Ulis Culinaria

Yubari

Das kleine Städtchen auf der japanischen Nordinsel Hokkaido, rund 30km östlich von Sapporo, wartet mit einem Superlativ auf: Hier, und nur hier, wird die teuer-ste Melone der Welt angebaut. Vor etwa 50 Jahren wurde die

Yubari-Melone

gezüchtet und ist heute auch unter dem Handelsnamen Yubari King bekannt.

Schon optisch macht der König was her: Die kugelrunde, grü-ne Frucht der Cucu-mis melo-Varietät ist von einer feinen Netzstruktur überzo-gen, das Frucht-fleisch leuchtet in kräftigem Orangerot.

Yubari-

Melone

Sie ist eng verwandt mit der →Canta-loupe-Melone, aber Kenner behaupten, ihr Geschmack sei mit keiner anderen Melone auf der Welt vergleichbar. Und bezahlen Preise, bei denen Otto/Emma Normalver-braucher/in der Melonenbissen im Hals stecken bleibt.

Schon auf normalen Märkten bezahlt man, umgerechnet in Euro, mindestens dreistellige Stückpreise. Und bei den ers-ten Auktionen nach dem Start der Ernte gegen Ende Mai geht es regelmäßig ins Fünfstellige. Erst 2021 wurden umgerech-net 20.000,-€ für zwei (!) Melonen be-zahlt. Der bisherige Rekord wurde zwei Jahre zuvor mit 37.600,-€ für ein Yubari-Paar erzielt.

Bei derartigen Summen gilt der Yubari King in Japan als eine Art Wirtschafts-indikator. Werden hohe Preise erzielt, jubelt die Presse über konjunkturellen Aufschwung, beim Gegenteil wittert man den Ruin der japanischen Wirtschaft. 2020 z.B., auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie, war der Preis auf ein histori-sches Tief gefallen. Der Rekord im direkt nachfolgenden Jahr wurde als Zeichen für den wirtschaftlichen Neustart gewertet.

Die Melonen werden im kalten Februar in Gewächshäusern gepflanzt, deren Erde durch Wasserrohre beheizt wird. Nach exakt 105 Tagen wird geerntet. Der streng reglementierte Verkauf obliegt exklusiv der Landwirtschaftsbehörde von Yubari.

Wie bei allen teuren Dingen wird auch bei der Yubari-Melone hin und wieder ver-sucht, mit billigeren Sorten Etiketten-schwindel zu betreiben. Doch die Verant-wortlichen versichern, der Geschmack des Originals sei nicht kopierbar.

Gemäß der Kostbarkeit der Frucht gilt es als unschicklich, sich alleine an ihren Verzehr zu machen. Die oft als Geschenk zu besonderen Anlässen wie dem Jahres-mitte-Fest präsentierte Melone wird im Kreis von (gut betuchten) Familien, guten Freunden oder Geschäftspartnern in klei-nen Häppchen genossen.

Vom exklusiven Geschmack des Geldes ...

Dabei darf bezweifelt werden, ob die Yu-bari z.B. bei einer Blindverkostung gegen ihre Schwestern aus →Cantaloupe oder Cavaillon tatsächlich so gut abschneiden würde, dass sie die irren Preise rechtfer-tigte.

Es scheint eher ein japanisches Gesell-schaftsspiel zu sein, einem eigentlich nor-malen Produkt durch künstliche Verknap-pung und geschicktes, mit Legenden ge-schmücktes Marketing einen Nimbus zu verleihen, mit dem zahlungskräftige Käu-fer ihr Selbstwertgefühl, ja ihre gesell-schaftliche Anerkennung aufpolieren. 

Kobe-Rind

Auf kulinarischem Terrain geschieht das neben der Yubari King mit dem →Kobe-Rind, mit einer während des Wachstums in Würfelform gezwängten Wassermelone, mit der fast schwarzen Densuke-Melone, mit besonders großen Erdbeeren und Weintrauben oder mit dem Blauflossen-Thunfisch. Auch die Riesen-Pfirsiche aus dem chinesischen Pinggu reihen sich da ein.

Densuke-Melone

Bei dem berühmten giftigen Kugelfisch Fugu kommt noch der durchaus berechtig-te Reiz dazu, dass der Genuss der Letzte sein könnte.

Fugu

Und dass der Hype um diese Produkte längst von den japanischen Inseln bis nach Europa und Amerika hinübergeschwappt ist, macht ihn kulinarisch nicht glaubwürdiger. 

Bei aller anerkennenswerten Qualität: Wenn ich abwäge, wie viele ehrlich vermarktete – und auch nicht wirklich schlechte! – Lebensmittel, auch viele in diesem Lexikon erwähnte, ich für den Preis einer einzigen Yubari genießen dürfte …

… da muss ich nicht lange überlegen!

Solche Exzesse sind wohl eher ein Thema für Soziologen und Psychologen als für kulinarisch Interessierte …

Kultur oder Kult?

In Japan pflegt man das Tamtam um an-geblich so kostbare Lebensmittel sicher in besonders ausgeprägter Form.

Aber natürlich haben clevere Marketing-Experten auch bei uns Erfolg mit der Masche. Da wird Natriumchlorid zu wunderkräftigem Himalaya-Salz, weil es von Eisen-Ionen rosa gefärbt ist, Quinoa und Chia sind unersetzlicher Ersatz für Weizen oder Roggen. Und was sind schon unsere heimischen Heidel-, Brom- und Himbeeren gegen Goji & Co.?! 

Wer auch nur ein wenig auf seine Gesund-heit achtet, kommt ohne Super-Food-Produkte nicht durch den Tag, und plötz-lich gehören wir fast alle zu den 0,2% Be-völkerungsanteil mit Gluten-Unverträg-lichkeit.

Dass viele solcher teuer verkauften Pro-dukte auch noch um die halbe Erdkugel reisen müssen, spielt da sonderbarerwei-se selbst bei ach so ökologisch denkenden Menschen keine Rolle mehr. Natürlich gehört zur Esskultur mehr als die bloße 

Aufnahme essbarer Substanzen zur Erhal-tung der Körperfunktionen. Es soll appe-titlich aussehen, schon die Zubereitung kann zum schönen Erlebnis werden, und die verbindende Funktion eines fröhlichen gemeinsamen Mahles mit Anderen ist durch nichts zu ersetzen. Und dass dabei manchmal ein besonderes Lebensmittel auch mal zum Statussymbol wird, gehört zum Spiel dazu. Aber das, was um Yubari, Kobe und anderes betrieben wird, hat mit Kulinarik nur noch ganz wenig zu tun.