Der wohl bekannteste kulinarische Exportschlager der Hansestadt ist das Lübecker Marzipan, nach EU-Recht schon 1996 mit →g.g.A.-Siegel ausgezeichnet.
Die Lübecker Marzipantradition geht alten Urkunden zufolge bereits auf das frühe 16.Jh. zurück, in historischen Zunftbüchern wird Martzapaen schon 1530 aufgeführt. Früher wurde gern erzählt, Marzipan sei um diese Zeit in Lübeck erst erfunden worden, als man wegen Missernten beim Getreide eine Alternative zum herkömmlichen Brot suchte, um die drohende Hungersnot abzuwenden.
Inzwischen gesteht man aber auch hier ein, dass die Kunst der Marzipanherstellung Jahrhunderte früher im Orient entstand und erst durch die Handelsbeziehungen des Lübecker Hafens hier bekannt wurde. Zu seinem heutigen Weltruf gelangte das Lübecker Marzipan erst, nachdem der Konditormeister Johann Georg Niederegger Anfang des 19.Jhs. in großem Stil begann, Mandeln und Zucker zu der cremigen Süßigkeit zu verarbeiten.
Über die g.g.A.-Zertifizierung hinaus haben sich die Hersteller offiziell dazu verpflichtet, mindestens 70% Marzipanrohmasse (s.u.) und höchstens 30% Zucker zu verwenden. Für Lübecker Edelmarzipan muss das Verhältnis sogar 90:10 betragen. Ansonsten dürfen nur bestimmte Aromastoffe und natürliche Färbemittel zugegeben werden. Die Produkte des Hauses Niederegger – im Hintergrund ist eine Sortimentsauswahl abgebildet – werden sogar zu 100% aus Marzipanrohmasse hergestellt.
Obwohl der gemeinsame Wortstamm in fast allen europäischen Sprachen erkennbar ist, konnten sich die Sprachwissenschaftler nicht auf eine klare Herkunft des Begriffs Marzipan einigen. Das lateinische marci panis, Brot des Markus, könnte auf →Venedig hindeuten. Die Lagunenstadt verdankte ihren Reichtum schon sehr früh den Handelsbeziehungen in den nahen und fernen Osten, und der Apostel Markus ist bekanntlich der Stadtpatron der Serenissima. Was aber der biblische Evangelist mit der Mandelsüßigkeit zu tun haben könnte, ist völlig unersichtlich.
Manche legen das ebenfalls lateinische martis panis zugrunde, was Brot des Mars bedeutet. Der altrömische Kriegsgott soll ins Spiel gekommen sein, als eine drohende Hungersnot die Römer dazu zwang, auf Mandeln als Getreideersatz auszuweichen. Diese Theorie, die man ähnlich eine zeitlang auch in Lübeck und in →Königsberg erzählte, ist aber reichlich abstrus, denn Mandeln waren schon immer – selbst bei Missernten – ein gegenüber Getreide wesentlich teureres Lebensmittel. Ganz abgesehen von den Unmengen an Honig, die man in Zeiten vor der Erfindung von Rohr – und Rübenzucker im 16.Jh. gebraucht hätte, um so etwas wie eine marzipanartige Mandelcreme als Brotersatz für eine ganze Bevölkerung herzustellen.
Mandeln und Zucker.
Und sonst nichts, wenn es um die Reinform geht.
Die aus ihrer holzigen Kernhülle befreiten, oft noch handverlesenen Mandelsamen werden kurz blanchiert, um sie von ihrer zarten bräunlichen Haut zu befreien. Nach der Zugabe des Zuckers erfolgt zwischen großen Walzen das Zermahlen. Traditionell bestehen die Walzen aus Porzellan, um jegliche geschmackliche Beeinträchtigung durch Metall zu vermeiden. Es entsteht eine homogene Masse, bei der die Mandeln aber noch eine feine, auf der Zunge spürbare Körnigkeit behalten sollen.
