Bei der Lektüre von österreichischen Speisekarten und Kochbüchern fällt die Häufigkeit der Gerichte auf, deren Bezeichnung mit Kaiser oder, in veralteter Form, mit Kayser beginnt. Auch gut 100 Jahre nach dem Ende der Habsburger-Monarchie ist in der Kulinarik wie in vielen anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen die Erinnerung an das Kaisertum Österreich und an die k.u.k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn lebendig.
Fiaker an der Hofburg in Wien
In der Zeit zwischen 1804 und 1918 trugen vier Habsburger den Kaisertitel. Bei den meisten der auf ihn bezogenen kulinarischen Benennungen ist kein persönlicher oder historischer Bezug zu einem einzelnen von ihnen erkennbar. Es handelt sich bei Kaisergulyas, Kaiserkuchen, Kaiseromelette, Kaisernudeln, Kaiserknödel – die Liste ist noch sehr lange nicht vollständig! – wohl ganz allgemein um den Ausdruck von monarchistischem Patriotismus.
Und nicht zuletzt wollten Bäcker, Köche, Konditoren, Metzger und andere Lebensmittelfachleute die kaiserliche Würde auch auf ihr eigenes Produkt übertragen, denn selbst eine simple Fleisch- oder Gemüsebrühe wird natürlich als Kaiserconsommé zur unanfechtbaren Delikatesse, und eine Kaisersemmel (Hintergrund) ist quasi automatisch knuspriger als ihre ungekrönten Kolleginnen. Gleichsam, wie der Monarch selbst, von Gottes Gnaden. Bei den meisten dieser Namensgebungen ist nicht mehr eindeutig feststellbar, wer hier oder da als Pate gedient hat. Kaiserinnen und Kaiser gab es in der europäischen Geschichte ja nun wirklich zur Genüge …
Der erst 18jährige Erzherzog Franz Joseph wurde 1848, also mitten in den spannungsreichen Monaten der europäischen Revolutionen, zum Kaiser von Österreich gekrönt. Mit den 68 Jahren Regentschaft bis zu seinem Tod ist er der absolute Rekordhalter unter den Habsburger Monarchen. Ab 1867 führte er zusätzlich den Titel des Königs von Ungarn. Die meist als k.u.k. abgekürzte kaiserliche und königliche Monarchie Österreich-Ungarn wurde später vom österreichischen Schriftsteller Robert Musil als Kakanien verspottet.
Ein weit über Österreich hinaus beliebtes Dessert kann, anders als die oben genannten Kaiser-Gerichte, direkt mit Franz Joseph I. in Verbindung gebracht werden. Dabei war die Süßspeise zunächst eigentlich nicht für den Kaiser gedacht, sondern für seine Gattin Kaiserin Elisabeth. Den meisten Menschen ist Sisi, wie sie am Wiener Hof genannt wurde, in der Verkörperung durch Romy Schneider in der Sissi-Film-Trilogie von Ernst Marischka bekannt, in der die Ehe mit Franz Joseph allerdings völlig verkitscht und an den historischen Fakten vorbei verklärt wird.
Die echte Sisi war durchaus als Leckermäulchen bekannt, achtete aber trotzdem auf ihre Figur. Deshalb suchte der Hofkonditor, lediglich mit dem Vornamen Leopold überliefert, stets nach leichten Zubereitungen ohne viel Fett und Sahne. In diesem Sinne rührte er aus Eiern, Milch, Zucker und etwas Mehl einen zähflüssigen Omelett-Teig an. Die Eier gab er getrennt dazu: zuerst die Dotter und zum Schluss das leicht steif geschlagene Eiklar. In heißer Butter briet er das Omelett von beiden Seiten scharf an und ließ es im Backofen weiter stocken. Dabei sorgte der Eischnee fast wie bei einem Soufflé für zarte Luftigkeit. Dann nahm er die Pfanne heraus und zerrupfte das Omelett mit zwei Gabeln in kleine Stücke, die er mit Puderzucker bestäubte. Beim abschließenden Wenden brannte der Zucker leicht an, was den typischen karamelligen Geschmack bewirkte.
Den noch heißen Schmarrn überpuderte Leopold nochmals zart mit Staubzucker und servierte dazu ein Schälchen Zwetschkenröster. Dieses aus der böhmischen Küche stammende, mit Lebkuchengewürzen aromatisierte Zwetschgenkompott wird mit sehr wenig Wasser eingekocht, wobei die Früchte leicht am Topfboden anrösten, was den Namen erklärt.
