Ulis Culinaria

Alexandre Dumas

*1802 Villers-Cotterêts, † 1870 Puys (Seine-Maritime)

Einer für alle, alle für einen !

Wer hat sie nicht schon im Kino oder im Fernsehen bewundert, die heldenhaften Drei Musketiere und den mysteriösen Graf von Monte Christo! Aber schon deutlich weniger Menschen kennen den Namen des Schriftstellers, der die literarischen Vorlagen für diese Verfilmungen geliefert hat. In Frankreich freilich gehört das Werk von Alexandre Dumas zum festen Stoff des muttersprachlichen Unterrichts. Und in diesem Werk stellen Les Trois Mousquetaires von 1844 und Le Comte de Monte-Cristo von 1846 nur zwei von mehr als 100 Romanen dar, dazu kommen über 70 Theaterstücke und etliche weitere literarische Arbeiten. Gerne griff Dumas historische Themen auf, die er wie bei den Musketieren und dem Grafen mit künstlerischer Phantasie und dem Geist der Romantik verband.

Dabei war die Schriftstellerei dem jungen Alexandre nicht in die Wiege gelegt worden. Sein Großvater, Marquis Alexandre Davy de la Pailleterie, lernt um die Mitte des 18.Jhs. auf der Karibikinsel Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, die farbige Sklavin Marie-Césette Dumas kennen. Aus der Verbindung resultieren vier Kinder, und eines von ihnen, den 1762 geborenen Thomas Alexandre, holt der Marquis nach seiner Rückkehr ins Mutterland Frankreich zu sich.

Der junge Mann wird, trotz seiner sichtbaren schwarzafrikanischen Wurzeln, ein erfolgreicher Soldat in den Feldzügen, die Napoléon Bonaparte in den Jahren nach der Révolution Française von 1789 führt. Er trägt bewusst nicht den adligen Namen des Vaters, sondern den seiner Mutter und wird in der Armee zum Général Dumas. 1792 heiratet er die Wirtstochter Marie-Louise-Élisabeth Labouret aus Villers-Cotterêts, einem Städtchen im Département Aisne gut 80km nördlich von Paris. Dort kommt am 24. Juli 1802 Alexandre zur Welt, acht Jahre nach seiner Schwester Aimée-Alexandrine. Kurz danach zieht die Familie in das Château des Fossés bei Villers um.

Alexandre beschreibt später in einer autobiografischen Aufzeichnung das Schloss mit den wassergefüllten Gräben (frz. fossés)

als einen Ort, der ihn in seinen ersten Lebensjahren wegen des herrlichen Waldgebietes von zwanzig Quadratmeilen, beschattet von den schönsten Buchen und den stärksten Eichen von ganz Frankreich (cette magnifique forêt qui couvre vingt lieues carrées de terrain, ombragées par les plus beaux hêtres et les plus robustes chênes de toute la France) beeindruckt hat. Aber der Vater stirbt, als Alexandre noch keine vier Jahre alt ist, und die Mutter wohnt danach mit den beiden Kindern bei den Großeltern im damaligen Hôtel de l’Épée in Villers.

Ein paar Jahre lang besucht Alexandre die von einem Geistlichen geleitete Schule von Villers. Später schreibt er, dort habe er zwar intensiv die Bibel studieren können, aber von anderen Disziplinen nicht viel mitbekommen. Dem Abbé selbst allerdings dankt er im Nachhinein für eine Erziehung zu freiem Geist und weltoffener, toleranter Haltung. Dagegen erleben er, seine Mutter und seine Schwester alltägliche Anfeindungen und rassistische Demütigungen in Villers, besonders seit dem Tod des Vaters. Auch, um dieser Situation zu entfliehen, geht der zwanzigjährige Alexandre nach Paris, wo er eine Anstellung als Schreibkraft in einem Notariat findet. Schon während der Schulzeit war er wegen seiner besonders schönen Handschrift aufgefallen. Bald darf er diese Kunstfertigkeit in der Schreibstube des Duc d’Orléans anwenden, des späteren Roi des Français (Bürgerkönig) Louis-Philippe Ier. Gleichzeitig führt er ein recht unstetes Privatleben mit mehreren, teils zeitgleichen Beziehungen zu verschiedenen Frauen. Im Jahr 1824 kommt als erstes von mehreren unehelichen Kindern sein Sohn zur Welt, der später als Alexandre Dumas fils ebenfalls zu einem berühmten Schriftsteller wird, besonders mit dem Roman La Dame aux camélias.

