*1797 Bergamo, † 1848 Bergamo
Die Liebe der Italiener zu den schönen Künsten und besonders zu instrumental begleitetem Gesang ist sprichwörtlich. Nicht umsonst hat sich das Italienische seit dem rinascimento als internationale Fachsprache der Musik etabliert, ganz so, wie das für Französisch in der Kochkunst gilt. An allen großen Opernhäusern der Welt stehen Werke italienischer Komponisten ganz oben auf dem Spielplan. Und auch der Name Donizetti erfreut sich ungebrochener Beliebtheit.
Das liegt nicht nur an dem Fleiß, den der Komponist aus Bergamo mit rund 70 Opern in 51 Lebensjahren an den Tag gelegt hat. Donizetti war einer der letzten Vertreter der belcanto genannten Form der Oper. Bei diesem schönen Gesang versuchen die Sängerinnen und Sänger, die vom Komponisten erdachten Melodien durch Koloraturen, Tremolo-Einlagen und andere stimmliche Verzierungen besonders ausdrucksstark vorzutragen. Da sich die vokalreiche italienische Sprache hierfür besonders eignet, haben selbst Komponisten in anderen Ländern ihre Libretti gerne auf Italienisch verfasst.
Auch den Eltern des kleinen Gaetano erschien die Musik als Chance, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
In Bergamo, einem früheren Zentrum der Seidenraupenzucht in der norditalienischen Region Lombardia, konnten sie ihre Familie als Weber bzw. Näherin gerade so ernähren. So schickten sie Gaetano, das jüngste von fünf Kindern, im Alter von acht Jahren zum Knabenchor der Schule Lezioni Caritatevoli di Musica in Bergamo. Dort wurde er von Giovanni Simone Mayr, einem aus Bayern nach Bergamo ausgewanderten Musiklehrer und Komponisten, acht Jahre lang in Gesangskunst und Musiktheorie unterrichtet. Mayr hatte die Schule mitbegründet, um dort in einem Akt von Wohltätigkeit – caritatevolo – jungen Menschen aus armen Verhältnissen einen Weg in den Musikerberuf zu ebnen.
Im Opernhaus von Bergamo, dem Teatro della Società, trat Gaetano 1814 erstmals auf. Aber für eine Karriere als Opernsänger reichte sein stimmliches Talent dann doch nicht ganz, sodass er sich mehr und mehr aufs Komponieren verlegte. Noch im Teenageralter schrieb er eigene kleine Opern, die es jedoch nicht auf die Bühne schafften. Erste Erfolge konnte er mit Kompositionen in den 1820er Jahren verbuchen, die im venezianischen Teatro San Luca und auf anderen italienischen Opernbühnen zur Aufführung kamen. Mehrere Jahre lebte er in Neapel, wo er für das renommierte Teatro San Carlo arbeitete. Er übernahm eine Professur und dann auch die Leitung des neapolitanischen Konservatoriums, während sich sein Arbeitsrhythmus als Komponist auf durchschnittlich vier Opern pro Jahr einpendelte.
Aus der Menge an Opern, die dabei entstanden, stechen einige heraus, die bis heute zu den am meisten aufgeführten seines Œuvres gehören: 1830 wurde in Mailand Anna Bolena uraufgeführt. Hier verarbeitete er die tragische Geschichte von Anne Boleyn, der zweiten Ehefrau des englischen Königs Heinrich VIII., der sich bekanntlich mehrerer seiner sechs Gattinen durch Hinrichtung entledigte. Zwei Jahre später kam, ebenfalls in Milano, das heitere Stück L’elisir d’amore (Der Liebestrank) auf die Bühne. Und 1835 wurde Donizetti schon nach der Uraufführung für das lyrische Drama Lucia di Lammermoor in Venedig stürmisch gefeiert. Die an Romeo und Julia erinnernde tragische Liebe zwischen zwei jungen Menschen aus zwei konfessionell verfeindeten schottischen Familien gipfelt in der berühmten Wahnsinnsarie Il dolce suono.
Eine andere Art von Wahnsinn ereilte Donizetti selbst etwa ab dem 40. Lebensjahr. Bereits als junger Mann, noch vor der Vermählung mit der römischen Kaufmannstochter Virginia Vasselli im Jahr 1828, hatte er sich mit Syphilis infiziert. Schon die Tatsache, dass die drei Kinder, die er mit Virginia gezeugt hatte, bereits kurz nach der Geburt gestorben waren, wurde von Medizinern auf die Geschlechtskrankheit zurückgeführt. Nun traten als Spätfolge bei ihm selbst Lähmungserscheinungen auf, die mit zunehmender geistiger Umnachtung einhergingen. Nachdem seine Frau bereits 1837 verstorben war, lebte Donizetti einige Zeit in Paris, wo 1843 mit Don Pasquale eine weitere seiner berühmtesten Opern erstmals aufgeführt wurde. Aber noch im gleichen Jahr kam er in eine psychiatrische Klinik in Ivry-sur-Seine, wenige Kilometer südlich von Paris. Ein Neffe holte ihn in seine Heimatstadt Bergamo zurück, wo er die letzten viereinhalb Jahre seines Lebens in einem Pflegeheim verbrachte.
Nach seinem Tod am 8. April 1848 wurde Donizetti unter großer öffentlicher Anteilnahme im Familiengrab einer befreundeten Adelsfamilie beigesetzt. 1875 bekam er seine letzte Ruhestätte in der Basilica di Santa Maria Maggiore im Herzen von Bergamo. Direkt neben seinem Grabmal befindet sich das von Simone Mayr. Mit dieser postumen Nachbarschaft ehrt die Stadt ihren berühmten Musiker und dessen Förderer gemeinsam.
