um 1800
an dieser Stelle wird tatsächlich ein Pferd, das ja immerhin für viele Liebhaber der beste Freund, wenn nicht gar der bessere Mensch ist, als möglicher Namensgeber eines persönlichen Genusses erwähnt!
Aber in diesem Fall wurde dem edlen Ross der Genuss immerhin von niemand Geringerem als von Napoléon Bonaparte persönlich zugesprochen.
Zumindest, wenn man einer Anekdote Glauben schenkt, die in diversen Variationen erzählt wird.
Bei einer Rast seiner Truppen im westfälischen Hügelland – oder irgendwo sonst in Deutschland – habe jemand Napoléon ein in der nächsten Bäckerei gefundenes Brot angeboten, das dem Feldherrn ziemlich seltsam vorkam:
Ein dunkles, in den Augen des weißbrotgewohnten Korsen fast schwarzes Brot, bei dem im Anschnitt gar noch einzelne Körner des teilweise geschroteten Roggens erkennbar waren.
Und Bonaparte soll das Brot mit dem Satz
c’est bon pour Nickel!
oder, nach einer anderen Lesart, c’est du pain pour Nickel verschmäht haben. Also: Das ist gut für Nickel bzw. das ist Brot für Nickel.
Die Menschen, die die Szene mitbekamen, waren wohl entweder schwerhörig, der französischen Sprache nicht mächtig, oder sie kannten den Namen des gerade aktuellen Schlachtrosses von Napoléon nicht. In den 14 Jahren seiner Herrschaft soll der spätere Kaiser Napoléon Ier, so verzeichnete es zumindest sein oberster Stallmeister Armand de Caulaincourt, hunderte Pferde geritten haben, das eine oder andere von ihnen wurde nach siegreichem Kampf gar zur Berühmtheit. Eines wurde z.B. nach dem Schlachtort →Marengo getauft. Und damals ritt Napoléon gerade einen Hengst, der wegen seines silber-grauen Fells Nickel genannt wurde wie das gleichnamige Übergangsmetall mit dem Symbol Ni. Das Element heißt auch im französischen Periodensystem nickel.
Ein solches nickelfarbenes Schlachtross bäumt sich auch kraftvoll auf in einer Version des berühmten Gemäldes von Jacques-Louis David, das Bonaparte franchissant le Grand-Saint-Bernard, Bonaparte bei der Überquerung des Sankt-Bernhard-Passes zeigt (gemalt in fünf Versionen zwischen 1800 und 1803, s.Abb. oben).
Aus Napoléons Abqualifizierung des Brotes als Pferdefutter sollen die Beobachter dann Bompurnickel oder ähnliche Wortschöpfungen herausgehört haben und sie für die französische Bezeichnung des Brotes gehalten haben. Irgendwann könnte daraus sprachlich ja tatsächlich der
Pumpernickel
entstanden sein.
Aber Historiker, Sprachforscher und Brotfachleute sind sich einig, dass der Begriff Pumpernickel lange vor Napoléons Zeiten entstanden ist. Allerdings existieren auch hier diverse, ebenso historisch fragwürdige Theorien.
1988 entdeckte man die Tagebuchaufzeichnungen des Söldners Peter Hagendorf aus dem Dreißigjährigen Krieg. Dort beschreibt er ein Brot, das er um 1630 in der Gegend um die westfälische Stadt Soest gekostet habe, als Pumpernickel.
Tatsächlich gründete nachweislich ein gewisser Jörgen Haverlanth 1570 in Soest die bis heute existierende Bäckerei Haverland, die von vielen Fachleuten als Wiege des besonderen Schwarzbrotes angesehen wird.
Der deutsche Schriftsteller von Grimmelshausen lässt den Helden seines 1669 erschienenen Schelmenromans Simplicius Simplicissimus klagen, er müsse den …treugen Pumpernickel gewaltig beißen… und dass seine …Kehl von dem schwarzen Brot ganz rauh… und sein …ganzer Leib ganz mager… würde (29.Kapitel).
Sprachlich könnte sich der erste Teil des Namens auf das alte Verb pumpeln als Beschreibung eines dumpfen, plumpsenden Geräuschs beziehen. So, wie der von den sieben Geißlein überlistete Wolf bei den Gebrüdern Grimm fragt, was denn da in seinem Bauch rumpelt und pumpelt.
Nickel war seit jeher eine volkstümliche Koseform von Nikolaus, die aber auch, wie dieser Heini!, als leicht ironisches Synonym für einen missliebigen Zeitgenossen gebraucht wurde. In der Kombination war mit Pumpernickel also ein grobschlächtiger, vielleicht auch nicht besonders intelligenter und eleganter Kerl gemeint. Und das entspricht ja durchaus dem etwas kompakten, so gar nicht locker-luftigen Brot aus grob geschrotetem Roggen-Vollkorn, das zudem in klobiger Quaderform, weil im Kasten gebacken daherkommt. Zum böswilligen Vergleich könnte man auch die Wackersteine der sieben Geißlein heranziehen …
Im Übrigen erhält der Pumpernickel aber gerade wegen seiner Kompaktheit enorm lang seine Frische. Zusätzlich wird er meistens für den Handel in luftdichte Folie verpackt. Womit wir zur Herstellung kommen:
Das Deutsche Lebensmittelbuch benennt den Roggen – neben Wasser – als praktisch einzigen Bestandteil des Pumpernickel, sowohl als ganzes Korn als auch geschrotet. Ursprünglich wurden weder Hefe noch Sauerteig als Triebmittel zugegeben. Aus den ganzen Körnern wurde lediglich mit lauwarmem Wasser ein Quellstück oder, mit heißem Wasser, ein Brühstück angesetzt, um die harten Samen quellen zu lassen. Nach einer relativ kurzen Spontangärung mit Hilfe von in der Umgebungsluft enthaltenen Pilzsporen wurde der Brotteig, der ansonsten zu einem Fladen auseinandergelaufen wäre, in Kastenformen gebacken. Das geschah mit Unterstützung von Dampf, indem man zusammen mit dem Brot Wassergefäße in den nur mäßig beheizten Ofen schob.