Aber in diesen ersten Jahren in der Hauptstadt erfährt zunächst einmal Alexandre Dumas père seine ersten Anstöße zu eigenen literarischen Arbeiten. Die Pariser Theaterszene, besonders die Comédie Française im Palais Royal, hat es ihm angetan, und er versucht sich, teilweise in Zusammenarbeit mit einem Freund, an ersten Bühnenstücken. Er verfasst sie im gerade modischen Stil des vaudeville, einer volkstümlichen Komödie mit viel Musik und Gesang, die als Frühform der Operette gilt. Und er kann schon bald Erfolge feiern, denn das Feuilleton lobt seine Stücke. Aber gleichzeitig sieht er sich immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.

Als er sich einmal als Verfechter der neuen Evolutionstheorie von Charles Darwin zu erkennen gibt, bekommt er zu hören: Ja, Sie müssen sich ja auskennen mit den Negern!

Und Dumas antwortet: Aber sicherlich! Mein Vater war Mulatte, mein Großvater Neger, und mein Urgroßvater war ein Affe. Sie sehen also, Monsieur, meine Familie hat da angefangen, wo die Ihrige enden wird.

Die mit dem literarischen Erfolg steigenden Honorare erlauben ihm zunächst ein finanziell sorgenfreies Leben. Sein im Sinne der Romantik und des Historismus 1828 verfasstes Stück Henri III et sa cour wird nach der Uraufführung an der Comédie Française zwar von manchen als politischer Skandal empfunden, aber vom Publikum und in der Presse gefeiert. Er schreibt unter anderem Abenteuerromane, die als Fortsetzungen in Tageszeitungen abgedruckt werden. So erscheinen auch die Romane über den Gascogner d’Artagnan und seine Musketier-Freunde sowie über den Grafen von Monte Christo zunächst als Zeitungs-Serie, bevor sie in Buchform ediert werden. Die Schriftstellerei nimmt solche Ausmaße an, dass er andere Autoren als écrivains fantômes anstellen muss. Solche Ghostwriter bezeichnete man im kolonialistischen Frankreich gerne mit dem rassistischen Begriff nègres littéraires, im übertragenen Sinne also, entsprechend dem englischen nigger, als Literatur-Sklaven. Ein mit Dumas konkurrierender Schriftsteller soll über ihn gespottet haben, er sei le premier homme de couleur à avoir des nègres blancs, der erste farbige Mann, der weiße Nigger habe. Und selbst seinem Sohn wird der Spruch nachgesagt, sein Vater sei un mulâtre qui a des nègres (ein Mulatte, der Nigger hat).
Ansonsten war diese Art der Schriftstellerei durchaus nichts Ungewöhnliches und entsprach der Tradition von bildenden Künstlern früherer Zeiten, deren Werke oft in ihren Schulen entstanden und bei denen der Meister dann am Schluss die sprichwörtliche letzte Hand anlegte. So ist auch von Dumas überliefert, dass er die Manuskripte von Auguste Maquet, um nur den bekanntesten seiner schreibenden Helfer zu nennen, vor der Herausgabe stets überarbeitet und mit seinen eigenen stilistischen Charakteristika versehen hat. Und bevor einer seiner Schreiber zur Feder griff, hatte Dumas selbst das Thema, den Rahmen und den Ablauf der Handlung des geplanten Romans/Theaterstücks festgelegt. Dumas bereist etliche Länder, nach eigenem Bekunden, um seinen geistigen Horizont zu erweitern. Einige Male verbindet er seine Reisen mit politischem Engagement. Er hat sich längst von der Monarchie abgewandt und ist aktiv an der Juli-Revolution von 1830 beteiligt

Dennoch wird er für seine literarische Leistung 1837 zum Ritter der Légion d’Honneur ernannt, die von Napoléon im Jahr 1802 eingeführte höchste zivile Ehrung des Landes. Von 1860 bis 1864 lebt er in Sizilien und vor allem In Neapel, wo er den revolutionären Kampf des späteren Volkshelden →Garibaldi für die Einheit Italiens finanziell und journalistisch unterstützt.

