Ulis Culinaria

Maria, die Jüdin

zw. 3. und 1.Jh. v.Chr., Alexandria

... Kochen ist doch auch nur Chemie ...

Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber!

Derart abfällig lässt Goethe seinen Titelhelden Faust über eine Hexe urteilen, die ihm auf Vermittlung durch Mephisto einen Trank für ewige Jugend brauen will. Während ihres geheimnisvollen Tuns murmelt sie das Hexeneinmaleins, in welchem sie die Zahlen von 1 bis 10 in seltsamen, scheinbar sinnfreien Formulierungen aneinanderreiht.

Da hat sich der alte Dichterfürst Anfang des 19.Jhs. allerdings bei einem viel älteren Vorbild bedient, das als Axiom der Maria Prophetissa überliefert ist:

Aus Eins wird Zwei, aus Zwei wird drei, und das Eine des Dritten ist das Vierte; so werden die zwei eins.
So stellte sich der alchemistische Arzt Michael Maier um 1616 seine antike Kollegin vor

Den im Mittelalter entstandenen Beinamen prophetische Maria erhielt die Frau wohl, weil so manche ihrer Tätigkeiten und eben auch jener Spruch eher in den Bereich unerklärbarer Mystik passte, als dass man ihr rationales wissenschaftliches Arbeiten zugetraut hätte.

Maria die Jüdin wirkte im antiken ägyptischen →Alexandria. Die Stadt war im Jahr 331 v.Chr. von Alexander dem Großen gegründet und bald bekannt geworden als Zentrum der Wissenschaften. Besonders die Große Bibliothek galt als größter Wissensschatz der damals bekannten Welt.

Bis heute rätseln Wissenschaftler, wo die Abertausenden Schriftrollen geblieben sind, nachdem die Bibliothek – wohl im 3. nachchristlichen Jahrhundert – zerstört wurde.

Die wenigen Informationen über diese Maria stammen aus Schriften späterer Fachkollegen, z.B. denen des Zosimos von Panapolis, der im 3./4. nachchristlichen Jahrhundert ebenfalls in Alexandria tätig war. Hieraus ergibt sich wahrscheinlich auch, dass der sowieso nur vage definierbare Lebenszeitraum der Maria manchmal ins 1. bis. 3. Jh. nach Christi Geburt verlegt wird. Das ist allerdings höchst unwahrscheinlich, denn da hatte Alexandria die Rolle eines Silikon-Valley der Antike längst verloren. Genauso wenig plausibel sind Identifizierungen, in denen Maria unter der hebräischen Namensform Mirjam als Schwester von Moses und Aaron ausgemacht wird. Völlig abwegig ist die Annahme, es könne sich gar um die jüdische Mutter des Jesus von Nazareth handeln.

Maria die Jüdin wird jedenfalls allgemein als eine Pionierin der Alchemie gewürdigt, in der die Erkundung der Natur noch stark von übernatürlichen Vorstellungen beeinflusst war. Das Labor, in dem Physiker, Chemiker und andere Naturwissenschaftler späterer Zeiten ihre Experimente durchführen, hieß bei den Alchemisten noch Küche. Und weil das Gebrodel und Gezische, die Geräusche und Gerüche aus einer Alchemistenküche manchem außenstehenden Zeitgenossen doch allzu unheimlich vorkamen, konnte es sich im europäischen Mittelalter ja nur um eine Hexenküche handeln. Womöglich hätte man damals auch die Jüdin Maria als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Nicht so aber am frühen Wissenschaftsstandort Alexandria – wie gesagt, dem Silikon-Valley der antiken Forschung.

Indirekte Hitze - genialer Trick für sanfte Küche

Ein paar Gerätschaften, die heute wirklich nicht mehr als Hexenwerk gelten, sondern in Labor und Küche zum alltäglichen Gebrauch gehören, schreibt man als Erfindung der klugen Jüdin zu. Vor allem mit diversen Methoden, organische oder anorganische Substanzen zu erhitzen, hat sie sich offensichtlich intensiv befasst. Wie nah sich Kochkunst und Wissenschaft eigentlich sind, sieht man, wenn die Eigenschaften von Dingen durch Hitze verändert werden. Der Schnell- oder Dampfkochtopf, oft gepriesen als praktische Erfindung der Neuzeit, soll schon von Maria unter der wissenschaftlich-griechischen Bezeichnung kerotakis entwickelt worden sein. Fraglich ist auch, ob wir zum Brennen all unserer Spirituosen in der Lage wären, wenn Maria in Ägypten nicht den tribikos erfunden hätte, einen frühen Destillierapparat.