Dafür musste die Backzeit extrem lang werden. Das Lebensmittelbuch schreibt, obwohl heute meistens auch Sauerteig für etwas mehr Lockerheit sorgt, einen mindestens 16-stündigen Ofengang vor. Für die Dampfzufuhr hat man freilich inzwischen modernere, besser dosierbare technische Verfahren zur Verfügung. Bei diesem Backverfahren bekommt das Brot selbst an der Oberfläche nur eine ganz leichte Kruste. Während der langen Backzeit setzt die nach dem französischen Chemiker Louis Camille →Maillard benannte Verzuckerung der im Roggen enthaltenen Stärke ein. Die Maillard-Reaktion, auch beim Fritieren, Grillen oder scharfen Anbraten im Spiel, verleiht dem Pumpernickel seine typische dunkle Färbung sowie eine gewisse Süße. Wird dem Teig zusätzlich Zucker beigegeben, wird der Pumpernickel zu einem lebkuchenartigen Süßgebäck, das man auch gerne zur geschmacklichen und konsistenziellen Bindung in Saucen krümelt.
Der Pumpernickel erinnert an ein aus Weizen-Vollkorn-Schrot gebackenes Brot, das im 19.Jh. von dem US-amerikanischen Prediger →Graham erfunden wurde und deshalb als Graham-Brot verkauft wird. Und wie dieses gilt auch der Pumpernickel – nicht zuletzt wegen der im Vollkorn erhaltenen wertvollen Substanzen – als außerordentlich gesund. Vor allem einer effektiven Verdauung soll das Schwarzbrot, wie es auch genannt wird, zuträglich sein.
Womit wir bei einer weiteren Namenstheorie wären: Nimmt man den Nickel, s.o., als Kerl und das pumpern für eine auch im Westfälischen umgangssprachliche Form für die bei der Verdauung entstehenden und sich dann ihren Weg in’s Freie suchenden, blähenden Darmwinde, dann steht der Pumpernickel schlicht für einen …
… furzenden Kerl.
Noch ein Versuch:
In den USA ist bis heute eine aus Kupfernickel geprägte Fünf-Cent-Münze als nickel im Umlauf. Auch in Westfalen gab es früher ein als Soester Nickel bezeichnetes Geldstück. Und vielleicht hat sich ja mancher auch mal eine solche Münze geborgt, also gepumpt, um sich so ein Schwarzbrot kaufen zu können.
Eher unwahrscheinlich ist die Herleitung des Namens vom lateinischen bonum paniculum, mit dem ein gutes Brötchen gemeint war. Denn seinerzeit war ein solches Schwarzbrot noch unbekannt.
Auch ein gelegentlich als Erfinder des Pumpernickels erwähnter Bäcker namens Nikolaus Pumper scheint selbst eher eine Erfindung zu sein.
Einige etymologische Erklärungsversuche beziehen sich nicht zuletzt auf den lustigen Klang des Namens.
Das hat sich wohl auch der britisch-deutsche Schlagersänger und Radiomoderator Chris Howland gedacht, als er in den 1950er Jahren, um seinen etwas griesgrämigen Toningenieur hinter der Glasscheibe aufzuheitern, eine WDR-Sendung mit … Euer Heinrich Pumpernickel! beschloss.
Anders als der immer noch miesepetrige Tonmann war das Radiopublikum derart belustigt, dass der spontane Einfall zu Howlands Künstlernamen wurde.
Eines von mehreren literarischen Beispielen, bei denen der witzige Name des Brotes zum Stilmittel wird, bietet William Makepeace Thackeray, ein englischer Schriftsteller der Romantik. Er erwähnt in seinem Roman Vanity Fair, 1848 auf deutsch als Jahrmarkt der Eitelkeiten erschienen, ein fiktives deutsches Großherzogtum Pumpernickel, im englischen Original Grand Dutchy of Pumpernickel. Vor dem Hintergrund der europäischen Befreiungskriege gegen die napoleonische Vorherrschaft verarbeitet Thackeray unter anderem gesellschaftskritisch, aber mit satirischem Humor, seine Erfahrungen mit der deutschen Kultur während eines längeren Aufenthaltes in Deutschland.
Und zur variantenreichen Deutschen Brotkultur, die seit 2014 zum Immateriellen Kulturerbe (UNESCO) zählt, gehört der Pumpernickel allemal.
In der niedersächsischen Stadt Hildesheim werden Hildesheimer Pumpernickel gebacken.
Diese haben allerdings nichts gemein mit dem oben beschriebenen Brot. Es handelt sich eher um ein den →Aachener Printen ähnelndes Lebkuchengebäck, das in langen, ca 5cm breiten Streifen gebacken und dann zu Rauten geschnitten wird. Sie enthalten die typisch weihnachtliche Lebkuchenwürzung, werden aber ganzjährig angeboten.
In diesem Fall sind sowohl die Gründe für die Bezeichnung Pumpernickel als auch der historische Bezug zur namensgebenden Stadt völlig unklar. Aber immerhin streiten sich mehrere Hildesheimer Bäckereien um die Erfindung der Kekse.