Böse Zungen sagen, der Grund für manche Reise sei auch die Flucht vor Gläubigern gewesen, denn der erfolgreiche Schriftsteller gibt das Geld gerne mit vollen Händen aus. Die Revolution 1848 führt zur Schließung etlicher Theater und Zeitungsredaktionen, was seine Verdienstmöglichkeiten schmälert. Auch das von ihm selbst erst 1847 im Herzen von Paris eröffnete Théâtre Historique (in welchem er neben seinen eigenen Stücken auch Dramen von Goethe und Schiller inszenierte) muss schon 1850 wegen Geldmangels den Betrieb wieder einstellen. Zudem hat er sich mit hohem finanziellem Aufwand, aber ohne Erfolg bei den Parlamentswahlen beworben, was ihn an den Rand des Ruins bringt. Immerhin verdient er durch die Reisen noch etwas dazu, denn seine Schilderungen fremder Länder sind bei den Zeitungslesern beliebt.

Dennoch macht sich Dumas einen Namen als großzügiger Gastgeber, und bei solchen Einladungen steht er gerne selbst am Herd und beweist auch dort künstlerisches Talent. Vielleicht hat schon die Küche im großelterlichen Gasthaus in Villers den Gourmet in ihm geweckt. In jenen Jahren hatte er Jäger begleitet und sowohl das Erlegen als auch das Zubereiten von Wildbret kennengelernt, die Jagd bleibt eine lebenslange Leidenschaft von Dumas. 

In den erwähnten Reiseberichten schreibt er immer wieder auch über seine kulinarischen Erlebnisse in verschiedensten Ländern. Dass er gerne gut gegessen und gekocht hat, wird jedenfalls von allen Zeitgenossen bestätigt, und nicht zuletzt macht ihn seine entsprechend füllige Statur zum beliebten Sujet der Karikaturisten.

Ein Biograf wird später über ihn schreiben, er habe seine Zeit zwischen Literatur und Küche geteilt. Und: Lorsqu’il ne faisait pas sauter un roman, il faisait sauter des petits oignons. Der Ausdruck faire sauter, wörtlich springen lassen, wird hier zum Wortspiel. Wenn er nicht gerade einen Roman springen ließ, ließ er kleine Zwiebeln springen, briet sie also in der Sauteuse an.

Auch im französisch beeinflussten Küchenjargon deutscher Köchinnen und Köche versteht man unter sautieren das scharfe Anbraten in der Pfanne oder dem langstieligen Kochtopf, in welchen man die Zwiebeln, Bratkartoffeln oder was auch immer wendet, indem man sie durch einen geschickten Schlenker aus dem Handgelenk zum Hüpfen bringt.

Château de Monte-Cristo

Eine Zeitlang kann er seine Gäste sogar im eigenen Schloss bewirten: Um 1844/45 lässt er sich in Le Port-Marly, etwa 20km von Paris aus die Seine hinunter, das verspielte Château de Monte-Cristo bauen, das er nach seinem gerade in Arbeit befindlichen neuesten Werk so benennt. Ein im dazugehörigen Park errichtetes Nebenschlösschen für die ungestörte Schriftstellerei tauft er passend Château d’If. Aber auch diesen Traum beenden seine chronischen Geldnöte, bereits 1849 muss er das Anwesen wieder verkaufen – mit schmerzlichen Verlusten. Seit 1994 können Dumas-Verehrer das →Dumas-Museum besuchen, das man dort eingerichtet hat.

Le Grand Dictionnaire de Cuisine

Aber erst gegen Ende seines Lebens entschließt sich Dumas, die kulinarischen Aufzeichnungen, die sich über die Jahre angesammelt haben, zu einem literarischen Werk zusammenzufassen. Er wählt hierfür eine Mischung aus lexikalisch-alphabetischer Aneinanderreihung von Rezepten und erzählerischer, sehr oft mit Humor gespickter Wiedergabe von kulinarischen Erlebnissen und Anekdoten. Im Vorwort zu seinem Grand dictionnaire de cuisine bezieht er sich auf berühmte Vorgänger wie →Brillat-Savarin oder →Grimod de La Reynière, die wie er als Laien Bücher zur Kochkunst verfasst haben, sowie auf Profis wie den Altmeister →Carême, den er als Apostel der Gastronomen verehrt.

