Ulis Culinaria

Roma

Ein altes italienisches Sprichwort behauptet, wer von Rom komme, brächte drei Dinge mit: Eine verletzte Seele, einen verdorbenen Magen und einen leeren Geldbeutel.

Dieses für die römische Gastronomie wenig schmeichelhafte Urteil geht sicher nicht auf Marcus Gavius →Apicius zurück, der im 1.Jh.n.Chr. in Rom lebte, ausgewiesener Feinschmecker war und als Autor des ersten Kochbuches gilt. 

Aber die einer gepflegten Gastronomie abträglichen Auswirkungen von Massentourismus waren sicher schon zu Apicius‘ Lebzeiten spürbar. Das Zentrum des Imperium Romanum und später des weltweiten Christentums zog schon immer Menschen von weither an, die auf Kost und Logis angewiesen waren. Und aus dieser Abhängigkeit größtmöglichen Profit zu schlagen, ist keine moderne Erfindung.

Aber auch in Rom gilt: Wer sich nur wenig abseits der Touristenströme bewegt, findet oft ein vielleicht weniger aufgetakeltes, dafür aber von Einheimischen belebtes kleines Restaurant, in dem man vielleicht nicht unbedingt billiger, aber in der Regel preiswerter speisen kann!

Auf alle Fälle lohnt es sich, einen Markt zu besuchen. Täglich (außer So.) geöffnet ist der Wochenmarkt auf dem Campo dei Fiori. Man findet  hier praktisch alles, was der gesamte Mittelmeerraum – ahistorisch ausgedrückt: das Imperium Romanum mit all seinen Provinzen – kulinarisch zu bieten hat.

Markt auf dem Campo dei Fiori

Ein Zeitgenosse von Apicius war der römische Wissenschaftler Plinius der Ältere. Er gilt zwar nicht als Experte für Kulinarisches, hat aber doch im einzigen von ihm schriftlich überlieferten Werk, naturalis historia, viel Wissenswertes auch über essbare Dinge festgehalten, die uns die Natur liefert. Viele dieser Lebensmittel waren damals im Norden Europas, also auch in Germania, noch völlig unbekannt, gehören aber heute als sog. mediterrane Gemüse (Aubergine, Zucchini & Co.) längst zum selbstverständlichen Marktangebot. Das gilt ganz besonders auch für Gewürze, die den Römern durch ihre Handelsbeziehungen zu Orient und Asien bekannt waren, aber erst viel später den Weg nach Norden fanden und zunächst vor allem im Gewürzbrot und im Lebkuchen verwendet wurden.

Erkenntnisse über einen wichtigen Sektor des Nahrungsmittelhandels im antiken Rom bietet auch der Monte Testaccio. Der künstlich aufgeschüttete Hügel mit einem Umfang von rund einem Kilometer besteht aus den Tonscherben (lat. testae) von geschätzten 53 Millionen Amphoren, in denen Weine, Olivenöl, →Liquamen und andere Lebensmittel aus den Provinzen in die Hauptstadt transportiert wurden. Da die Gefäße nicht glasiert waren, wurden sie nur einmal benutzt und danach, als wohl eine der frühesten Formen der Einweg-Verpackung, zerschlagen. Ein Großteil der hier entsorgten Olivenöl-Amphoren konnte anhand von Töpfereimarkierungen der Provinz Hispania Baetica zugeordnet werden. Diese südspanische Region war nach dem Fluss Baetis benannt, der heute Guadalquivir heißt. Dort liegt auch das Städtchen →Priego de Córdoba, dessen Olivenöl nach wie vor zu den beliebtesten seiner Art zählt und von der EU als →DOP ausgezeichnet wurde.

Zwei wichtige Grundbestandteile der heutigen italienischen Küche waren zu Zeiten von Apicius noch unbekannt: Die Tomate (→Napoli) und der Paprika (→Habana). Beide kamen erst nach den Reisen des Genuesers Cristoforo Colombo im 15.Jh. in den Mittelmeerraum und verbreiteten sich, wie auch die in Mittelamerika entdeckte Kartoffel, von dort aus über ganz Europa.

Trippa alla romana

Aber vieles von dem, was im Kochbuch des Apicius zu lesen ist, findet man auch in der heutigen Gastronomie der Ewigen Stadt wieder. Dazu gehören zum Beispiel Trippa alla romana, stundenlang geschmorte und mit Minze und Käse aromatisierte →Kutteln. Das beim Schmoren entstehende sugo besteht heute vor allem aus pürierten Tomaten.

Gnocchi alla romana

Ein typischer römischer erster Hauptgang (primo piatto) sind Gnocchi alla romana. Aus Hartweizengrieß, Milch, Eigelb und geriebenem Hartkäse (z.B. →Parmigiano-Reggiano oder →pecorino) wird im Topf bei milder Hitze ein fester Teig gemischt. Im Unterschied zu den in Norditalien üblichen gnocchi (sprich njoki, auf deutsch Klößchen/Nockerl) wird hier auf Kartoffeln verzichtet! Flach ausgerollt und abgekühlt werden aus der Masse Rondelle (ca. 6-8cm Ø) ausgestochen, die in einer ausgebutterten feuerfesten Form dachziegelartig eingeschichtet werden. Mit Butter, geriebenem Käse und, je nach Gusto, gehacktem Salbei werden die Gnocchi goldgelb gratiniert und frisch serviert.

Außerhalb des Landes ist der bekannteste italienische Kuhmilch-Hartkäse sicher der →parmigiano-reggiano.

