Ulis Culinaria

Amiens

Das berühmteste Bauwerk und Wahrzeichen der Stadt ist die gotische Cathédrale Notre-Dame d’Amiens, die weltweit größte ihrer Stilepoche (die Namensschwester in Paris würde zweimal hineinpassen!).

Aufgrund ihrer vielen Kanäle wird die frühere Hauptstadt der historischen Picardie (Region Hauts-de-France) auch als Klein Venedig des Nordens tituliert. Der Osten von Amiens ist geprägt von den einmaligen hortillonages, ausgedehnten schwimmenden Gärten, die aus früherem Sumpfland geschaffen wurden. Kein Wunder also, dass eine der bekanntesten lokalen kulinarischen Spezialitäten einem Wasservogel gewidmet ist:

Pâté de canard en croute d'Amiens

Für eine schon historische Köstlichkeit namens Pâté de Canard en Croute d’Amiens wird eine ganze Ente entbeint und mit einer Farce aus foie gras, Wildfleisch, Speck und →duxelles von verschiedenen Pilzen gefüllt. Die Zutaten werden nur kleingeschnitten, also nicht gewolft, und in der Sauteuse mit Butter angeschwenkt. Flambieren mit Cognac, Armagnac oder einer anderen Spirituose gibt spezielle Aromen. Bindung erhält die Farce durch Ei und Brotkrume. Ansonsten gibt es durchaus Abwandlungen. Große Auswahl hat man z.B. beim Wild, von Hasenfilet über Rehrücken bis zu Flugwild wie z.B. Fasan. In manchen Küchen kommen noch Äpfel (meist säuerliche Sorten wie reinette) dazu. Besonders edel wird die Füllung, wenn die Duxelles zumindest teiweise aus truffes (Trüffel) besteht. Andererseits wird statt der teuren Stopfleber auch mal normale Geflügelleber genommen.

Die gefüllte, zugenähte und abgekühlte Ente wird schließlich in einen einfachen Teig aus Mehl, Ei und Butter eingehüllt, wobei an der Oberseite eine kleine Öffnung gelassen wird. Dieser cheminée (Kamin) lässt den Dampf entweichen und verhindert so ein Aufplatzen des Teigmantels. Gerne formt man aus dem gleichen Teig Verzierungen, die z.B. Flügel und Gefieder des Vogels darstellen. Für Festbanketts wurde auch gelegentlich die komplette Ente in Teig nachmodelliert, samt Kopf und Bürzel.

Das Ganze wird in einer feuerfesten Form im Ofen eine gute Stunde gebacken, bis die Oberfläche knusprig goldbraun glänzt. Danach wird durch die Dampföffnung Gelee (von Kalbsknochen und –füßen) aufgefüllt, die erkaltete Pastete wird gestürzt und aufgeschnitten. Der Genuss rechtfertigt den Aufwand!

Das hat schon die Marquise de Sévigné Mitte des 17.Jhs. in einem Brief bestätigt. Die feine Dame aus Paris lernte die feine Entenpastete aus Amiens kennen, nachdem sie per Heirat in den Norden Frankreichs kam. Sie wurde durch die Veröffentlichung ihrer umfangreichen und literarisch ambitionierten Briefwechsel mit Persönlichkeiten ihrer Epoche berühmt.

Andouillettes d'Amiens

Einen etwas irreführenden Namen tragen die Andouillettes d’Amiens bzw. amiénoises. Mit den anderenorts in Frankreich hergestellten Kuttelwürsten namens andouilles oder andouillettes (→Troyes) haben sie nichts gemein. Es handelt sich vielmehr um Klößchen aus Schweinehackfleisch, Semmelbröseln und Ei mit viel Zwiebel, Knoblauch und Kräutern, die in Schweineschmalz knusprig gebraten werden. Also auf deutsch: Frikadellen. Im Französischen nennt man sie auch boulettes (wörtl. kleine Kugeln), was sich in manchen Gegenden Deutschlands als Bulette eingebürgert hat. Als andouillettes werden sie bezeichnet, weil man die Fleischmasse anstatt in kugeliger Form auch gerne zu Röllchen geknetet hat, die an kleine Würste erinnerten. Und wenn sie kräftig genug angebraten waren, passte auch die Farbe.

Für Beignets d’Amiens, nordfranzösische Verwandte des →Berliners, wird ein Teig aus Mehl, Ei, Hefe, Ziegenfrischkäse, Zucker und Rindermark gerührt, gewürzt mit Wein und Zitronenzesten. Mit einem Esslöffel ausgestochene Nocken werden schwimmend in Öl goldbraun ausgebacken, mit Puderzucker bestreut und am besten noch heiß genossen. Ihre locker-luftige Struktur verdanken die Krapfen dem Eiweiß, das steif geschlagen und vorsichtig untergehoben wird. Die Menge an Luft im Teig, die beim Ausbacken hin und wieder mit einem sanften pfff entweicht, hat den Beignets auch zur scherzhaft-volkstümlichen Bezeichnung pet d’âne verholfen, Eselsfurz.

