Ulis Culinaria

Milano

Die fruchtbare Ebene des Po mit seinen zahlreichen Nebenflüssen ist eines der letzten nennenswerten Reisanbaugebiete Europas. Kein Wunder also, dass auch in der Küche Mailands, der Hauptstadt der Lombardia, die wasserliebende Körnerfrucht eine wichtige Rolle spielt.

So werden, wie in ganz Italien, für Risotto-Zubereitungen natürlich einheimische Sorten bevorzugt wie Carnaroli und →Arborio oder, wie für das Risotto alla milanese, Vialone. Dieses Risotto mit Zwiebeln, Käse und Safran zeichnet sich vor allem durch die reichliche Beigabe von Rindermark aus.

Risotto alla milanese

Die Gemüsesuppe Minestrone alla milanese wird ebenfalls durch das Mitkochen von Reis angereichert. In südlicheren Landesteilen wird Minestrone, die italienische Nationalsuppe, eher mit kleinen Nudeln zubereitet. Die verschiedenen Gemüse werden nicht püriert, sondern in kleine Würfelchen geschnitten, die auf alle Fälle noch bissfest bleiben sollen. Deshalb werden sie je nach ihrer Garzeit nacheinander zugegeben. Also Wurzelgemüse zuerst, und, wenn vorhanden, der zarte Spargel zuletzt.

Minestrone alla milanese

Der Begriff minestra besagt allgemein, dass man, um etwas herzustellen, von allem ein wenig nimmt. In der Küche heißt das, dass ein bunter Mix aus allem in den Topf kommt, was die Saison gerade an Gemüse bietet. Die sprachliche Vergrößerungsform minestrone verspricht eine Suppe, die dank der Bindungskraft von Reis, Kartoffeln und anderen stärkehaltigen Zutaten etwas dicker ist als eine minestrina. Dieser Diminutiv bezeichnet eine klare, dünnflüssige Gemüsebrühe mit Reis oder kleinen Suppennudeln, pastine genannt.

Piccata milanese

Piccata milanese, dünn geschnittenes Kalbsschnitzel, unterscheidet sich von ihrer Schnitzel-Schwester aus →Wien vor allem durch den geriebenen Parmigiano, der beim Panieren anstelle des Paniermehls verwendet wird. Zu den piccate reicht man, neben Zitronenschnitzen (piccato bedeutet mit Zitrone gewürzt), häufig Nudeln und Tomatensauce, traditionell aber eine Zubereitung aus feingewürfelter Rinderzunge mit Schinken und Champignons, die schlicht als Milanese bezeichnet wird.

Anfang des 20.Jhs. wanderten zahlreich Italiener nach Argentinien aus. Ein kulinarisches Resultat stellt das Sandwich de milanesa dar, ein einfaches Schnitzelbrötchen, das in Südamerika ein beliebter Imbiss ist. Der Snack erinnert allerdings nur sehr entfernt an die hier erwähnten Fleischzubereitungen.

Piccata milanese
Cotoletta di vitello

Cotoletta alla milanese

Ähnlich paniert wird die Cotoletta alla milanese, ein am Knochen belassenes Kalbskotelett. Meistens wird im Unterschied zu den Piccate normales Paniermehl verwendet. Bei beiden aber gleich wichtig: Die Panierung muss nach dem Ausbacken goldgelb und knusprig sein! Der Fleischzuschnitt für die cotoletta (manchmal auch costoletta geschrieben) entspricht dem des T-Bone-Steak vom Rind (→Firenze, London), ist aber naturgemäß wesentlich weniger mächtig.

Auch wenn hier kein Fischgericht aufgeführt ist und die nächste Meeresküste rund 120km entfernt bei Genova liegt, besitzt Mailand mit dem Mercato Generale del Pesce den heute noch größten Fischmarkt Südeuropas, was historisch aus dem früheren Fischreichtum der Poebene zu erklären ist.

Ossobuco alla milanese

Ein Gericht von internationalem Renommé ist das

Ossobuco alla milanese.