Und offensichtlich hat diese Wissenschaftlerin auch schon mit dem Problem gekämpft, dass sich manche Substanzen übermäßig verändern oder gar völlig zerstört werden, wenn man sie zu direkt zu großer Hitze aussetzt. Zunächst expermentierte sie wohl mit Kübeln voller Viehdung, dessen Gärungswärme sie nutzte.

Später befüllte sie große Behälter mit Asche oder Sand, die sie von außen befeuerte. Denn wenn nun ein kleineres Gefäß hier hinein gestellt wurde, gaben der Sand bzw. die Asche die Temperatur nur indirekt und deshalb sehr gleichmäßig und langsam an die jeweilige Substanz ab.

das Wasserbad / le bain-marie

Es ist nicht ganz sicher, ob jene Maria auch die Erste war, die das größere Gefäß mit Wasser statt mit festem Material befüllte. Hierfür kommen auch Hippokrates, der Urvater der Ärzte, und andere frühere Gelehrte in Frage. Das Prinzip ist jedenfalls das gleiche, aus dem Aschebad wurde das Wasserbad.

Und das erfüllt heutzutage wie selbstverständlich bei jedem Büffet, in jeder heißen Theke und in der Küche von Profis und Laien seinen Zweck.

Im Deutschen taucht man den kleineren Topf ins Wasserbad. Im Französischen, der internationalen Küchensprache, nennt man die Vorrichtung Bain-Marie. In einigen älteren deutschsprachigen Büchern findet man noch die wörtliche Übersetzung Marienbad. In Schriften des französischen Gelehrten Arnaud de Villeneuve anfangs des 14.Jhs. wird erstmals lateinisch das balneum Mariae beschrieben. Alle diese Benennungen beziehen sich zweifelsohne auf jene weitgehend unbekannte jüdische Gelehrte aus Alexandria.

... dass mir nur die Sauce ...

Statt irgendwelcher Mineralien, Metalle oder anderer Substanzen geht es bei der kulinarischen Anwendung des Prinzips um das Warmhalten oder um das sanfte Erwärmen von Lebensmitteln, denen eine zu plötzliche und zu große Hitze einen schweren Schock versetzen würde. Besonders dann, wenn ölige und wässrige Komponenten, die sich eigentlich nicht mögen, miteinander zu einer glatten Emulsion vereinigt werden sollen, kann Wärme hilfreich sein. In der Saucenküche kommt wegen der gewünschten Bindung – und natürlich wegen des besseren Geschmacks – häufig noch Eigelb hinzu. Und genau darin liegt ein Problem, mit dem schon Generationen von Küchen-Azubis gekämpft haben, für das aber ein Bain-Marie die Lösung bringen kann. Denn das Eigelb stockt ab einer gewissen Temperatur, verhindert dann mit hässlichen Klümpchen eine homogene Konsistenz, und die Sauce wäre geronnen bzw. – im Küchenjargon – abgeschissen (Colbert).

... nicht abscheißt ...!

Bei der sauce béarnaise, mit der ähnlichen sauce hollandaise eine der wichtigsten Grundsaucen, hat der Azubi ausreichend Gelegenheit, die Vorzüge des Wasserbades schätzen zu lernen (Choron). Auch eine in der Dessertstation misslungene sabayon/zabaglione oder eine überhitzte Schokoladensauce, bei der sich das Kakaofett von den übrigen Bestandteilen trennt, bezeichnet man als abgeschissen. Deshalb wird das Wasserbad nie zum Kochen gebracht, sondern allenfalls zum sanften Simmern. Und droht trotz eifrigen Rührens doch einmal Ungemach, kann der kleinere Topf durch kurzes Herausheben rasch wieder abgekühlt werden. Noch schneller geht das durch Eintauchen des Gefäßes in Eiswasser.

Das gleiche Prinzip nutzen wir, wenn wir die kleinen Förmchen, in denen ein Pudding, eine crème caramel oder eine panna cotta stockt oder ein zartes Soufflé sich aufplustert, nicht nackt in den Ofen stellen, sondern in ein schonendes Fußbad.

Die Küchengerätehersteller haben natürlich auch die Bain-Marie längst als elektrisch beheizten doppelwandigen Topf mit stufenlos regelbarer Temperatur auf den Markt gebracht. Um fertige Speisen z.B. während eines Büffets oder auf den in manchen Restaurants modern gewordenen Selbstbedienungs-Tischen über längere Zeit warm zu halten, kann man einen Chafing-Dish nutzen. Das Gerät, benannt mit der anglizierten Form des französischen Wortes chauffer für erwärmen/heizen, besteht meist aus einer rechteckigen flachen Edelstahl-Wanne mit dem heißen Wasser, in dem sich eine entsprechend kleinere Wanne für die Speise befindet.

