Ulis Culinaria

Ernst August I. von Hannover

*1771 London, †1851 Hannover

Ein hochrangiger englischer Adelstitel, der des Duke of Cumberland, wurde seit der Mitte des 17.Jhs. als Erbe jeweils an jüngere männliche Mitglieder der Königsfamilie vergeben, die nicht in direkter Thronfolge standen. Cumberland ist eine der 39 alten englischen Grafschaften, ganz im Norden an der Grenze zu Schottland gelegen. Mit 28 Jahren wurde auch Ernst August zum Duke of Cumberland ernannt.

Das deutsche Adelsgeschlecht Hannover bestimmte von 1714 bis 1901 die Geschicke der britischen Monarchie. Der Sohn von King George III. erhielt schon früh eine militärische Ausbildung und kämpfte im ersten Koalitionskrieg (1793-97) in Belgien gegen die europaweiten Auswirkungen der Französischen Revolution. Mit seiner rigiden monarchistischen Haltung machte er sich auch unbeliebt, als er 1837 König von Hannover wurde und konstitutionelle, freiheitliche Ansätze seines Vorgängers wieder rückgängig machte. Die Entwicklung nach der Februarrevolution von 1848 zwang allerdings auch ihn noch kurz vor seinem Tod zu liberaleren Zugeständnissen. So musste er beispielsweise dem Recht auf freie Religionsausübung sowie dem Prinzip der Gewaltenteilung zustimmen.

Manche Kuturhistoriker gehen davon aus, dass der cuisinier des rois et roi des cuisiniers, der französische Koch Auguste →Escoffier, diesen Duke of Cumberland im Sinn hatte, als er 1902 das Rezept für die Sauce Cumberland in seinem Guide Culinaire veröffentlichte. Andere behaupten, es handele sich vielmehr um Prinz Wilhelm August, Duke of Cumberland, einen früheren Spross des Hauses Hannover (1721-1765), der aufgrund seiner militärischen Grausamkeit, besonders bei der Bekämpfung der Jakobiner, den wenig schmeichelhaften Spitznamen the butcher verpasst bekam, der Schlächter. Im Siebenjährigen Krieg in Norddeutschland soll der Koch seiner Truppen die Sauce erfunden haben. Für Ernst August aber spricht immerhin die größere zeitliche Nähe zu Escoffier. Gänzlich unbekannt ist irgendein konkreter Anlass für die Namensgebung.

Jedenfalls ist die Sauce, im Unterschied zu manch anderem in diesem Buch erwähnten Escoffier-Rezept, keine ureigene Erfindung des Kochs der Könige und Königs der Köche. Sein Kollege Alexis Soyer, der mit französischer Kochkunst im britischen Inselreich berühmt geworden war, hatte die Zubereitung schon in seinem Gastronomic Regenerator von 1846 beschrieben, also in dem Jahr, in dem Escoffier gerade das Licht der Welt erblickte. Die Cumberlandsauce gilt als Verfeinerung der redcurrant sauce, die in Großbritannien seit jeher als Begleiterin zu dunklem Fleisch beim christmas dinner serviert wurde, und die auf klarem Gelee von roten Johannisbeeren (engl. redcurrant) basiert. Das redcurrant jelly wurde mit Wein oder Portwein gemischt und mit Zitrusfrucht, Zucker und Rosmarin zu einer süßsauren Sauce einreduziert.

Sauce Cumberland

Die Kombination von Fruchtaromen mit Fleisch ist uralt, wie man schon beim vermutlich frühesten Kochbuchautor, dem alten Römer →Apicius, nachlesen kann. Küchenhistorisch lässt sich dies, neben den geschmacklichen Aspekten, damit erklären, dass man vor der Erfindung moderner Kühltechniken hin und wieder versuchen musste, den später manchmal als haut goût verklärten Geruch von nicht mehr ganz frischem Fleisch zu überdecken. Dabei halfen neben der Fruchtsäure Zutaten wie Alkohol, Essig, Senf und vor allem geschmacksintensive Kräuter und Gewürze. Während die Begegnung von Fleisch und Früchten in der deutschen Küche fast nur noch in Form der üblichen pochierten Birne und Preiselbeerkompott an Wildgerichten stattfindet, ist sie in der asiatischen oder kreolischen Küche gang und gäbe. Und England hat sich diese kulinarische Tradition aus kolonialen Zeiten ebenfalls bis heute bewahrt.

