In den vier Evangelien findet man nur wenige Informationen über diesen jüdischen Prediger, und selbst hierbei sind sich die vier Autoren nicht so ganz einig. Immerhin erfährt man, dass er wohl recht asketisch lebte, während er durch das Land auf beiden Seiten des Jordan wanderte, die Menschen zur Buße aufrief, sie durch Eintauchen in das Jordanwasser taufte und damit auf die baldige Ankunft des Messias einschwor. Und in dem wohl etwa gleichaltrigen →Jesus aus Nazareth, der sich als junger Mann seiner Sekte anschloss und sich ebenfalls von ihm taufen ließ, glaubte Johannes den angekündigten Heilsbringer zu erkennen.
Während seiner Wanderungen durch die Wüstengebiete in Judäa und Galiläa soll sich Johannes lediglich von wildem Honig und von Heuschrecken ernährt haben. Die sprunggewaltigen und flugfähigen Insekten können zwar, wie das Buch Exodus von Moses an zahlreichen Stellen berichtet, in millionenstarken Schwärmen ganze Getreideernten vernichten, stellen aber in Afrika, im Nahen Osten und anderen Regionen seit Jahrtausenden eine eiweißreiche Kost dar, meist gegrillt oder fritiert. Demnach mag die Beschränkung des Johannes auf Honig und Heuschrecken etwas langweilig gewesen sein, aber sicher litt er nicht an Unterernährung.
Inzwischen gewinnt ja auch bei uns in Europa der Gedanke an Bedeutung, Vertreter der Heuschrecken-Ordnung Orthoptera mit ihren über 25.000 Arten und andere Insekten als Nahrung zu nutzen. Immerhin hat sich die EU 2021 dazu durchgerungen, eine (in Zahlen: 1!) Art, die Wanderheuschrecke Locusta migratoria, als Lebensmittel zuzulassen …
Dennoch sind viele Sprach- und Bibelforscher der Ansicht, dass es sich bei Johannes‘ Speiseplan um einen Übersetzungsfehler handelt. Denn im Hebräischen, der Sprache früher biblischer Texte, weist das Wort hagavim für Heuschrecken auch in schriftlicher Form ziemliche Ähnlichkeit mit dem Begriff haruvim auf. Und damit sind Bäume gemeint, die schon Jahrtausende vor Christus in Vorderasien, Arabien und Nordafrika von Menschen als Nahrungsquelle genutzt wurden und die im Deutschen Johannisbrotbaum genannt werden. Besonders die bis zu 30cm langen, fleischigen Schoten von Ceratonia siliqua und die darin enthaltenen 10 bis 15 Samenkerne lassen sich in verschiedenen Formen als Lebensmittel genießen. Die bohnenähnliche Gestalt der Früchte weist die bis zu 20m hohen Bäume als Hülsenfrüchtler aus. Aus dem Fruchtfleisch lässt sich u.a. ein Sirup extrahieren, das mit seinem süßlichen Geschmack und der sämigen Konsistenz durchaus an den Honig erinnert, von dem die Bibel spricht. Der stark eingekochte und dann zähflüssige, goldbraune Saft der Schoten wird auch als Kaftanhonig gehandelt.
Der wissenschaftliche Gattungsname Ceratonia hat seine Wurzel im griechischen Wort kerátion für das Horn eines Tieres. Denn auch die Schoten – lateinisch siliqua – des Johannisbrotbaumes sind gebogen wie die Hörner eines Schafbocks. In Österreich wird der Baum als Bockshörndlbaum bezeichnet. Die Araber, die den Baum in Nordafrika und auf der iberischen Halbinsel verbreiteten, übernahmen das griechische kerátion als qírāt, und im Französischen wurde daraus später carat. Dass heute das Gewicht von Diamanten und der Feingehalt von Gold in Karat beziffert werden, liegt an dem durchschnittlichen Gewicht der Samen des Johannisbrotbaumes von 0,2g. Die verlässliche Konstanz dieses Wertes hat schon in vorchristlicher Zeit dazu geführt, dass die Samen als Maßeinheit für das Gewicht von edlen Steinen und Metallen genutzt wurden. Auf Basis dieser Gewichtseinheit von 0,2g brachten die Araber Wägemünzen auf den Markt, die sie als charrūba bezeichneten. Franzosen nennen die Pflanze dementsprechend caroubier, Italiener carrubo, im Englischen heißt sie carob. Und im Deutschen werden die Schoten des Baumes Karuben genannt.
Deren saftiges, fettarmes Fruchtfleisch, das sog. Carob, kann wie Gemüse genossen werden. Es hat einen süßlichen Geschmack mit leichter Bitternote. Auch wenn es inzwischen fast nur noch an Tiere verfüttert wird, hat es wahrscheinlich eher das tägliche Brot des Täufers Johannes dargestellt als die in den Bibelübersetzungen erwähnten Heuschrecken. In getrockneter Form wird das Carob zu Johannisbrotmehl gemahlen, das in der industriellen Bäckerei und in der Süßwarenherstellung als Ersatz für den ungleich teureren Kakao eingesetzt wird. Und bis heute werden aus dem bereits erwähnten Sirup Lutschbonbons hergestellt, die mit ihrem karamelligen Geschmack den bei uns beliebten Malzbonbons ähneln. Der relativ hohe Zuckergehalt erlaubt auch das Destillieren von diversen Spirituosen.
Derzeit wenden sich im Mittelmeerraum wieder vermehrt biologisch orientierte Landwirte dem Johannisbrotbaum zu.