Ähnlich sind die Theken von Kantinenküchen, Schnellimbissen und anderen gastronomischen Einrichtungen gestaltet. Dort werden sog. GN-Behälter verwendet, die nach der Gastro-Norm bemessen sind und eine vielfältige Anordnung unterschiedlich großer Module in einem gemeinsamen Wasserbad ermöglichen.

GN-Theke

Bei solchen Warmhaltesystemen tauchen die Speisenbehältnisse meist gar nicht in das Wasser ein, sondern schweben im Dampf. Damit können etwas höhere Temperaturen erzielt werden als mit direkter Wasserberührung, bei der mit dem Siedepunkt von rund 100°C Schluss ist.

Das GN-System gibt es adäquat auch in gekühlter Version für Salatbüffets, Eisdielen und anderes.

... ich stell' dir was warm!

Will man ein Lebensmittel noch höher, aber ebenso schonend erhitzen, kann das Wasser durch Öl ersetzt werden. Dabei muss aber unbedingt ein ausreichender Größenunterschied zwischen den beiden Gefäßen bestehen, damit der kleinere Topf nicht den größeren quasi wie ein Deckel verschließt.

Erfahrene Küchenprofis, die ihren Herd kennen wie einen vertrauten Freund, können das Abscheißen einer empfindlichen Sauce in der Regel auch ohne Bain-Marie vermeiden. Vor allem in der privaten Küche ist die alte Jüdin aber bis heute eine meist willkommene Helferin und ganz bestimmt eher die gute Fee als die böse Hexe.

Jetzt geht's ans ...

Etwas aus der Mode geraten war in den letzten Jahrzehnten das Einmachen von Lebensmitteln. Die Lebensmittelindustrie hat uns aber auch ziemlich verwöhnt mit ihrem umfassenden Angebot an Gläsern und Blechdosen, zu jeder Jahreszeit gefüllt mit Früchten und Gemüsen aus jeder Jahreszeit. Dazu kommt die noch relativ junge, aber schon riesige Auswahl an tiefgefrorenen Lebensmitteln.

Schraubdeckelgläser im Einwecktopf

Der Begriff einmachen hat seine wörtliche Entsprechung im französischen confire. Fleisch von Ente oder Gans, das im eigenen Fett gegart und dann darin luftdicht eingeschlossen wird, genießen unsere Nachbarn als confit de canard /d’oie. Wir nennen Früchte, denen wir durch Einkochen einen großen Teil ihrer Flüssigkeit entzogen haben, Konfekt. Und Früchte, die im eigenen Saft und mit Zugabe von Zucker eingekocht werden, heißen international Konfitüre.

Einkochtopf mit Temperaturanzeige und Überdruckventil

Das Bain-Marie nutzen wir als weitere Methode, Lebensmittel haltbar zu machen. Der französische Konditor Nicolas Appert errang 1810 den ersten Preis in einem Wettbewerb, mit dem Napoléon Bonaparte eine Möglichkeit suchte, seine Truppen auf langen Feldzügen mit Fleisch und Gemüse zu versorgen. Appert garte die Lebensmittel bei keimtötender Temperatur von mindestens 100°C in hermetisch geschlossenen Gefäßen, in denen sich beim Abkühlen ein Unterdruck bildete, der dauerhaft für Sterilität sorgte. 

...Eingemachte!

Weckgläser

Ende des 19.Jhs. brachte der deutsche Geschäftsmann Johann Carl Weck ein patentiertes Verfahren auf den Markt, das bis heute unter der Bezeichnung Einwecken praktiziert wird. Die Einweckgläser werden nach dem Befüllen mit einem Dichtungsring aus Gummi und einem ebenfalls gläsernen Deckel verschlossen. Spezielle Klammern oder ein Bügel aus Federstahl halten den Deckel. In einem Einweckkessel (manchmal selbst wie ein Schnellkochtopf mit Überdruck) können nun mehrere Gläser auf einmal ins Wasserbad gestellt und unter kontrollierter Temperatur erhitzt werden. Der Gummiring lässt dabei soviel Luft entweichen, dass die Gläser nicht platzen. Aber der beim Abkühlen entstehende Unterdruck verschließt – wie schon bei Appert – die Gläser sicher genug, um eine lange Konservierung zu gewährleisten. Eine Lasche am Gummiring ermöglicht das Öffnen des Glases mit einem kräftig zischenden Zug. Heute nimmt man gerne auch Gläser mit metallenem Schraubdeckel, der quasi einen eingebauten Dichtungsring besitzt.