Der letzte Schritt wird Röstung genannt. Es entstehen aber kaum sog. →Röstaromen noch darf der Zucker karamellisieren. Lediglich der Wassergehalt der Mandel-Zucker-Masse wird reduziert, um die im Mandel-Öl enthaltenen Aromen zu voller Blüte zu bringen. Wird beim Rösten jedoch zuviel Hitze investiert, gehen eben diese ätherischen Düfte verloren.
Für die nun entstandene sog. Marzipan-Rohmasse geben die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs einen maximalen Zuckeranteil von 35% vor. Der nach dem Rösten verbliebene Wasseranteil ist auf höchstens 17% begrenzt, der Mindestgehalt an Mandelöl liegt dagegen bei 28%!
Obwohl das Geheimnis des Marzipans also nur auf zwei Zutaten beruht, wird das weiße Gold, wie es auch gerne bezeichnet wird, nur an relativ wenigen Orten der Welt in wirklich guter Qualität hergestellt. Und die entscheidet sich schon im ersten Schritt, in der Wahl der Mandeln.
Die inzwischen unzähligen Sorten der Kulturmandel werden zu drei Arten gezählt.
Den weitaus größten Anteil stellt die Süßmandel dar, botanisch Prunus dulcis var. dulcis. Bei der Ernte von Süßmandeln gilt ein natürlicher Anteil von bis zu 2% an bitteren Mandeln als normal.
Die Früchte von Prunus dulcis var. amara, der Bittermandel, werden für Marzipan gerne zusätzlich beigemengt, da sie das typische Mandelaroma verstärken. Allerdings enthalten sie giftige Blausäure, weswegen ihr Anteil 12% nicht übersteigen darf.
Prunus dulcis var. fragilis verdankt ihren deutschen Namen Krachmandel sowie ihren lateinischen Suffix fragilis der zarten und leicht zu knackenden Außenschale. Dies und ihre aromatische Süße machen sie als Knabberzeug beliebt.
Mit großem Abstand führt der US-Bundesstaat California die Liste der Mandelanbauländer an, gefolgt von Australien. Rund ums Mittelmeer stechen Spanien, Italien, die Türkei, Tunesien und Marokko hervor.
Prunus dulcis, der Mandelbaum, stammt wahrscheinlich aus den warmen Zonen Asiens und kam durch natürliche Ausbreitung und durch Handelsbeziehungen über die heutige Türkei und den Kaukasus in den Mittelmeerraum. Die Araber machten den Anbau auf der iberischen Halbinsel heimisch, die dort entstandene Marzipantradition ist vor allem im →Mazapán de Toledo bis heute lebendig.
Auch der Weg von der afrikanischen Mittelmeerküste bis nach Sizilien und auf den Fuß des stivale italiano war nur ein Katzensprung. Weltruf haben sich die aus bemaltem marzapane bestehenden Früchte , die →frutta di Martorana erworben.
In Frankreich hat sich keine wirkliche Marzipan-Tradition entwickelt. Dennoch wird massepain als Zutat in vielerlei Pâtisserie-Produkten verwendet, und wahrscheinlich diente es schon →Carême als leicht formbares, aber stabiles Baumaterial für seine pièces montées.
Im deutschsprachigen Raum hat sich parallel zu Lübeck in der Hafenstadt Königsberg eine eigene Marzipanproduktion entwickelt. Während aber die Mandeln den Weg an die Ostsee nur als Importgut fanden, haben sie im klimatisch milden Süden an einigen Orten sogar eine neue Heimat gefunden. In das heutige Weinanbaugebiet Pfalz haben die Römer nicht nur die Reben mitgebracht, sondern auch die Kulturpflanze Mandelbaum. Die →Dürkheimer Krachmandel wird wegen ihres süßen Geschmacks geschätzt.