Sie entdecken in Vergessenheit geratene Verwendungsmöglichkeiten wieder, entwickeln darüberhinaus aber auch neue Ideen wie beispielsweise die Herstellung von Tee, Kaffee-Ersatz, Brotaufstrich oder Essig. Viele solche Carob-Produkte sind hierzulande im Biohandel, aber auch schon in so manchem Supermarkt zu finden. Ihre guten Ernährungswerte machen sie besonders bei Vegetariern und Veganern beliebt.
Obwohl es der Name anzudeuten scheint, ist das Johannisbrotmehl genausowenig zum Backen von Brot geeignet wie das aus den Samen gewonnene Johannisbrotkernmehl. Wegen seiner Quellfähigkeit wird das auch Carubin genannte Kernmehl aber in der Lebensmittelindustrie als Stabilisator bzw. Emulgator zur Herstellung von Fruchtjoghurt, Speiseeis, Soßen- oder Suppenpulver und anderen Fertigprodukten verwendet. In Backwaren kommt es lediglich als glutenfreies Hilfsmittel zum Einsatz und sorgt besonders für längere Frische. Zudem bietet das Mehl Linderung bei diversen Störungen des Verdauungsapparates und wird in diätischen sowie für Diabetiker geeigneten Lebensmitteln verarbeitet. Das in der EU uneingeschränkt als Zusatzstoff zugelassene Carubin wird auf Etiketten mit dem Code E 410 deklariert.
Erst im 5.Jh. einigte sich der katholische Klerus darauf, die Geburt des Johannes auf etwa ein halbes Jahr vor dem Geburtstag Jesu zu datieren. Weihnachten war bereits wegen der Nähe zur Wintersonnenwende auf den 25. Dezember festgelegt, und somit ernannte man den 24. Juni zum Johannistag. In vielen damals noch nicht christianisierten Regionen Europas wurde in diesem Zeitraum die Sommersonnenwende mit großen Feuern und anderen Bräuchen gefeiert. Um diese heidnischen Riten missionarisch zu nutzen, taufte man die Flammenspektakel kurzerhand zu Johannisfeuern um. Einen praktisch ausgestorbenen Brauch übte man früher vor allem in Süddeutschland und im Elsass mit dem Johanniskuchen, der zum Johannistag gebacken wurde. Da man seinerzeit üblicherweise im dörflichen Gemeinschaftsofen buk, waberte der Backgeruch durch den Ort, wenn die ofenfrischen, noch dampfenden Kuchen abgeholt wurden. Manche vermuten, dass hieraus die Redensart vom Hans-Dampf in allen Gassen entstanden sein könnte.
Dem Johannistag hat auch eine Obstsorte ihren heutigen deutschsprachigen Namen zu verdanken, die schon seit Urzeiten in Europa als Wildform beheimatet ist. Die Johannisbeeren blühen im April bis Mai und sind dann gegen Ende Juni, also um den Johannistag herum, erntereif. Sowohl die Art Ribes rubrum mit roten oder weißen Beeren als auch die Schwester Ribes nigrum, die Schwarze Johannisbeere, werden seit dem 15.Jh. als Gartensträucher kultiviert. In der Pfalz verkürzt man den namensgebenden Johannes zu Gehans und nennt die in kleinen Trauben wachsenden Früchte Gehanstrauben oder, noch kürzer, Kanztrauben.
Die Rote Johannisbeere Ribes rubrum schmeckt direkt vom Strauch und wird ohne weitere Verarbeitung gerne in der Konditorei oder für fruchtige Desserts verwendet. Als Gelee oder Konfitüre mit Butter auf einem Stück ofenfrischer Baguette passt sie zum petit déjeuner wie der dampfende Milchkaffee.
Ihre dunkle Schwester, die Schwarze Johannisbeere Ribes nigrum dagegen galt wegen ihres etwas strengeren Geschmacks nach ihrer Verbreitung in Mitteleuropa ab dem 16.Jh. zunächst eher als Heilpflanze. Aus den Blättern und Früchten wurden Extrakte zur Bekämpfung von Darmkrankheiten, von Arthrose und allerlei weiteren Beschwerden gewonnen. Die deutsche Nonne Hildegard von Bingen empfahl schon im 12.Jh., von der Gicht befallene Gelenke mit einer Salbe aus den Blättern der Schwarzen Johannisbeere einzureiben. Der hohe Vitamin-C-Gehalt der Früchte ‒ gut das Dreifache von Orangen! ‒ machte den Saft besonders in der kalten Jahreszeit beliebt.
Selbst im deutschsprachigen Nachbarland Österreich ist die namentliche Verbindung der Früchte mit Johannes dem Täufer kaum gebräuchlich. Dort nennt man sie dem botanischen Namen entsprechend Ribisel, diese Bezeichnung hört man auch in Teilen Bayerns.
In Frankreich heißen die Roten Johannisbeeren groseilles. In →Bar-le-Duc widmet man ihnen ganz besondere Mühe: Dort werden sie mit einem Gänsefederkiel einzeln entkernt, bevor sie zur Confiture de groseilles verarbeitet werden.
Die Schwarzen Johannisbeeren dagegen heißen cassis, bei uns besser bekannt als der Name des aus ihnen hergestellten Likörs →Crème de Cassis.
Auf den britischen Inseln bezeichnet man die Früchte als currant und unterscheidet sie farblich in blackcurrant, whitecurrant und redcurrant. Aus Letzteren stellt man zu Fleischgerichten gerne die fruchtige redcurrant sauce her, die in ihrer verfeinerten Form auch bei uns als →Cumberland Sauce beliebt ist.
Mit dem Spargel wird Johannes der Täufer ebenfalls in Verbindung gebracht: Da die unterirdischen Wurzelsprosse des Asparagus officinalis normalerweise gegen Ende Juni knapp vor dem Durchbruch ans Tageslicht stehen, gilt der Johannistag als offizieller Starttermin für die Spargelernte.