheteig nicht mit kräftiger Kruste gebacken, sondern die goldgelbe Oberfläche bleibt weich, allenfalls entsteht eine dünne, leicht knusprige Schicht.

La Brioche

Vielerorts gelten Brioches als typisches Ostergebäck. Manche Kulturhistoriker stellen sie in die gleiche Tradition wie die Ostereier: Da Hennen nun mal nicht wegen der vorösterlichen Fastenzeit ihre Legetätigkeit einstellen, sammelten sich viele Eier an. Und teilweise wurden diese als bunt bemalte oder gefärbte Geschenke verteilt, wenn sie nach Karfreitag wieder gegessen werden durften. Oder man stellte mit ihnen eben reichhaltiges Backwerk her, das ebenfalls unter das kirchliche Fastengebot fiel. In den verschiedenen Regionen Frankreichs haben sich aus der brioche zahlreiche Varianten entwickelt, so z.B. die in diesem Buch erwähnten lokalen Spezialitäten aus →Metz, Pérouges, Saint-Genix oder Saint-Tropez.

Panettone

Auch in anderen Ländern gibt es solche der brioche ähnelnde Osterkuchen: In Deutschland der oft mit Nüssen, Rosinen oder Mohn verfeinerte Hefezopf oder der in ganz Italien beliebte panettone (→Milano). Das Gebäck kommt zwar meistens aus der süßen Ecke der Backstube, aber auch Liebhaber von Herzhaftem kommen auf ihre Kosten. Beliebt sind in Brötchenform gebackene Brioches als weiche Sandwich-Alternative zur knusprigen baguette (→Paris). Auch die weichen buns bei ham- oder cheeseburger ähneln der Brioche. Deutsche Auswanderer hatten das →Frankfurter/Wiener Würstchen in einem knackigen Brötchen in den USA eingeführt, wo es dann zum hot dog in dem brioche-weichen Teigling mutierte (→Philadelphia).

Es gibt noch ein paar weitere, von Saint-Brieuc unabhängige Erklärungsversuche zur Wortherkunft von brioche. Eher als dichterisch zu bewerten ist wohl die Vermutung von Alexandre →Dumas d.Ä., dem Schöpfer der Drei Musketiere, des Grafen von Monte Christo und des Grand dictionnaire de cuisine. Er ging davon aus, dass der Hefeteig ursprünglich mit dem Weichkäse aus der Brie gebacken worden sei und von ihm den Namen bekommen habe.

Die meisten Sprachkundler führen den Namen auf das französische Verb broyer zurück, das etwas zerstampfen bedeutet und von dem die alte nordfranzösische Form brier bekannt ist. Der Briocheteig wäre demnach also etwas Zusammengestampftes, was zumindest dem Knetvorgang entspricht.

Die letzte Königin Frankreichs war die in Wien geborene und mit Louis XVI vermählte Habsburgerin Marie-Antoinette. Ihr wird nachgesagt, sie habe, angesprochen auf die Not des Volkes, dem es selbst am Brot mangele, geantwortet, qu’ils mangent de la brioche! Meist wird der Satz mit dann sollen sie doch Kuchen essen! übersetzt. Seinerzeit, kurz vor der Révolution Française, war eine Brioche jedoch selten etwas so Reichhaltiges, wie wir es heute unter Kuchen verstehen, sondern eher ein einfaches, allenfalls leicht gesüßtes Hefebrot. Was allerdings den Spruch der Königin, sollte sie ihn tatsächlich geäußert haben, nicht weniger zynisch macht.

Die historischen Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich zeigen sich aber auch daran, dass die Brioche in kollegialer Anerkennung der →Wiener Bäckerkunst bis heute zu den viennoiseries gezählt wird, dem Feingebäck der französischen pâtisserie.