Ulis Culinaria

Cremona

Musikliebhabern hängt hier, am linken Ufer des Po in der italienischen Region Lombardia, der Himmel voller Geigen:

Andrea Amati (1510-1577), Antonio Stradivari (1643-1737) und Bartolometto Guarneri (1698-1744), die Götter des Geigenbaus, sind Söhne der Stadt und haben den Ruf der bis heute in Cremona florierenden liuteria (Instrumentenbau, von il liuto für die Laute) begründet. 2012 hat die UNESCO die Geigenbautradition von Cremona zum Immateriellen Weltkulturerbe erklärt.

Die Gebrüder Monteverdi, ebenfalls in Cremona geboren, haben hierzu passende Musik komponiert. Der 450. Geburtstag des älteren und berühmteren der beiden, Claudio Monteverdi, der selbst die Gambe spielte, wurde 2017 ausgiebig gefeiert.

... wo der Himmel voller Geigen hängt ...

Dagegen gibt sich die Gilde der Hersteller der in ganz Italien, und inzwischen darüberhinaus, begehrten Senffrüchte eher bescheiden.

In olio di senape (Senföl) und sciroppo (Läuterzucker) eingelegte, kandierte Früchte aus den Plantagen der Po-Ebene werden als

Mostarda di Cremona

fertig im Glas zum Kauf angeboten. Je nach verwendeter Frucht und der Mischung aus Zuckersirup und Senföl hat man die Wahl zwischen unterschiedlichen Kombinationen von Süße und Schärfe. Neben allen Arten von Zitrusfrüchten sind Aprikosen, Kirschen, Birnen, Äpfel, Feigen und andere als Senffrüchte beliebt. Sie sind ähnlich verwendbar wie ein Chutney und schmecken zu warmem und kaltem Fleisch, zu allerlei Vorspeisen oder, als Abschluss eines guten Mahles, zu einem würzigen Käse.

Mostarda di Cremona

fruchtig-süße Schärfe

Für eine im Gegensatz hierzu sehr süße Spezialität, den torrone, gilt Cremona als Geburtsstadt. Das aus Eischnee, Honig, Zucker, Mandeln und diversen Nüssen bestehende Süßkonfekt heißt im lokalen Dialekt turòon und ähnelt dem in Frankreich bekannten nougat (→Montélimar).

Seinen italienischen Namen soll es erhalten haben, als 1441 ein Konditor anlässlich einer Adelshochzeit die süße Masse in Form des Torrazzo präsentierte, des hier turàs genannten Glockenturms neben dem Dom von Cremona, übrigens mit 112m der zweithöchste campanile Italiens (ital. la torre = der Turm). Die namentliche Parallele zum spanischen turrón (→Jijona) deutet allerdings eher auf einen arabischen Ursprung des Begriffs hin. Die in Cremona zur Perfektion gebrachte Kunst der Torrone-Herstellung ist als →PAT anerkannt.

Torrone

mächtige Süße

Cremona wird liebevoll-scherzhaft als Città delle tre T tituliert, als Stadt der drei T’s. Gemeint sind Turòon, Turàs und Tetàs. Der dritte Begriff lautet im Hochitalienischen tettone, eine volkstümliche Bezeichnung der weiblichen Brust. Mit dieser zugegebenermaßen einseitig maskulinen Charakterisierung soll auf die umfassende Genussfreude der cremonesi angespielt werden, auf ihre Freude an allem Schönen. Zumindest hat das italienische tettone nicht den eher vulgären Beigeschmack, den man bei der deutschsprachigenen Entsprechung Titte empfindet.

Tomaten: Venus- / Nonnenbrüstchen

So verwenden Italiener und Italienerinnen (!) die Begriffe tette oder tettone auch für Tomaten (→Napoli), Süßgebäck (→Altamura) oder andere Köstlichkeiten, deren Form die entsprechende Assoziation hervorruft. Verstärkt wird diese kulinarische Sinnlichkeit, wenn dann zusätzlich die Brüstchen z.B. der antiken Liebesgöttin →Venus oder, wenn es aus einer Klosterbäckerei stammt, den monache, den Nonnen zugeschrieben werden.