Ulis Culinaria

Giovanni Bellini

*~1430 Venezia, †1516 Venezia

Ein Jahr vor seinem Tod schuf der alte Bellini noch eines seiner bekanntesten Gemälde, das er mit l’embrezza di Noè titulierte, Die Trunkenheit Noahs. In der zugrundeliegenden biblischen Erzählung hat sich der greise Arche-Kapitän an Wein aus seinem eigenen Anbau berauscht und wird durch die Schilderung der unterschiedlichen Reaktionen seiner drei Söhne zum Sinnbild für die jeweilige Vater-Sohn-Beziehung.

Der Bellini

Sicher hätte sich Bellini nicht träumen lassen, dass 433 Jahre später ein ebenfalls weinhaltiges Getränk nach ihm benannt werden würde. Und das auch noch in Venezia, seiner Heimatstadt, in der er, gemeinsam mit seinem Bruder Gentile, als Begründer der venezianischen Schule zu einem angesehenen Künstler der Frührenaissance geworden war. In der adligen Klientel, von deren Aufträgen er lebte, wurde sein Name als Giambellino verkürzt.

Bellini Royal

1948 mixte Giuseppe Cipriani in seinem Restaurant unweit der Piazza San Marco ein Getränk aus zerstampftem Fruchtfleisch von einem Pfirsich, das er mit Schaumwein aufgoss.

Das Etablissement hatte er 1931 gegründet und Harry’s Bar getauft. Der Name bezog sich auf den jungen US-Amerikaner Harry Pickering. Diesem hatte Cipriani vier Jahre zuvor mit einem Kredit aus der Klemme geholfen, damit er in seine Heimat zurückkehren konnte. Nun hatte Pickering, obwohl Giuseppe fast nicht mehr daran glaubte, seine Schulden nicht nur beglichen, sondern vierfach zurückbezahlt. Der überraschende Geldsegen ermöglichte Cipriani, bis dahin als angestellter Kellner tätig, die Gründung eines eigenen Gastronomiebetriebes. Und mit der Namensgebung unterstrich er die Freundschaft, die sich inzwischen mit Harry Pickering entwickelt hatte.

Für den Drink verwendete Cipriani zwei regionale Produkte: Zum einen den prosecco, der im Nordosten Italiens, also auch im Veneto, angebaut und zum größten Teil als spumante (schäumend) oder frizzante (prickelnd) ausgebaut wird. Mittlerweile gilt die Bezeichnung Prosecco nicht mehr nur für die Rebsorte, sondern ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung für den fertigen Wein bzw. Schaumwein.

Zum zweiten nahm Cipriani nicht irgendeinen Pfirsich, sondern einen Vertreter der weißfleischigen Sorten. Diese bei uns oft als Weinbergpfirsich gehandelte, meist etwas abgeplattete Frucht von Prunus persica wächst z.B. westlich von Venedig in der Provinz →Verona als pesca bianca veronese.

Und wie kam das Getränk zu dem Namen Bellini, unter dem es längst, neben dem Carpaccio, zum internationalen Aushängeschild des Gastro-Imperiums Harry’s Bar geworden ist? Der Wein, mit dem sich der biblische Noah betrank, ist sicher nicht der Grund. Meistens wird erzählt, Cipriani sei von der Farbe des Gemischs an das Gewand eines Heiligen erinnert worden, der auf einem früheren Gemälde von Giambellino dargestellt sei. Arrigo Cipriani, der Sohn des Gründers und jetzige Inhaber der Bar, relativiert diese Reiseführer-Legende allerdings: Wann und warum auch immer, aber jedenfalls erst später habe sein Vater den gefälligen Namen gewählt. Der Bellini wurde dann nach dem Zweiten Weltkrieg zum berühmten Cocktail, als sich Harry’s Bar zum Treffpunkt des internationalen Kultur-Jet-Set entwickelte.

Kunst & Cocktail

Gerne werden Orson Welles oder Ernest Hemingway als Liebhaber des Bellini-Cocktails genannt. Aber auch viele andere, nicht ganz so prominente Künstler gaben sich hier ein Stelldichein. Immerhin hat Cipriani sen. nicht nur das Carpaccio nach einem weiteren Künstler benannt.

Nach dem gleichen Zwei-Zutaten-Prinzip (das im Übrigen strenggenommen eine Bezeichnung als Cocktail mit mindestens drei Komponenten ausschließt) hat er fragole (Erdbeeren) als Rossini und die Kerne von melagrana (Granatapfel) unter dem Namen Tintoretto mit Prosecco aufgegossen.

Lediglich die Variante mit Orangensaft oder -limonade ist nach der gelbblühenden mimosa benannt. Und wenn statt des italienischen Schaumweines der französische Edelkollege champagne in die hohe, schmale flûte kommt, erhält der Gast einen Bellini Royal. Die nur geringe Oberfläche, die das schmale Glas zulässt, verhindert ein zu schnelles Entweichen der Kohlensäure. Für den gängigen Bellini werden meist becherartige Gläser genommen.

Arrigo Cipriani berichtet, sein Vater habe – der Schneidstab war 1930 noch nicht erfunden – die pesche nur grob geschnitten und etwas zerstampft.

einfacher Bellini

Heute wird, nicht nur in Harry’s Bar, wo Scharen von Touristen kaum etwas anderes als Bellini bestellen, um sich einmal wie Hemingway zu fühlen, fertiges Pfirsichpüree z.B. aus dem Tetra-Pack verwendet.

So ist auch die Tatsache, dass der Drink von der International Bartenders Association (IBA) als Klassiker geführt wird, wohl eher dem geschickten Marketing Ciprianis zuzuschreiben als irgendwelcher kulinarischer Extravaganz.

Und wieviele Bellini-Genießer während ihres Venedig-Besuchs dann auch noch die Kunstwerke des Namensgebers und seiner unzähligen Künstlerkollegen bewusst genießen, bleibt dahingestellt …