*1816 Wien, †1907 Welkersdorf
Während des Wiener Kongresses 1814/15 war Fürst Metternich mit seiner Forderung nach einem internationalen Gleichgewicht der Kräfte zur entscheidenden Figur einer europäischen Neuordnung aufgestiegen. Doch in den 1830er Jahren begann sein politischer Stern langsam zu verblassen.
Immerhin war er nach wie vor äußerst wohlhabend und empfing häufig Gäste, denen er auch kulinarisch das Beste bieten wollte.
Bei einer solchen Gelegenheit forderte der Fürst im Jahr 1832 seine Küchenbrigade auf, ein besonderes Dessert für besondere Gäste zu entwickeln. Da der Küchenchef kurzfristig erkrankt ausfiel, musste sein gerade 16-jähriger Lehrling Franz Sacher für ihn einspringen. Er hatte die Stelle für die Kochausbildung erhalten, da sein Vater auf dem Anwesen Metternichs als Verwalter einen hohen Posten innehatte.
Der Fürst ermunterte den jungen Sacher mit der Aufforderung: Dass er mir aber keine Schand’ macht heut Abend!
Franz Sacher rührte zunächst eine Wiener Masse an, die sich vom klassischen Biskuit zum einen durch einen hohen Anteil an zerlassener Butter unterscheidet. Zum Zweiten werden die Eier nicht getrennt, sondern das Vollei wird zu Beginn mit dem Zucker aufgeschlagen. Zusätzlich reicherte er die Masse mit dunkler Schokolade und Kakaopulver an. Diese Version ging als Sachermasse ins Fachrepertoire der Konditoren ein. Die daraus gebackene runde Torte schnitt er quer auf und setzte die beiden Hälften mit einer Schicht erhitzter Marillenkonfitüre wieder zusammen. Auch die Oberfläche bepinselte er mit dem fruchtigen Gelee. Marille ist das österreichische Wort für die Aprikose, weshalb dieses Verfahren in der Fachsprache als aprikotieren bezeichnet wird und z.B. den Belag von Früchteböden oder allerlei Plundergebäck zum Glänzen bringt.
Die so aufgebaute Torte übergoss er mit Kuvertüre, die nach dem Erkalten dunklen Schimmer ausstrahlte. Um das zu Erreichen, muss der Fettanteil in dem Schokoladenüberzug stimmen, genauso ist die Temperatur beim Übergießen ausschlaggebend.
Auf jeden Fall war das alles so gut gelungen, dass Franz seinem Arbeitgeber keine Schand‘ machte!
Aber als Sachertorte wurde die Erfindung erst einige Jahre später zu einer der berühmtesten Konditorei-Spezialitäten der Welt. Der 1843 geborene Sohn von Franz Sacher, Eduard, erlernte ebenfalls das Konditorenhandwerk, und zwar bei der k.u.k.-Hof-Zuckerbäckerei Demel in Wien. Dort verfeinerte er das Rezept seines Vaters bis zur heutigen Rezeptur, und Sachertorte wurde zum festen Begriff bei Wiener Café-Besuchern. Im 1876 von Eduard gegründeten Hotel Sacher wurde sie erstmals auch außer Haus verkauft. Von da an verbreitete sich ihr Ruf weltweit.
Um die Benennung der Torte entsprang in den folgenden Jahrzehnten ein Rechtsstreit zwischen dem Haus Demel und dem Hotel Sacher, der erst 1963 beigelegt wurde. Mit kleinen Namens- und Rezeptunterschieden bieten nun beide Unternehmen ihre Sachertorte an. Demel fertigt die Torte unter den Bezeichnungen Eduard-Sacher-Torte bzw. Demel’s Sachertorte an und begnügt sich mit einer Schicht Marillenkonfitüre direkt unter dem Schokoladenüberzug. Im Hotel Sacher fügt man eine zweite fruchtige Lage auf halber Höhe ein und verkauft das Gebilde als Original Sacher-Torte. Äußerlich kann man die beiden Versionen an unterschiedlichen Schokolade-Beschriftungen auf der Oberseite erkennen.
Darüberhinaus ist die Rezeptur nicht namentlich geschützt, sodass praktisch jeder Konditor dieser Welt Sachertorte anbieten darf, allerdings ohne weitere Namenszusätze wie Original oder ähnliches. Im österreichischen wie im deutschen Lebensmittelbuch werden lediglich die Zutaten-Anteile für die Sachermasse, der Mindest-Fruchtgehalt der Aprikotur und der Kakao-Prozentsatz für die Kuvertüre festgelegt.
Das Hotel Sacher stellt derzeit jeden Tag durchschnittlich 1.000 Original Sacher-Torten in Handarbeit her, wozu ein eigenes Fabrikationsgebäude errichtet wurde. Rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter backen, halbieren, dekorieren und verpacken die dunklen Torten. Die Beschreibung eines spezialisierten Arbeitsplatzes besteht ausschließlich im Aufschlagen und Trennen von täglich 7.000 bis 8.000 frischen Eiern.
Zu kaufen ist das Original nur in den Sacher-Häusern in Wien, Innsbruck, Salzburg und Graz, oder man bestellt es im Internet. Eine Ausnahme: der Duty-Free-Laden des Wiener Flughafens bietet ebenfalls Original Sacher-Torte an – sehr praktisch als kulinarisches Mitbringsel auf den letzten Drücker vorm Heimflug.
Die Sachertorte steht auf der offiziellen, vom österreichischen Landwirtschaftsministerium geführten Liste der Traditionellen Lebensmittel. Für die →Wiener Küche hat sie ähnlich prägende Funktion wie das berühmte Wiener Schnitzel oder der Tafelspitz.
Der österreichische Schriftsteller Johannes Mario Simmel hat sie in seinem kulinarischen Agentenroman Es muß nicht immer Kaviar sein nach Marseille exportiert. Dort bringt sein Protagonist, der smarte Bankier und Geheimagent wider Willen Thomas Lieven bei einem Menu zwei Unterwelt-Gestalten feine Manieren bei. Einen der beiden Herren muss Lieven während des Hauptgangs (Koteletts →Robert) ermahnen:
Monsieur de la Rue, Sie benützen ja die Tortengabel!
Und er erklärt: Was man an Besteck zum letzten Gang benötigt, liegt dem Teller am nächsten.
Der letzte Gang, das Dessert, ist eine Sacher-Torte – in der Demel-Variante, also mit nur einer Konfitüren-Beschichtung.
Auf der Dessert-Karte des Sacher findet man übrigens auch eine Spezialität, die man vom wohl berühmtesten Koch des früheren k.u.k-Nachbarn Ungarn übernommen hat. Dort erfand Károly →Gundel in den 1920er Jahren eine Variante der dünnen Eierkuchen, die als palacsinta bzw. Palatschinken bekannt sind. Eine Gundel-Palacsinta / Palatschinke ist mit einer Walnuss-Rum-Creme gefüllt und wird mit Rum-Schokoladen-Sauce beträufelt.
Eine weitere Verbindung mit Ungarn: Nach Angaben der Familie →Esterházy stand Franz Sacher einige Zeit auch in Diensten des Grafen János Károly Esterházy. Das kann allerdings nur kurz gewesen sein, denn Franz war gerade 18 Jahre alt, als der Graf 1834 starb. Aber vielleicht hat ihm ja die gerade erfundene Sachertorte so imponiert, dass er den jungen Konditor kurzfristig dem Fürsten Metternich ausspannte.