Auch die Kenntnisse der →cucina italiana, die er vor allem in Neapel zu lieben gelernt hat, spiegeln sich in seinem Dictionnaire wider.

schwarze Trüffel (Tuber melanosporum)

Ein wichtiger Berater bei der Arbeit am Großen Wörterbuch der Kochkunst ist der aus dem Bordelais stammende Adolphe Dugléré, Chefkoch des →Café Anglais und selbst Schüler von Carême. Dieses Restaurant ist in den letzten Jahren des Second Empire eine der angesagtesten gastronomischen Adressen in Paris.

Der weitaus überwiegende Teil der Rezepte kommt natürlich aus der cuisine française. Beispielsweise wird die sauce béchamel ausgiebig eingesetzt (→Béchameil) und variiert, u.a. wird sie mit Schnittlauch und Champignons zur sauce →Sainte-Menehould. Durchgängig ist den Erläuterungen zu den verschiedenen Rezepten ein großer Respekt vor dem Wert der verwendeten Lebensmittel anzumerken. Ein schönes Beispiel bietet der Abschnitt über Trüffel

Ihr habt kluge Leute gefragt, was das Geheimnis dieses Pilzes ist. Und nach zweitausendjähriger Diskussion haben sie, wie am ersten Tag, geantwortet: Wir wissen es nicht.

Dann habt Ihr die Trüffel selbst gefragt, und sie hat geantwortet: Esst mich – und preist Gott!

Aber auch kulinarische Mitbringsel aus anderen Ländern hat Dumas verarbeitet. Die deutsche Kochkunst, traditionell in französischer Koch-Literatur eher abfällig behandelt, scheint er so schlecht nicht in Erinnerung behalten zu haben. Er bietet potage aux aiguilles à la mode de Hambourg  (→Hamburger Aalsuppe), potage à la bière à la berlinoise (→Berliner Biersuppe), cougloff à l’allemande (Kugelhupf auf deutsche Art, →Brillat-Savarin), potage aux cerises à l’allemande (deutsche Kirschen-Suppe) und ein paar weitere Gerichte aus deutschen Landen.

Trotzdem hat es erstaunlicherweise bis 2006 gedauert, dass ein Wiener Verlag eine erste deutschsprachige Version mit dem Titel

Das große Wörterbuch der Kochkunst

herausgab, hervorragend übersetzt von Veronika Baiculescu.

Selbst in Frankreich hat das Dictionnaire einen schwierigen Start. Dumas verstirbt am 5. Dezember 1870 an den Folgen eines Schlaganfalls im Haus seines Sohnes Alexandre in der Normandie. Seitdem liegt das Manuskript auf dem Schreibtisch eines Pariser Verlages, der sich erst 1873 dazu entschließt, das Buch auf den Markt zu bringen. Und trotz der Popularität des Autors und der bekannten Begeisterung der Franzosen für alles Kulinarische verkauft es sich schlecht. Erst Mitte des 20.Jhs. erreicht es breitere Leserschaft und gilt heute, auch dank sorgfältiger, originalgetreuer Verlagsarbeit, als eines der wichtigsten Bücher zur französischen Kochkunst. Und Dumas selbst machte es mit seinem humorigen Erzählstil darüberhinaus zu einem lesenswerten Dokument französischer Lebensart. Nicht zuletzt eignen sich die Rezepte dank relativ genauer Angaben auch heute noch zum Nachkochen in der privaten Küche.

Eine späte Ehrung erfährt Alexandre Dumas 200 Jahre nach seiner Geburt: Am 30. November 2002 werden seine sterblichen Überreste im Beisein von Präsident Jacques Chirac ins Panthéon in Paris überführt.

Seitdem befindet er sich in der angemessenen Gesellschaft von Philosophen wie Voltaire und Rousseau sowie von schreibenden Kollegen wie Émile Zola oder Victor Hogo und etlichen weiteren Persönlichkeiten der französischen Kulturgeschichte.

Da käme eine schöne Tafelrunde zusammen, ganz nach Dumas‘ Geschmack!