Ulis Culinaria

Amatrice

Spaghetti all'amatriciana

Den Namen des kleinen Ortes im Landesinneren der mittelitalienischen Region Lazio haben schon die Begründer der ersten italienischen ristorante-pizzerie in Deutschland eingeführt, wohl ohne dass es den meisten Gästen bewusst geworden wäre. Das gastronomische Standardgericht

Spaghetti all’amitriciana

hat historischen Quellen zufolge tatsächlich seinen Ursprung in Amatrice bzw. in der Provinz Rieti.

Im Original hat das sugo nur drei Grundzutaten: Guanciale, pomodoro und pecorino.

Ersteres ist gesalzener, luftgetrockneter, aber ungeräucherter Speck von Schweinebäckchen (it. guancia), bekanntlich dem zartesten Fleisch des Borstenviehs. In der Gastronomie wird der in feine Streifen oder Würfelchen geschnittene Guanciale häufig durch pancetta, normalen Schweinespeck vom Bauch ersetzt.

Der zweite Bestandteil, die Tomaten, kam natürlich erst nach der Einwanderung aus der Neuen Welt als saftiger und aromatischer Ersatz für andere Gemüse hinzu. Aber in Mittelitalien kamen die pomodori, die goldenen Früchte, so schnell zu kulinarischen Ehren wie in keiner anderen Region Europas.

Und als drittes der praktisch in ganz Italien hergestellte Hartkäse aus Schafsmilch (ital. →pecora = Schaf), die Alternative zum Kuhmilch-Kollegen →parmigiano. In Amatrice schwört man auf den →pecorino romano.

Jährlich Ende August lädt man Besucher der Sagra degli Spaghetti all’amatriciana zum Genuss des originalen Gerichtes ein.

Von Herd zu Herd unterschiedlich ergänzt wird die Sauce mit Zwiebeln, Knoblauch und peperoncini.

Als alternative →Pasta-Sorte sind im übrigen Lazio und in Rom bucatini beliebt, dünne Röhrennudeln, also die zierlicheren Schwestern der maccheroni. In Amatrice selbst schwört man allerdings auf Spaghetti. Sowohl das Nudelgericht im Ganzen als auch der Guanciale amatriciano als einzelnes salume-Produkt (→Fabriano) sind als →PAT anerkannt.

spaghetti alla chitarra

Neben Spaghetti oder Bucatini ist für die Spaghetti all’amatriciana auch pasta alla chitarra beliebt. Die Gitarre (*) ist in diesem Fall kein Musikinstrument, sondern ein Gerät zur Nudelherstellung, das wohl ursprünglich aus der Nachbarregion Abruzze kommt.

Auf einen Rahmen werden Saiten in gleichmäßigem Abstand parallel gespannt, die dünn genug sind, um Pastateig glatt zu zerschneiden. Der Teig wird flach ausgerollt, auf die Drähte gelegt und mit dem Nudelholz durchgedrückt.

(*) Eigentlich ähnelt das Gerät ja eher einer Zither, die in Italien cetra heißt. Aber all diese Begriffe gehen eh auf das antike griechische Saiteninstrument namens Khitara zurück.

Normale Spaghetti werden durch eine Lochscheibe mit runden Löchlein gepresst, erhalten also einen runden Querschnitt.

Im Unterschied dazu bekommen die tonnarelli, wie man sie auch nennt, je nach Abstand der Drähte ein unterschiedlich breites Rechteck als Querschnitt.

Wenn man den Teig auf 2-3mm ausgewalzt und der Abstand der Drähte genauso breit ist, entstehen spaghetti bzw. maccheroni alla chitarra mit einem quadratischen Querschnitt.

Und so mancher Pasta-Genießer schwört darauf, dass die kantigen Gitarren-Nudeln die Sauce noch besser transportieren als die runden.

gricia

Auch heute noch serviert man gerne das Pasta-Gericht gricia, das als Vorgänger des Amatrice-Rezeptes gilt und auch amatriciana bianca genannt wird. Es unterscheidet sich nur durch den Verzicht auf die Tomaten, die ja bekanntlich erst zu Beginn des 16.Jhs. aus der Neuen Welt nach Europa kamen. Man findet es häufig auf Speisekarten in Rom, soll aber nach dem Dorf Grisciano, in der Nachbarschaft von Amatrice gelegen, benannt sein und wird deshalb auch griscia geschrieben.

cacio e pepe

Wenn man nun noch die Guanciale weglässt, man die noch dampfenden Spaghetti lediglich mit grob zerstoßenem schwarzem Pfeffer würzt und Pecorino darüberraspelt, erhält man die frühere Hirtenmahlzeit cacio e pepe (Käse und Pfeffer; formaggio heißt im Dialekt des Lazio cacio). Viele, nicht nur Römer, halten diese simple Variante für den Inbegriff, für die Reinstform aller Spaghetti-Zubereitungen! Um den Käse zu einem cremigen Überzug für die Pasta schmelzen zu lassen, kann man noch etwas vom stärkehaltigen Kochwasser dazugeben.

Nothelfer

Traurige und zugleich hoffnungmachende Bedeutung bekam das Spaghetti-Gericht 2016, als ein schweres Erdbeben in Amatrice wenige Tage vor dem Weihnachtsfest zahlreiche Tote und Verletzte forderte und große Zerstörungen verursachte. Italienische Restaurants in aller Welt nahmen die Spezialität, wenn sie nicht eh schon drauf war, in ihre Karte auf und spendeten für jede servierte Portion einen Teil des Erlöses zur Unterstützung der Opfer.

Prosciutto Amatriciano

Als →IGP hat die EU den Namen eines Schweine-Rohschinkens eingestuft, der sich von den meisten anderen italienischen Schinken etwas unterscheidet. Beim Prosciutto Amatriciano werden vor dem mindestens 12 Monate dauernden Entstehungsprozess durch einen speziellen Zuschnitt relativ viele Fleischteile der Schweinekeulen freigelegt, was einen hohen Feuchtigkeitsverlust bei gleichzeitiger Intensivierung des Geschmacks zur Folge hat. Das großflächige Entfernen der Schwarte ermöglicht während der salatura am Beginn der Schinkenwerdung eine ziemlich gleichmäßige Verteilung des Salzes im Inneren der Keule. Dieses Schnittverfahren wurde von den Schinkenmachern aus Amatrice entwickelt, die dabei entstehende Birnenform ist deshalb typisch für ihren prosciutto. Die Reifung wird vom rauhen, aber überwiegend trockenen Klima in Höhen bis zu 1.200m begünstigt.