Ulis Culinaria

Vinhais

Das 9.000-Einwohner-Städtchen liegt im rauen Nordosten Portugals, in der Region Alto Trás-os-Montes, oben hinter den Bergen.

Obwohl im Stadtwappen vier große Weintrauben prangen und auch der Ortsname auf vino hinzudeuten scheint, sind zwei ganz andere landwirtschaftliche Produkte verantwortlich für den guten kulinarischen Ruf von Vinhais.

Hintergrund: Die karge Landschaft der Tras-os-Montes

Alto Trás-os-Montes

oben hinter den Bergen

Die Landschaft bietet nicht die besten Bedingungen für den Anbau von Getreide. Deshalb wurden – neben den seit Kolumbus bekannten Kartoffeln – auch die Früchte aus den Kastanienwäldern zum Grundnahrungsmittel Nr. 1.

Die castanhas wurden, sofern man sie nicht nach dem Rösten oder Kochen direkt genoss, getrocknet und zu Mehl vermahlen. In dieser Form dienten sie als Ersatz für Weizen- und andere Getreide-Mehle in der Bäckerei und in der heimischen Küche.

castanhas

Und die Kastanien wurden als Kraftfutter an die Schweine verfüttert. Eine seit Urzeiten in der Region Trás-os-Montes beheimatete Rasse ist das porco Bísaro, das ursprünglich in halbwilder Weidehaltung von dem lebte, was es in Feld und Wald fand. Es ist eine Seitenzüchtung des bekannten schwarzborstigen porco iberico, von dem es noch die dunklen Fellpartien geerbt hat.

Mit der Ausweitung des Imperium Romanum auf die iberische Halbinsel hatten die Römer Schweine mitgebracht, die sich besser zur Stall-Haltung eigneten, und die raça Bísara mehr und mehr ins Abseits drängten. 

Porco Bísaro

Vor dem völligen Aussterben wurden die Bísaro-Schweine nicht zuletzt durch das Wiederbeleben einer ebenso alten Lebensmittelproduktion bewahrt, die auf dem Fleisch dieser Rasse beruht und die heute unter dem Begriff Fumeiro de Vinhais bekannt ist.

Unter Räucherei von Vinhais werden mehrere Fleischprodukte zusammengefasst, die alle auf dem Fleisch von Bísara-Schweinen basieren und teils wegen ihrer Einzigartigkeit den Schutz einer →IGP genießen. 

Zudem beruht diese Fleischverwertung nach wie vor auf dem alten Grundsatz, dass von einem geschlachteten Tier möglichst alles auch genutzt wird. Umgekehrt ausgedrückt: Die in modernen Schlachtbetrieben als sog. Schlacht-Abfälle anfallenden Teile werden weitgehend in die Verarbeitung zu Lebensmitteln einbezogen.

Nach diesem Prinzip werden fünf Wurstsorten produziert, die seit 2008 jeweils mit einer IGP ausgezeichnet sind. Allen gemeinsam ist die je nach Größe unterschiedlich lange Zeit im Räucherofen, in welchem sie über der Glut von Kastanien-, Eichen- und anderen heimischen Hölzern den typischen Geschmack und Haltbarkeit gewinnen. Früher, vor der Erfindung elektrischer Kühltechniken, wurde im Winter geschlachtet, und die dabei entstehenden Fleisch- und Wurstvorräte mussten bis zum nächsten Winter halten.

Capital do Fumeiro

Vinhais nennt sich stolz Capital do Fumeiro, Hauptstadt der Räucherei, und veranstaltet die jährliche Fiera do Fumeiro, eine Mischung aus Fachkongress, Verkaufsmesse und Kultur-Event. Immerhin fand das Fest der Räucherei im Februar 2023  (nach 2 Jahren Covid-19-Zwangspause) schon zum 43. Mal statt.