Für diesen habe ich eine Ausnahme von meinem auf der Startseite begründeten Käseverzicht in diesem Lexikon gemacht. Eine zweite Ausnahme mache ich für den Pecorino, der dem Parmesan hinsichtlich seiner Bedeutung für die cucina italiana in nichts nachsteht. Die Bezeichnung bezieht sich nicht etwa auf einen Herkunftsort, sondern auf die Milch, die verarbeitet wird: Sie stammt vom weiblichen Schaf, das im Italienischen →pecora genannt wird. 

Pecorino wird vor allem in der Mitte und im Süden des stivale italiano produziert sowie auf den beiden Hauptinseln Sizilien und Sardinien.

Unterschiede in Geschmack, Farbe und Konsistenz entstehen z.B. durch die Menge der Salzung, durch Verwendung von Kräutern oder Gewürzen oder durch unterschiedliche Behandlung während der Reifezeit. Wie beim Parmigiano ist auch bei Pecorino ein wesentlicher Qualitätsfaktor die Dauer der Reifezeit. Acht von ihnen sind mit einer →DOP namentlich geschützt, wie z.B. der Fiore Sardo, der traditionell beim →pesto genovese den Käse-Part übernimmt.

Pecorino romano

Und auch der Pecorino romano trägt stolz das Siegel einer DOP.

Der Namensschutz ist auf das Lazio, die Region um Rom, auf die toscanische Provinz Grosseto und auf la Sardegna begrenzt. Dabei macht Sardinien 97% der Produktion aus, die restlichen 3% verteilen sich auf Toscana und Lazio. Aber die Bezeichnung romano geht immerhin auf die Antike zurück: Plinius d.Ä., Columella und andere altrömische Geschichtsschreiber berichten von einem Schafskäse, der im agro romano hergestellt wurde. Als römischen Acker bezeichnete man das fruchtbare Umland Roms, aus welchem die wichtigsten Lebensmittel für die stetig wachsende Hauptstadt des Imperium Romanum kamen. Sie schildern bereits recht genau die Eindickung der Milch mit dem Lab von Lämmern, die behutsame Erhitzung, das regelmäßige Einreiben der Käselaibe mit grobkörnigem Salz und andere Produktionsschritte, die bis heute für den pecorino romano angewandt werden.

Saltimbocca alla romana

Für die Zubereitung von Saltimbocca alla romana werden kleine Kalbsschnitzelchen mit würzigem Rohschinken (vorzugsweise prosciutto diParma) und einem Salbeiblättchen bedeckt und in der Pfanne gebraten. Der Name saltimbocca bedeutet Spring-in-den-Mund und veranschaulicht sehr gut das Vergnügen beim Genuss dieses Mahles.

Sauce romaine

Eine Sauce aus hellem Karamell, der mit Essig und Wildfond aufgekocht und mit Korinthen und Pinienkernen angereichert wird, trägt in der klassischen Küche den Namen Sauce romaine.

Pomodoro Roma

Roma ist auch der Name einer Tomatensorte, klein, eiförmig und äußerst aromatisch.

Carciofo romanesco

Eine relativ große, kegelförmige Artischockenvarietät heißt Romanesco. Eine dagegen sehr kleine Sorte von Cynara scolymus, deren Blütenknospen im Ganzen genießbar sind, trägt als Carciofo romanesco del Lazio (Umland von Rom) ein →IGP-Siegel.

Romana-Salat

Die bei uns bekannteste Varietät des Lactuca sativa, des Gartensalates, trägt den Namenszusatz var. capitata und heißt entsprechend Kopfsalat.

Der Namenszusatz var. longifolia bedeutet langblättrig und beschreibt den bei uns und in den meisten europäischen Sprachen so genannten Römersalat oder Romana-Salat.

Den Namen verdankt er wohl weniger der Stadt selbst als der begründeten Vermutung, dass diese Salatsorte bereits zu Zeiten des Imperium Romanum beliebt war. Sogar die ägyptischen Pharaonen vor rund 4.000 Jahren könnten ihn schon genossen haben.

Eine kräftige Mittelrippe und stark gewellte Blätter verleihen dem Salat eine knackige Stabilität. Das nutzte z.B. der italo-amerikanische Gastwirt Cesare Cardini, als er einst seinen Gästen den inzwischen berühmten →Ceasar’s Salad kreierte, bei dem die Blätter des Roman Salad als Essbesteck dienen.

Broccolo romanesco

Auch eine schon im Mittelalter in der Region um Rom gezüchtete Blumenkohlvariante (Brassica oleracea botrytis) wird Broccolo romanesco genannt. Sie zeichnet sich durch gelblich-grüne Färbung und besonders durch die kegelförmig strukturierte Oberfläche aus, die manchem Chaos-Mathematiker als natürliches Beispiel für Fraktalbildung dient. Die regelmäßige spiralförmige Anordnung der Erhebungen erinnert an die mathematische Fibonacci-Zahlenfolge.

Nocciola romana

Archäologen haben Indizien dafür gefunden, dass schon vor der Entstehung des Imperium Romanum in der Gegend zwischen Rom und Viterbo, 60 km weiter nördlich, Haselnüsse kultiviert wurden. Auf diese lange Tradition berufen sich die Landwirte, die heute die Corylus avellana unter dem →DOP-geschützten Namen Nocciola Romana anbauen.

Einen Großteil der Ernte macht die Sorte Tonda gentile aus, die auch in Giffoni und anderen italienischen Haselnuss-Gebieten beliebt ist. Hier schwört man natürlich darauf, dass die Nüsschen nur hier, im noch vom Mittelmeer beeinflusssten, aber sonnenverwöhnten Klima ihre ganze geschmack liche Kraft entwickeln. Und: Die Nüsse werden, um die volle Reife zu gewährleisten, nicht vom Strauch gepflückt, sondern erst, nachdem sie von alleine abgefallen sind, vom Boden aufgesammelt.