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Als Grundrezeptur der Sauce Cumberland gilt, auch wenn es von Küche zu Küche leichte Abwandlungen gibt, dass eine Mischung von Johannisbeergelee, Rotwein und Orangensaft mit gehackten Schalotten erhitzt und reduziert wird. Schärfe bringen Cayennepfeffer und Senf hinein. Letzterer wird in England gerne in Form von dry mustard (Senfpulver) verwendet. Frisch geriebener ginger (Ingwer) liefert eine typische, exotische Geschmacksnote. Die Sauce wird durch ein feines Haarsieb gestrichen, um sämtliche Kernchen und andere Feststoffe zu entfernen. Das gilt besonders dann, wenn zusätzlich andere Früchte hineinkommen wie z.B. Himbeeren oder Preiselbeeren. Erst kurz vor dem Servieren wird je nach Geschmack mit einem kleineren oder größeren Schuss Portwein (oder Madeira, Sherry u.a.) abgerundet. Die einzigen festen Elemente in der wie rotes Glas schimmernden Sauce sind schließlich hauchfein geschnittene Zesten von Orangenschale. Im Original werden hierzu Bitterorangen empfohlen, auch →Sevilla-Orangen genannt, aus denen die legendäre englische →orange marmalade gekocht wird. Wer es nicht ganz so bitter mag, blanchiert die Zesten kurz in heißem Wasser, oder er nimmt die Schale von normalen Orangen.

Wie bei uns die Preiselbeeren trifft sich auch die Johannisbeersauce à la Cumberland gerne mit Wild, ob vierfüßig oder geflügelt. Sie wird kalt serviert, da das beim Erhitzen verflüssigte Gelee erst beim Abkühlen seine dickliche Konsistenz zurückbekommt, und eignet sich deshalb auch zu vielen kalten Fleischgerichten wie ham (Schinken) oder pies (Pasteten), aber auch zu Kurzgebratenem. Denn dabei entsteht kein ausreichender Bratensatz, der sich ablöschen und zu einer Sauce montieren ließe. Die Cumberland ist schnell fertig und bedarf eben nicht der üblichen demi-glace oder anderer aufwändiger Saucengrundlagen.

Wer es noch bequemer mag, kann durchaus auf fertige Angebote im Glas zurückgreifen. Obwohl der Name der Zubereitung erst durch Escoffier nach England kam, bieten etliche dortige Hersteller die Sauce Cumberland als Fertigprodukt in guter Qualität an, die ja jeder nach Gusto am heimischen Herd noch verfeinern kann. Denn wer hat heute schon noch zufällig ein paar Gläser Johannisbeergelee in der Vorratskammer! Und die im Lebensmittelhandel angebotenen Konfitüren sind meist für eine gute Sauce viel zu sehr gezuckert. Dafür findet man die Gläschen mit der küchenfertigen Cumberlandsauce auch im deutschen Supermarkt.

1943 ist der smarte Bankier, Gourmet und Geheimagent Thomas Lieven in Johannes Mario Simmels Roman Es muß nicht immer Kaviar sein bei einem Pariser Bankiers-Ehepaar zu einem Abendessen eingeladen. Er rettet den Abend, indem er den von der betagten Köchin versehentlich zerbröselten Zander in Form eines feinen Fischauflaufs verarbeitet. Als Vorspeise gibt es gekochten Schinken mit Sauce Cumberland.