Ulis Culinaria

Oldenburg

Wie das Who-is-who der deutschen Nachkriegspolitik liest sich die Liste der Grünkohlköniginnen und –könige, die seit 1956 alljährlich vom Oldenburger Kurfürsten-Kollegium gewählt werden. Damals lud die niedersächsische Stadt Bundespräsident Theodor Heuss zu einem Besuch ein. Dieser jedoch antwortete mit einer Gegeneinladung nach Bonn, verbunden mit der Aufforderung, etwas echt Oldenburgisches mitzubringen. Das war die Geburtsstunde des Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten (deftiges Oldenburger Grünkohl-Essen), das sich in den Folgejahren zum Anlass für wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Niedersachsen und der Bundespolitik etablierte. Den jeweils rund 300 illustren Gästen wird das oldenburgisch-friesische Nationalgericht Grünkohl mit Pinkel serviert. Heute natürlich nicht mehr in Bonn, sondern in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin. Seit ein paar Jahren tituliert sich Oldenburg scherzhaft selbst als Kohltourhauptstadt.

Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten

Brassica oleracea var. sabellica heißt bei Botanikern die krausblättrige Kohlvariante, die die Grundlage des Grünkohlgerichtes darstellt. In →Bremen heißt das Gewächs Braunkohl. Die feingeschnittenen Blätter werden gekocht und mit verschiedenen Würsten und Fleisch (z.B. Speck, Rippchen, Kasseler usw.) serviert. Die typisch norddeutsche Grützwurst, die dem Gericht den Namen verleiht, ist der Pinkel. Gerste- oder Hafergrütze wird mit Rindertalg, Speck und Schmalz vom Schwein sowie Zwiebeln und Gewürzen zu einem recht groben Brät verarbeitet, das traditionell in den Mastdarm vom Rind abgefüllt wird. Der Mastdarm wird in Norddeutschland Pinkel genannt. Eine zarte Räucherung über Buchenholz verleiht Aroma und Haltbarkeit, zum Schluss wird die Wurst eine Weile getrocknet. Das Grundrezept des Pinkel erinnert durchaus an ähnliche Zubereitungen, die auf der britischen Seite der Nordsee als →pudding bezeichnet werden.

Grünkohl mit Pinkel

Als Alternative oder Ergänzung zur Pinkelwurst findet man auch häufig saftiges →Kasseler-Fleisch neben dem Grünkohl-Berg auf dem Teller.

Grünkohl-Essen werden im Norden Deutschlands gerne zum Anlass für Geselligkeit. Betriebsausflüge, Klubfeste, Junggesellenabende und viele weitere Gelegenheiten werden mit dem deftigen Mahl verknüpft. Beim Boßeln, einem seit dem Mittelalter in Ostfriesland, im Oldenburgischen und in anderen norddeutschen Regionen gepflegten Kugelspiel (vor dem auch hie und da Autofahrer mit offiziellen Schildern gewarnt werden!), verdient man sich eine gute Portion Grünkohl mit Pinkel durch ansehnliche Streckenleistung. Und angeblich soll ja der eine odere andere Schnaps bei der Verdauung des nicht gerade diätverdächtigen Gerichtes helfen …

Dass man den Grünkohl nicht nur zu deftigem Essen gebrauchen kann, beweist ein Oldenburger Konditor-Meister: Er erfand eine

Grüne Praline,

in der eine besonders süßliche Varietät des Kohls verarbeitet ist. Für längere Haltbarkeit der kohlinarischen Köstlichkeit und den passenden Geschmack sorgt die Zugabe von Kornbrannt, und rote Pfefferkörner kontrastieren mit dem saftigen Grün, das beim Anbeißen der Praline sichtbar wird.

Im Oldenburgischen gehört, wie bei den ostfriesischen Nachbarn, der Tee zum festen Kulturgut.

Da konnte es nicht ausbleiben, dass irgendwann der

Grünkohl-Tee,

eine Schwarzteemischung mit einem Anteil an getrockneten Grünkohl-Blättchen, kreiert wurde …!