Aber auch sonst begegnet dem Besucher von Bergamo der Name Donizetti auf vielfältige Weise: seit dem Ende des 19.Jhs. steht ein Donizetti-Denkmal neben dem Teatro Gaetano Donizetti, die via Gaetano Donizetti führt durch das historische Stadtzentrum, einige Restaurants, Cafés und Hotels schmücken sich mit dem Namen. Und das Geburtshaus sowie das seinem Schaffen gewidmete Museum gehören, neben der zum Weltkulturerbe ernannten mächtigen Stadtmauer, zu den touristischen Höhepunkten. Die caritative Musikschule, an der Gaetano seine Grundausbildung erhielt, heißt heute Conservatorio Gaetano Donizetti.
Und auch kulinarisch hat man ihm ein Denkmal gesetzt.
Aber dabei geht es nicht etwa um das traditionelle, schon zu Donizettis Lebzeiten beliebte bergamaskische Gericht polenta e osei, bei dem gebratene Singvögel mit Polenta serviert werden. Kleine Vögel, im Italienischen ucelli, heißen im regionalen Dialekt von Bergamo osei. Dabei hätten die Singvögel eigentlich gut den belcanto aus Donizettis Opern repräsentieren können – aber eben nicht mehr, wenn sie knusprig auf dem Teller liegen! Und da sie mittlerweile fast alle unter Artenschutz stehen, werden die Vögelchen – zumindest in der Gastronomie – eh nicht mehr zubereitet.
Auch der süße Ersatz, bei dem Konditoreien die Polenta, den gekochten Maisgrieß, durch maisgelben Biskuit ersetzen und die Vögelchen aus Marzipan und Schokolade nachformen, wird als bergamaskische Spezialität unter dem Namen polenta e osei und nicht unter dem des Komponisten verkauft. Aber natürlich auch an Touristen, die auf seinen Spuren wandeln.
Dafür bietet jede pasticceria (Konditorei) – und längst nicht mehr nur in Bergamo – die Torta del Donizetti an. Es ist zwar nicht überliefert, dass Donizetti ein großes Schleckermaul gewesen wäre. Zu seinem bisweilen lieblichen, den Ohren schmeichelnden Belcanto und zum dolce suono, dem süßen Klang, bietet der zarte Kranzkuchen aber einen durchaus passenden, dem Gaumen schmeichelnden Genuss.
Die Grundlage des Feingebäcks bildet pan di Spagna. Als spanisches Brot bezeichnet man in Italien den Biskuit. Manche bevorzugen die Biskuit-Variante →Genueser Masse, die hier mit dem französischen Begriff pâte génoise unterschieden wird. Der Masse aus Eigelb, Zucker, etwas Mehl und steifgeschlagenem Eiweiß werden vor dem Backen reichlich kandierte Stückchen von ananas und albicocche (Aprikosen) beigegeben, die geschmacksbestimmenden Aromen liefern Vanille und ein ordentlicher Spritzer Maraschino. Dieser aus Sauerkirschen gewonnene Likör bringt wegen der mitverarbeiteten Fruchtkerne eine leichte Bittermandel-Note ins Spiel.
Meistens wird der Biskuitmasse noch, wie bei der →Wiener Masse, Butter beigefügt, was den Kuchen saftiger und damit etwas länger genießbar macht, sodass er sich, wie die polenta e osei, durchaus auch als touristisches Mitbringsel eignet.
Auf alle Fälle wird der goldgelb gebackene Kranz, die ciambella, nach dem Sturz aus der Ringform (z.B. einer →Savarin-Form) gut mit Puderzucker abgestäubt. Auch die kompaktere Kranzform, die bei uns Gugelhupf heißt, wird in Italien ciambella genannt und machmal für den Donizetti-Kuchen verwendet.
Alternativ zu Kaffee oder Tee trinkt man dazu gerne ein Gläschen Moscato di Scanzo, einen tiefroten, nicht allzu süßen Dessertwein, der in der Provinz Bergamo aus sonnengetrockneten Weintrauben gekeltert wird.
In einem caffè direkt gegenüber dem Teatro Gaetano Donizetti behauptet man, diesen Biskuit-Früchte-Kuchen im Jahr 1948, aus Anlass des 100. Todestages, erfunden zu haben. Aber wie das so ist mit derartigen Geschichten: Belegen lassen sie sich selten, bleiben also meist Legenden. Das gilt auch für die Anekdote, der Komponist →Rossini habe Donizetti einst eingeladen und seinen Koch gebeten, für den Kollegen ein besonderes Dessert zu kreieren. Und der dann servierte Kranzkuchen habe Donizetti so gut geschmeckt, dass man ihn nach ihm benannt habe.
Ganz real hat dagegen die Camera di Commercio Bergamo (Handelskammer) unter dem Motto Bergamo Città dei Mille … sapori (Bergamo, Stadt der Tausend … Geschmäcker) einen Gebietsschutz für den Dialektnamen Torta del Donizet (oder Turta del Dunizet) festgelegt. So dürfen nur solche Kuchen etikettiert werden, die in Bergamo oder im direkten Umland und nach einem festgeschriebenen Rezept gebacken wurden.
Aber selbst in italienischen Konditoreien weitab von Bergamo findet man die Torta (del) Donizetti. Und Dank der Internationalisierung kulinarischer Gewohnheiten enthält mitterweile auch so manches deutschsprachige Backbuch ein Rezept für die Donizetti-Torte.