Der gute Leopold hat sich also wirklich bemüht, der Kaiserin etwas Köstliches zu präsentieren. Aber Sisi, vielleicht wieder einmal genervt von der strengen höfischen Etikette, wies das zerpflückte Omelette zurück. Möglicherweise hatte sie auch bei ihrer täglichen Gewichtskontrolle ein paar Gramm zuviel erkannt. Mit ihrer Schönheit nahm sie es ja ziemlich genau – manche Historiker sprechen gar von Essstörungen und Magersucht …
Jedenfalls kam zufällig der kaiserliche Gemahl hinzu, der nun das verschmähte Dessert mit den Worten Dann gib halt her, den Schmarrn, den der Leopold da wieder z’sammkocht hat! höchstselbst verputzte. Und es soll ihm überraschend so gut gemundet haben, dass der nun mit der Welt wieder versöhnte Leopold es fortan als Kaiserschmarrn zubereitete.
Und seither tun es alle so!
Eine ähnliche Namenstheorie besagt, der Hofkonditor habe das Dessert anlässlich der Hochzeit von Franz Joseph und Sisi im Jahr 1854 erfunden und es eigentlich Kaiserinschmarrn getauft. Da es aber bei der Kaiserin nicht so gut angekommen sei wie beim Kaiser, habe sich die maskuline Titulierung eingebürgert.
Dass der Kaiser auf diese oder jene Weise in den Namen des Gerichtes geriet, ist durchaus denkbar. Der Begriff Schmarrn allerdings ist älter als die flapsige Bemerkung des Kaisers. Diese Zubereitungsart, bei der eine Speise zerrupft – nicht geschnitten! – wird, nennt man im ganzen süddeutschen Sprachraum Schmarren oder, wie in Wien, Schmarrn. Dabei kann es sich um süße oder salzige Varianten handeln, mal eher als Omelett, Pfannkuchen oder →Palatschinke wie hier, mal als Kartoffel-Reibekuchen oder Mehlspeise, mal auf Basis von eingeweichtem Gebäck wie für →Rostige Ritter.
Da es hierbei meist nicht um höchst anspruchsvolle Kochkunst geht, hat sich der Begriff als eher abschätzige Bewertung auch für nicht essbare Dinge eingebürgert.
Diese nicht wirklich historisch belegte Geschichte hat sich durchgesetzt gegen eine andere Namenserklärung, die nur indirekt mit dem Kaiser zu tun hat und die deshalb von den meisten Österreichern für einen Schmarren gehalten wird: Der Monarch fuhr gerne in höhere Alpenregionen zur Jagd und pflegte dann mit seinen Jagdgenossen in einer Sennerhütte einzukehren. In Österreich wird ein Senn, der aus der Milch seiner Kühe vor Ort Käse herstellt, Kaser genannt. Und ein solcher soll für Franz Joseph einmal einen Pfannkuchen zubereitet haben, also einen Kaserschmarrn. Nachdem es dem Kaiser offensichtlich gut geschmeckt habe, sei dann das i in den Namen gewandert.
Wie die meisten Küchenerfindungen hat auch der Kaiserschmarrn mittlerweile etliche Variationen zu bieten. Mal werden Rosinen und/oder Nüsse mitgebacken, mal gibt es statt des Zwetschgenkompotts Marillenröster, österreichisch für Aprikosen, oder ein einfaches Apfelmus. Besonders Kinder lieben das zerzupfte Omelette, wenn es mit heißer Schokoladen- oder Vanillesauce überträufelt wurde. Manche Erwachsene bevorzugen ein paar Spritzer Hochprozentiges. Einem Topfenkaiserschmarrn wird Quark beigegeben, der österreichisch Topfen heißt. Auch der Kontrast zwischen dem warmen Schmarren und einer Kugel Eiscreme hat seinen Reiz.
In welchem Gewand auch immer, Kaiser Franz-Joseph I. lässt weiterhin gnädig grüßen.
Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser!
Es gibt praktisch kein Restaurant in Österreich, in dem man keinen guten Kaiserschmarrn bekommt.
Neben den →Salzburger Nockerln und der Torte von →Sacher gehört er auch international zu den berühmtesten Süßspeisen des Landes und genießt so etwas wie den Status eines Nationaldesserts.
Franz Joseph mochte es nicht nur süß, sondern liebte herzhafte Fleischgerichte. Damit war er indirekt beteiligt an der Entstehung eines Roastbeefgerichtes, das als →Girardi-Rostbraten bekannt wurde.