Ein Höhepunkt des kulinarischen Festes ist die Prämierung der besten Produkte aus den zahlreichen, meist kleinen und an eine Familie gebundenen Herstellerbetrieben aus Vinhais und der Umgebung. Die Bedeutung der Prämierung zeigt sich, wenn sich z.B. auch schon mal der Staatspräsident Portugals die Ehre gibt, die Ehrenpreise höchstpertsönlich zu überreichen …!

Als IGP geschützt sind fünf Würste aus der Fumeiro de Vinhais.

Neben der Räucherung ist ihr gemeinsames Merkmal die ausschließliche Verwendung des Fleisches von Bísara-Schweinen bzw. von Artgenossen, die zumindest noch 50% Bísara-Blut aufweisen. Nach der Räucherkammer bekommen sie nochmals ausreichend Zeit an dunklem, gut belüftetem Ort zum Reifen und Trocknen.

Weitere Gemeinsamkeit ist die Abfüllung des Wurstbräts in die unterschiedlichen Teile des Schweinegedärms. Deshalb lassen sich auch kaum genaue Formbeschreibungen der einzelnen Würste geben, geschweige denn genormte Größen- oder Gewichtsangaben.

Alheira de Vinhais

Die überregional wohl bekannteste Wurst aus der Räucherei von Vinhais ist die Alheira de Vinhais.

Ihren Namen hat sie von der geschmacksbestimmenden Würzung des Fleisches mit alho, portugiesisch für Knoblauch. Sie gleicht der alheira aus dem Nachbarort →Mirandela. Wie diese ist sie für eine Räucherwurst relativ hell, weil das Brät zu etwa einem Drittel aus Brot besteht, das zuvor in Geflügelbrühe eingeweicht wurde..

Auch für die

Chouriço azedo de Vinhais

wird dem Brät eingeweichtes Brot beigemengt, aber der Knoblauch übertrumpft nicht die anderen Gewürze. Da sie farblich ihrer Schwester Alheira ähnelt, wird sie zur Unterscheidung in etwa 25cm langer, gerader Form abgebunden, die man in Portugal chouriço (und in Spanien chorizo) nennt.

Azedo bedeutet sauer und bezieht sich hier auf die Säure, die das beigemengte azeite (Olivenöl) aus der Region mit sich bringt.

Chouriço azedo de Vinhais

Räucher-Himmel

Chouriço de Carne de Vinhais

Die

Chouriço de Carne de Vinhais

wird wie die Alheira meist in 2-3cm dicke Därme abgefüllt und zu Ringen gebunden. Ohne Brot, dafür aber mit süßem und scharfem Paprika kräftig gewürzt, ist sie deutlich dunkler und von festerer Konsistenz. Der Namensteil de carne zeigt die Beschränkung auf das Muskelfleisch der Schweine an.

Statt chouriço steht auch die Bezeichnung linguiça de Vinhais für diese Wurstsorte unter dem Schutz der IGP.

Doce bedeutet süß, mild. Die

Chouriço Doce de Vinhais

erhält ihren süßlichen, milden Geschmack durch die Beigabe von Honig und gehackten Mandeln, auch Wal- oder Haselnüsse können im Spiel sein. Und auch hier kommen wieder Brot sowie Olivenöl aus der Region Trás-os-Montes an das Brät, was Geschmack und Konsistenz zusätzlich abrundet.

Chouriço Doce de Vinhais

Reife-Zeit

Butelo/Bucho de Vinhais

Das Prinzip, möglichst viel vom geschlachteten Schwein zu nutzen, kommt beim

Butelo de Vinhais

zum Tragen. Außer Muskelfleisch und Fett kommen auch Knorpel und Knochen von der Wirbelsäule und den Rippen des Tieres ins Brät.

Der Begriff butelo ist eine Ableitung vom lateischen botellus, womit schon →Apicius die gerne zu Würsten befüllten Gedärme von Schlachttieren bezeichnet hat. Hiervon stammen auch der französische →boudin oder der englischsprachige →pudding ab.

Diese Wurst wird auch als Bucho de Vinhais verkauft, da oft der Magen, portugiesisch bucho, als Wursthaut dient. Oder als Chouriço de Ossos de Vinhais, als Knochenwurst.