Die ca. 5cm dick samt Röhrenknochen aus der Kalbshaxe geschnittene Scheibe wird langsam in Wein und/oder Brühe auf einem Gemüsebett geschmort und beim Servieren mit gremolata (oder -ada) garniert.

Diese Paste aus zerstoßener Petersilie, Knoblauch und Zitronen- oder Orangenzesten wird auf das im osso buco, im hohlen Knochen enthaltene Mark (it. midollo) gegeben. Klassische Beilage ist das o.g. Risotto alla milanese.

Cassoeula alla milanese

Ein deftiges Mahl für die in Alpennähe oft strengen Winter ist die

Cossoeula milanese.

Für den auch cazzuola oder cazzola genannten Eintopf werden Rippchen, Nacken und Füße vom Schwein zusammen mit Weißkraut, Wirsing und Sellerie geschmort. Das Gericht kennt man auch als Variante mit Gänsefleisch, was nicht nur namentlich an das französische cassoulet erinnert (→Carcassonne). Dort stellen statt des Kohls Bohnen den Grundanteil.

Bohnen spielen wiederum bei einer lokalen Kuttelzubereitung mit, die Trippa alla milanese oder Busecca milanese genannt wird und die neben allerlei Gemüse vor allem durch reichlich weiße Bohnen zur sättigenden Angelegenheit wird.

Asparagi alla milanese

Deutlich leichter geben sich dagegen Asparagi alla milanese mit Spiegelei und Parmesan. Am liebsten werden hierzu, wie auch für eine Frühjahrs-Minestrone (s.o.), die köstlichen Spargel aus dem nordlombardischen Ort →Cantello verwendet.

Vol-au -vent à la milanaise

In der französischen Küche bereitet man Königinpastetchen (→Leszczynska) aus Blätterteig mit einer Füllung aus Makkaroni, Schinken, Pilzen und Tomatensauce zu und nennt sie Vol-au-vent à la milanaise.

Dort kennt man Wirsing auch unter der Bezeichnung Chou de Milan oder Chou de Savoie. In alten deutschen Wörterbüchern firmiert entsprechend der Wirsing auch als Mailänder Kohl.

green and white vegetable leaf

Unter den Rezepten von Paul →Bocuse finden sich Œufs frits à la milanaise. Verlorene Eier werden in heißem Öl zubereitet und mit gegrillten Tomaten zu einem pastetenförmigen Gratin aus Nudeln und Käse gereicht. Auch hier gilt die Grundanforderung an →pochierte/verlorene Eier, dass das Eiklar gestockt ist, das Eigelb aber beim Zerteilen noch flüssig herausläuft.

Eine weitere Empfehlung des Königs der Köche: Timbale à la milanaise. Eine Charlotteform wird dünn mit Mürbeteig ausgekleidet und in wechselnden Schichten mit al dente gekochten Nudeln und einer financière genannten Zubereitung aus Hahnenkämmen, Kalbsbries und -nieren sowie Trüffel gefüllt und im Ofen gegart.

Panettone di Milano

Mailand wird als Geburtsort eines in ganz Italien beliebten Weihnachtskuchens angesehen, des panettone, im lombardischen Dialekt panaton genannt. Einem Weizen-Hefeteig mit reichlich Ei, Butter und Zucker werden frutta candita (Orangeat und Zitronat) und uvetta (Rosinen) beigegeben, Vanille liefert das charakteristische Aroma. Die Hefe bekommt für ihre Arbeit viel Zeit in einer langwierigen Teigführung mit mehreren Ruhephasen. Deshalb erinnert der Geschmack noch immer an das ursprünglich aus Sauerteig bestehende Urgebäck. Auch die außergewöhnlich lang anhaltende Frische und die Saftigkeit des Kuchens werden durch die geduldige Teigherstellung ermöglicht. Am Ende werden die Teigportionen in runde, hohe pirottini (Papiermanschetten) gefüllt, in denen sie ein letztes Mal aufgehen. Beim Backen wölbt sich die kreuzweise eingeschnittene Oberfläche zu einer leicht knusprigen Kuppel auf, während das goldgelbe Innere des turmförmigen Panettone zart und mürbe bleibt.

