Eine chinesische Redensart beschreibt die regionalen Küchengewohnheiten des Riesenreiches so:
Im Norden speist man salzig, im Süden süß, im Osten liebt man es sauer und im Westen scharf.
Und besonders die Küche der südwestchinesischen Provinz Szechuan (in der Landkarte: Sichuan) ist dafür bekannt, dass nicht nur unter dem Topf, sondern auch darin reichlich Feuer geschürt wird. Hauptquelle der Schärfe ist das in →Chilischoten aus der Familie der Capsicum-Gewächse enthaltene →Capsaicin.
In der gesamten asiatischen Küche ist eine Gewürzmischung beliebt, die, dank des asiatischen Lebensmittelhandels, auch hierzulande überall erhältlich ist. Zu den Fünf-Gewürzen gehören Fenchelsamen (Foeniculum vulgare), Zimtkassie (Cinnamomum cassia), Sternanis (Illicium verum), Gewürznelken (Syzygium aromaticum) und Szechuanpfeffer (Zanthoxylum piperitum). Die Mengenverhältnise variieren von Küche zu Küche und von Hersteller zu Hersteller. Aber meistens ist der Sternanis das geschmacklich dominante Mitglied des exklusiven Clubs.
Die oft englisch mit Five-Spices-Powder etikettierte Mischung bekommt man im Asia-Handel als Pulver, am besten in einem Blechdöschen, das luftdicht abschließt und vor Licht schützt. Nur noch selten werden die Bestandteile erst kurz vor der Anwendung im Mörser zerstoßen, obwohl so natürlich die Intensität der Aromen am vollsten zur Wirkung käme.
Der Szechuanpfeffer hat, entgegen seiner Bezeichnung, mit dem Echten Pfeffer (→Piper nigrum) botanisch nichts zu tun, er gehört weitläufig zur Verwandtschaft der Zitrusfrüchte.
Vor allem die in gemahlener oder flockiger Form verwendeten Fruchtschalen bringen eine pikante Schärfe mit, der Haupteffekt besteht aber in einem prickelnden Taubheitsgefühl, das sich auf der Zunge und auf den Lippen breit macht. Um die Schärfe zu verstärken, wird der Szechuanpfeffer – abgesehen von der Fünf-Gewürze-Mischung – gerne in Kombination mit Chilischoten verwendet, deren Capsaicin erst so richtig einheizt.
Und natürlich tritt das feurige Duo auch bei einem typischen Gericht der Szechuan-Küche auf, das außerhalb von China meist englischsprachig als Kung Pao Chicken auf der Speisekarte steht.
Hierin steckt die anglizierte Form des Begriffs Góngbáo. So wurde noch während der Qing-Dynastie, dem letzten chinesischen Kaiserreich, der Palastwächter genannt. Diesen bedeutenden höfischen Beamtentitel, der auch die Erziehung des Kronprinzen beinhaltete, trug Ding Baozhen als Gouverneur der Provinz Szechuan während der letzten zehn Jahre seines Lebens. Aus welchem konkreten Anlass das Hühnchengericht zu seinem Namen kam, ist nicht überliefert.
Vielleicht haben es ja seinerzeit chinesische Hofköche ähnlich gehalten wie ihre europäischen Kollegen, die sich gerne bei ihren Herrschaften einschmeichelten, indem sie diesen besondere Rezepte namentlich widmeten.
Nach dem Ende der Kaiserherrschaft, besonders in den Jahren der Großen Proletarischen Kulturrevolution unter Mao Zedong, kam der Name des Gerichtes aus der Mode, da alles verfemt war, was an die Monarchie erinnerte. Erst in den letzten Jahrzehnten begann die etwas verkrampfte Sicht auf die Vergangenheit, sich etwas zu entspannen, und man darf auch in China selbst das Hähnchen wieder unter dem Namen des kaiserlichen Beamten genießen.
Zubereitet wird das Kung Pao Chicken im typischsten aller asiatischen Kochgeschirre, dem Wok. Dessen runde, einem Kugelsegment gleichende Form ohne (oder mit nur ganz kleinem) flachen Boden ermöglicht das sog. Pfannenrühren. Hierbei werden Fleisch, Fisch und Gemüse in der Reihenfolge ihrer unterschiedlichen Garzeiten ins heiße Öl gegeben und wandern durch geschicktes Schlenkern des Woks und beim stetigen Rühren langsam nach außen in die weniger heiße Randzone. Das geht recht flott, denn der Wok wird meist stark erhitzt, weshalb entsprechend hitzebeständige Öle verwendet werden sollten. In Asien sind z.B. Soja- oder Erdnussöl beliebt.
Alle Zutaten werden zuvor in mund- bzw. stäbchengerechte Würfelchen geschnitten. In diesem Fall wird das Hühnchenfleisch zusätzlich einige Stunden lang in gewürztem Shaoxing Jiu mariniert, einem nach der ostchinesischen Stadt Shaoxing benannten Reiswein. In das heiße Öl des Woks wandern nun zunächst die Unzertrennlichen, also Chilischoten und Szechuanpfeffer. Wenn diese ihre Aromen abgegeben haben, kommen frische, ungeröstete Erdnüsse dazu, denn ihre goldbraune Färbung bekommen sie nun im Öl. Schließlich werden das marinierte Geflügelfleisch und in Röllchen geschnittener Lauch ebenfalls scharf, aber kurz angebraten.
Das Fleisch soll nicht trocken werden, und der Lauch bleibt bissfest. Das gilt auch für Kung-Pao-Versionen, bei denen sich zum Lauch noch Zwiebeln, Knoblauch, Paprika oder weitere Gemüsesorten gesellen. Außerhalb von Szechuan, also auch in der asiatischen Gastronomie in Europa, wird gelegentlich Fleisch von Rind, von Shrimps oder von anderen Tieren unter dem Namen des Palastwächters serviert.
Hauptsache, es spielen dabei die in Szechuan gültigen Mindestzutaten mit:
Erdnüsse, Lauch und das Würz-Duo Chili & Szechuanpfeffer.