Meistens wird das Rohmarzipan mit verschiedenen Aromen wie →Rosenwasser oder →Orangenblütenwasser, Vanille u.a. verfeinert.
Lebensmittelfarben können nicht nur, wie bei der Frutta della Martorana, aufgemalt werden, sondern ergeben eine durchgefärbte Masse, wenn man sie schon beim Vermengen beifügt.
Je höher der Mandelanteil, desto höher ist auch der Ölgehalt, und umso intensiver der typische Marzipangeschmack. Um die Bezeichnung Marzipan zu erhalten, muss die Masse mindestens zur Hälfte aus Rohmarzipan bestehen, also maximal 50% Zuckerzusatz. Das Lübecker Marzipan liegt also selbst in der normalen Mischung deutlich über dieser Mindestanforderung.
Als Modelliermaterial setzt sie, nicht nur in Martorana, der Phantasie künstlerisch veranlagter Konditor(inn)en keine Grenzen.
Das Marzipan hat eine große internationale Verwandtschaft.
Dem deutschen Begriff Marzipan-Rohmasse für das Grundprodukt, das zur Weiterverarbeitung mit unterschiedlichen Zutaten abgeändert wird, entspricht im Italienischen die pasta reale, im Französischen die pâte d’amandes. Mit einem entscheidenden Unterschied: Beide werden mit bis zu einem Drittel mit Eiweiß angesetzt. Damit zeigen sie eine enge Verwandtschaft zu →torrone bzw. →turrón sowie zum →nougat, einer Süßigkeit, die bei uns als türkischer Honig bekannt ist.
Vor allem in der französischen pâtisserie und der italienischen pasticceria findet Crème/Crema →Frangipani vielfältige Verwendung.
Auch das französische Nationalgebäck →macaron sowie die →calissons aus Aix-en-Provence können zur Marzipan-Familie gezählt werden.
Manchmal ersetzt man die Mandeln durch andere ölhaltige Nussfrüchte wie z.B. Pistazien (→Salzburg) oder durch die inneren Kerne von Pfirsichen bzw. Aprikosen. In letzterem Fall nennt man die Masse Persipan, entsprechend dem botanischen Namen des Pfirsichbaumes Prunus persica (persische Pflaume).
Samen von Sesam, die bei uns eher als Aufstreu auf Brötchen und Feingebäck bekannt sind, bilden den Rohstoff für Halva. Diese schnittfeste Paste stammt wohl aus Indien, ist aber als chalva in Osteuropa und als helva auch in der Türkei beliebt.
Marzipan spielt auch bei der Lübecker Torte eine wichtige Rolle. Zwischen drei Biskuitböden kommen zwei Schichten Sahne-Nuss-Masse, mit der auch das Äußere der Torte bestrichen wird. Und nun wird das ganze Gebilde unter einer 3-4mm dicken Marzipandecke verhüllt. Die Dekoration bilden nach der üblichen Anzahl der Tortenstücke meist 16 Hasel- oder Walnüsse, die mit Sahnetupfern auf den Rand der Torte geklebt werden.
Wegen einer Missernte im Kartoffelanbau 1916 wurden Steckrüben (auch Kohlrüben genannt), die man normalerweise nur an die Schweine verfütterte, zum menschlichen Grundnahrungsmittel.
Der Winter 1916/17 ist deshalb als Steckrübenwinter in bitterer Erinnerung geblieben mit der Parole
morgens Rübensupp, mittags Rübenschnitz, abends Rübenkuchen.
Manchmal wurde die Mahlzeit durch Beigabe von Fleisch aufgewertet, in Lübeck nahm man gerne gepökelten Schweinebauch. Dieser Steckrübeneintopf hat unter der Bezeichnung
Lübecker National
Eingang in Kochbücher gefunden. In →Hamburg heißt er entsprechend Hamburger National. Im Gegensatz zu den Hamburgern geben die Lübecker allerdings inzwischen Karotten den Vorzug vor den Steckrüben.