Ulis Culinaria

Louis Camille Maillard

*1878 Pont-à-Mousson, †1936 Paris

An dieser Stelle soll beileibe kein chemischer Grundkurs stattfinden. Aber sehr viele der Veränderungen, die unsere Lebensmittel bei der Verarbeitung in der Küche erfahren, beruhen nun einmal auf chemischen Prozessen. Ein ganz entscheidender Schritt in der Menschheitsgeschichte war, pflanzliche oder tierische Gaben der Natur mit Hilfe des Feuers so zu verändern, dass sie von unserem Körper besser aufgenommen werden als in rohem Zustand. Wie viele andere kulinarische Erfindungen ist auch das Braten von Fleisch sicher durch Zufall entstanden (sicher noch vor dem Kochen in Wasser, denn dafür braucht man schon ein feuerfestes Gefäß). Da hat vielleicht jemand ein Stück des erlegten Wildes zu nahe ans Feuer gelegt oder es gar hineinfallen gelassen. Aber den Luxus, es dann wegzuwerfen, konnten sich weder Jäger noch Sammler leisten. Und es war sogar richtig gut!

Feuer, Antrieb des Lebens

Viele Anthropologen sagen, erst die Fähigkeit, Lebensmittel durch Hitze zu garen, habe die einzigartige Entwicklung des menschlichen Gehirns, des Homo sapiens ermöglicht. So gesehen haben wir es dem Garen selbst zu verdanken, dass Wissenschaftler, die sich unter dem Stichwort Lebensmittelchemie versammeln, heute in der Lage sind, bis ins kleinste Detail zu entschlüsseln, welche chemischen und physikalischen Veränderungsrozesse sich beim Garen abspielen. Und sie sind damit noch lange nicht fertig.

Maillard-Reaktion

Louis Camille Maillard gehörte offensichtlich zu den Menschen, die schon in jungen Jahren erstaunliche Gehirnleistungen erbringen können. Er begann bereits mit 16 Jahren ein naturwissenschaftliches Studium an der Université de Nancy, Schwerpunkte Chemie und Medizin. Seine außergewöhnlichen Leistungen z.B. bei der Erforschung von Nierenleiden verschafften ihm einen Studienplatz an der Pariser Sorbonne. 1914, bevor er seine wissenschaftliche Arbeit wegen des Militärdienstes im Ersten Weltkrieg unterbrechen musste, wurde er von der Académie de médecine für seine Arbeiten mit hohen Auszeichnungen belohnt. Das, was der Forscher in seinen Studien zu den Reaktionen zwischen verschiedenen Aminosäuren und Zuckern unter großer Hitze schließlich beschrieb, wird heute als Maillard-Reaktion zusammengefasst. Eigentlich müsste man den Begriff im Plural verwenden, denn es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel mehrerer chemischer Vorgänge. Aber diese überlassen wir doch lieber den Fachleuten in den Laboren.

In Rezepten, kulinarischen Werbeanzeigen und fast in jeder Koch-TV-Show werden die schönen Röst-Aromen und die appetitliche Bräunung beschworen, die unsere Lust auf gebratenes oder gegrilltes Fleisch, auf knusprig gebackenes Brot und auf fritierte Kartoffel- oder Fischstäbchen steigern. Wer wird nicht die kross gebräunte Haut eines gebratenen Hähnchens der labberigen gekochten Variante vorziehen! Wie intensiver wird doch der Genuss eines z.B. für ein Mirepoix gut angerösteten Gemüses! Und auch ohne es zu wissen, genießen wir die intensiven Aromen und die dunkle Farbe eines →Pumpernickels wegen der von Maillard beschriebenen Reaktionen.

Das war wohl genau der Effekt, der schon dem Steinzeitmenschen zeigte, dass das versehentlich angekokelte Stück Fleisch eigentlich noch viel besser schmeckt als das rohe Wildbret und dass der auf dem heißen Stein neben der Glut gebackene Fladen verlockender duftet als der Brei aus Wasser und geschroteten Getreidekörnern. Und sehr schnell haben die frühen Menschen sicher auch bemerkt, dass vieles Essbare nicht so schwer im Magen liegt, wenn es zuvor die Hitze des Feuers gespürt hat.

Neben diesen mit Augen, Nase und Mund wahrnehmbaren Veränderungen stellte sich heraus, dass die Lebensmittel dadurch auch länger haltbar wurden. Tatsächlich hat man inzwischen nachgewiesen, dass die gebräunten Teile antibakterielle Substanzen enthalten.

Andererseits wurde wissenschaftlich herausgefunden, dass ein erheblicher Prozentsatz der wichtigen Aminosäuren zerstört wird. Und ins Gerede gekommen ist die Maillard-Reaktion in den vergangenen Jahren durch Studien, die darauf hindeuten, dass sie auch krebserregende oder zumindest krebsfördernde Stoffe wie z.B. Acrylamid erzeugt. Quasi im Gegenzug hat man Hinweise gefunden, dass die Maillard-Reaktion der Bildung von Krebszellen auch entgegenwirken könnte. Da gibt’s also noch reichlich Neuland für die Wissenschaft. Wahrscheinlich müsste man eh schon täglich kiloweise Gegrilltes, scharf Angebratenes oder Fritiertes verschlingen, um die ermittelten Grenzwerte mit ihren schädlichen oder nützlichen Effekten zu erreichen. 

Aber die unbestritten positiven Aspekte eines gestiegenen Ernährungsbewusstseins werden hin und wieder durch dogmatische Übertreibungen ins Absurde geführt. Die Lebensmittelindustrie hat ganz undogmatisch, sondern höchst pragmatisch längst begonnen, mit künstlichen Aromastoffen die geschmackliche Veränderung von Lebensmitteln durch die Maillard-Reaktion nachzuahmen. Und mit ein bisschen Lebensmittelfarbe zur appetitlichen Bräunung stimmt dann auch die Optik.Dabei wird übrigens auch karamellisierter Zucker als Farbgeber verwendet. Das Karamellsieren verbessert zwar auch den Geschmack so manchen Lebensmittels, hat aber chemisch mit der Maillard-Reaktion nichts zu tun.

Wie bei vielen vergleichbaren Diskussionen über gesunde Nahrung gilt sicher auch hier der Grundsatz, dass bei einer ausgewogenen Wahl der Lebensmittel die wohltuende bzw. die schädliche Wirkung vor allem eine Frage der Menge ist.