Beignets d'Amiens

Macarons d'Amiens

Katharina von Medici, die 1533 den späteren französischen König Henri II heiratete, soll das Rezept für ein süßes Gebäck aus Italien nach Frankreich mitgebracht haben, das heute als Macarons d’Amiens bezeichnet wird.

Fein gemahlene Mandeln, Zucker, Honig, Aprikosengelee und Vanille werden mit Eiweiß zu einer glatten Masse verarbeitet. Bittermandelöl gibt die besondere Note dazu. Talergroße Plätzchen werden goldbraun gebacken und nach dem Abkühlen einzeln eingewickelt, um die zart-weiche Konsistenz zu bewahren.

Die Grundzutaten weisen die Macarons als Mitglieder der →Marzipan-Familie aus.

Unter der Bezeichnung macaron werden in ganz Frankreich aus den drei Grundzutaten Mandelmehl, Zucker und Eiweiß Kleingebäcke hergestellt, die sich je nach lokaler Tradition in Nuancen unterscheiden. Einen kleinen Überblick will ich im Folgenden verschaffen:

Macarons

französisches Nationalgebäck

In den letzten rund 18o Jahren haben sich die zarten macarons in der links abgebildeten Form – bunte, mit Creme gefüllte Doppeldecker – zum inoffiziellen Beitrag der pâtissiers zur französischen Kultur gemausert. Diese Macaron-Spielart wird wegen des Entstehungsortes, aber auch wegen ihrer frankreichweiten Symbolbedeutung, als →macaron parisien geehrt. 

Dabei geht ihre Geschichte bis ins Mittelalter zurück, wenn nicht noch weiter. Die Bezeichnung macaron ist, wie auch der italienische Nudelbegriff →maccheroni, vom arabischen Wort makkarun abgeleitet. So nannten die Nordafrikaner, die nicht nur auf der iberischen Halbinsel, sondern auch im Süden von Frankreich und Italien etliche kulinarische Spuren hinterließen, Lebensmittelzubereitungen auf Basis von gemahlenem Getreide, Nüssen oder Samenkernen in Form eines homogenen, glatten Teiges. Und ein solcher wird ja sowohl zur Herstellung von Teigwaren, also Nudeln gebraucht als auch für verschiedenste Gebäcke. Da der Teig ganz besonders fein wird und beim Backen eine luftig cremige Konsistenz bekommt, wenn die gemahlenen Mandeln, Nüsse oder anderes mit Eischnee verrührt werden, hat sich der Begriff macaron, im Deutschen Makrone, für diese Gebäckart durchgesetzt. 

Dass sich das ursprünglich arabische Wort mit der Zeit auf Mandel-Gebäck beschränkte, liegt sicher an der besonderen Beliebtheit, die die süßen und recht leicht zu mahlenden Mandelkerne seit jeher in der arabischen Küche genießen. Erst später wurde der Begriff wieder ausgeweitet auf Gebäck aus geraspelter Kokosnuss sowie Hasel- oder Walnüsse.

In Frankreich haben die macarons sicher die weiteste Verbreitung und die größte Vielfalt an Varianten erreicht (*). Wobei es sich allerdings meist nur um geringfügige Abweichungen vom Grundrezept Mandelmehl+Eischnee+Zucker handelt. Damit der Teig noch zarter wird, kommt der Zucker fast überall in Puderform dazu.

Der größte Unterschied liegt wohl in der Haltbarkeit: Während manche Varianten und auch die meisten Makronen aus deutschen Backstuben oder die italienischen →Amaretti zum Dauergebäck gezählt werden, verlieren die französischen macarons in der Regel nach wenigen Tagen ihre saftig-cremige Zartheit – wenn dann überhaupt noch welche übrig sind …!

(*)  Beispiele in diesem Lexikon:

Gib einfach den Begriff macaron bei der Suchfunktion rechts oben ein!

Tuiles d'Amiens -

Eine ebenso zart-süße Leckerei sind die Tuiles d’Amiens. Schokolade in verschiedenen Geschmacksrichtungen wird mit fein gehackten Mandeln vermengt und in Form kleiner, gewölbter Dachziegeln (frz. tuiles) erkalten gelassen.

Überhaupt haben die französischen boulangers und pâtissiers zu Amiens einen besonderen Bezug. Denn hier waltete im 6.Jh. →Honoré d’Amiens als Bischof. Dessen Kindermädchen hatte sich einst über den kleinen Honoré lustig gemacht, als er ihr verkündete, dass er Priester werden wolle.

- süße Dachziegel

Die gute Frau, gerade mit dem Einschießen der Brote in den Holzofen beschäftigt, lachte: Ja klar, und wenn aus dem Stiel meines Brotschiebers irgendwann mal Blätter wachsen, dann wirst du auch noch Bischof! Es kam, wie es kommen musste. Just in dem Moment, in dem ein paar Jährchen später Honoré tatsächlich zum Bischof von Amiens geweiht wurde, verwandelte sich das hölzerne Bäckerwerkzeug in einen blühenden und früchtetragenden Brombeerstrauch. Wegen dieses Wunders gilt Saint-Honoré als der Schutzheilige von Kornbauern, Müllern, Bäckern und Konditoren.