Zur Entstehung des Kuchens gibt es mehrere Geschichten, alle phantasievoll und denkbar, aber ohne historische Belege.

Eine fast märchenhafte Erzählung berichtet von einem verliebten Jüngling, der den Vater seiner Angebeteten, einen Mailänder Bäcker, mit dem neuen Kuchen so beeindruckte, dass dieser sofort einer Heirat zustimmte. Und wenn sie nicht gestorben sind …

Eine etymologisch phantasievolle Geschichte leitet den Namen des Kuchens von einem Bäckerlehrling namens Toni ab: Dieser soll einen etwas missratenen Teig durch Zugabe von Hefe, Rosinen und kandierten Früchten gerettet haben. Der danach erstaunlich gute Kuchen wurde als pane di Toni, als Brot von Toni gelobt.

Fromme Kuchenesserinnen und -esser behalten sich vom Weihnachts-Panettone ein kleines Stück für den 3. Februar auf. An diesem Tag feiert man San Biagio, den Heiligen Blasius von Sebaste, der Anfang des 4.Jhs. von der römischen Obrigkeit wegen seines Glaubens enthauptet wurde. Katholischer Sarkasmus: Deshalb gilt er als Schutzpatron vor kältebedingten Halsbeschwerden. Am 3. Februar wird dann also das Panettonestückchen mit dem Spruch San Bias el benedisse la gola e el nas! verspeist, Möge Sankt Blasius meinen Hals und die Nase segnen!

Zeitlich lässt sich nicht mehr sicher feststellen, wann der erste Panettone gebacken wurde. Jedenfalls gilt der

Panettone di Milano

als die originale Form des Gebäcks, die sich die städtische Bäckervereinigung als Marke schützen ließ. Der Schutz betrifft Mindestmengen bei den Zutaten (z.B. mindestens 20% des Gesamtgewichts für Rosinen und kandierte Früchte) und das aufwändige, handwerkliche Verfahren der Teigherstellung, nicht jedoch die geografische Herkunft. Industrielle Panettone-Produzenten gibt es mittlerweile in ganz Italien. Der Kuchen ist, ohne den Namen Mailand, eine der am häufigsten exportierten Backwaren des Landes und ist längst nicht mehr auf die Weihnachtszeit beschränkt, auch wenn dann die Verkaufszahlen jedes Mal stark ansteigen.

vor Weihnachten im Supermarkt

Im Handel sind die Panettone meist in dekorative Kartons verpackt, in denen sie auch nach dem Anschnitt gut aufbewahrt werden können.

Da der eierreiche Panettone das Ende des vorweihnachtlichen Fastens markierte, wird er auch gerne mit der Tradition von Osterkuchen verbunden. Bäckereitechnisch gleicht er durchaus der in Frankreich beliebten brioche (→Saint-Brieuc).

Der Mailänder panettone artigianale (handwerklich) bzw. tradizionale gehört zu den Bäckereierzeugnissen auf der →PAT-Liste. Mit italienischen Auswanderern hat sich das typische Gebäck z.B. auch in Ländern wie Argentinien oder Peru etabliert.

gefüllte Pirottini vor dem Backen

cinepanettone

Auch im italienischen Fernsehen laufen alle Jahre wieder zur Vorweihnachtszeit die gleichen rührselig-kitschigen Heile-Welt-Filme. Den Panettone, der genauso in diese Zeit gehört, hat der Volksmund mit dem italienischen Wort cinema für Kino zusammengesetzt zu cinepanettone als Bezeichnung für das schmalzige Filmgenre.

Mailänderli

Die vor allem in der Schweiz als Weihnachtsgebäck beliebten Mailänderli sind in Milano selbst unbekannt, der Ursprung der Bezeichnung ist nicht geklärt. Es handelt sich um Plätzchen, die in verschiedenen Formen aus dünn ausgerolltem Mürbeteig ausgestochen werden.