Ulis Culinaria

Zug

Einen kulinarisch durchaus akzeptablen Etikettenschwindel betreiben die Konditoren des mittelschweizerischen Städtchens am Zuger See. In der

Zuger Kirschtorte

sucht man, anders als bei der Namensschwester aus dem nahen Schwarzwald, vergeblich nach den kleinen roten Früchten. Dafür ist die Mandel-Biskuittorte reichlich mit einer Mischung aus Zuckersirup und Kirschwasser getränkt. Deshalb heißt sie auf Schwyzerdeutsch auch 

Zuger Chriesiwassertorte.

Zuger Kirschtorte

Zuger Chriesiwassertorte

Zug ist die Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, des kleinsten der Schweizer Verwaltungsbezirke. Die Region ist seit bald 500 Jahren für den Anbau von Zuger Chriesi rund um den Zuger See bekannt. So heißen auf Schweizerdeutsch die Zuger Kirschen (entsprechend dem französischen cerises). Und seit jeher hat man aus den Früchten auch Hochprozentiges destilliert.

1870 gründete sich die Kirschwasser-Gesellschaft in Zug, die sich der überregionalen Vermarktung des Zuger Kirsch und des Rigi Kirsch widmet. Um den seit 2013 bestehenden →AOP-Namensschutz (nach schweizerischem Recht) dieser Spirituosen zu genießen, müssen die Kirschen im Kanton Zug und in einer Handvoll angrenzender Gemeinden der Region Rigi geerntet und destilliert werden.

1915 eröffnete der Konditor Heiri Höhn die Conditorei u. Caffee Höhn im Stadtzentrum von Zug. Das Geschäft florierte rasch dank seiner Erfindung der Zuger Kirschtorte, mit der er geschickt die regionale landwirtschaftliche Spezialität aufgriff. 

Treichler Zuger Kirschtorte © 2020

Er stellte zwei dünne Böden aus Japonais-Masse her, einem mit gemahlenen Mandeln und Nüssen gebackenen Eischnee, also einer Baiser-Variante. Den unteren Boden bestrich er mit Buttercreme und setzte darauf eine etwa vier Zentimeter starke Biskuitplatte, die er mit einer gesättigten und mit Zuger Kirsch aromatisierten Zuckerlösung, sog. Läuterzucker tränkte. Mit nochmals Buttercreme wurde die zweite Japonais-Platte aufgesetzt und die Außenwand der Torte verputzt. Den frischen Putz bestreute er mit blättrigen gerösteten Mandeln. In die Staubzucker-Beschneiung auf der Oberseite drückte er ein rautenförmiges Linienmuster. Höhn ließ sich das Rezept für seine Erfindung eintragen, was ihn aber nicht vor Nachahmungen schützte. Auf internationalen Ausstellungen wurde seine Torte immerhin mehrfach prämiert.

Die Zutaten änderten sich im Laufe der Zeit immer mal wieder. So wird manchmal die Buttercreme unter und über der Biskuitscheibe mit Himbeersirup rosa gefärbt, alternativ nimmt man dafür Lebensmittelfarbe aus Rote-Bete-Saft. Vor allem aber erhöhte sich der Anteil des Kirschwassers von der reinen Aromazutat zu einem kräftigen Anteil im Läuterzucker, was die Torte für Kindergeburtstage ungeeignet macht. Gelegentlich wird auch noch die Buttercreme mit Kirsch versetzt. Äußerliches Markenzeichen ist das Rautenmuster im Puderzucker geblieben.

Die →Zuger Kirschtorten Gesellschaft, 2010 als Verein zur Förderung der Zuger Kirschtorte gegründet, bezeichnet das Rezept, das 1933 im Lehrbuch der Zuger Haushaltungsschule Salesianum erschien, als das Original.

2015, zum 100. Geburtstag von Höhns Erfindung, eröffnete die Gesellschaft ein Museum, in dem die Geschichte der Zuger Kirschen, des Zuger Kirschwassers und der Zuger Kirschtorte anschaulich vermittelt wird.

Das erklärte Ziel des Vereins, ein Namensschutz für die Torte, wurde ebenfalls in diesem Jubiläumsjahr erreicht: 

Eine schweizerische →IGP legt seit 2015 fest, dass nur Konditoreien im Kanton Zug ihr Produkt als Zuger Kirschtorte verkaufen dürfen. Und das wiederum nur, wenn dafür der o.g., ebenfalls namentlich geschützte Kirschenbrand verwendet wurde.

Die Kirschtorten-Freunde verweisen darauf, dass die Leckerei schon wenige Jahre nach ihrer Kreation durch Höhn über Zug und die Schweiz hinaus berühmt wurde. Mehrfach auf internationalen Fachmessen ausgezeichnet, trugen sich in die Genießer-Liste allerlei illustre Persönlichkeiten aus Kultur- und Politikbetrieb ein.

Und von den jährlich rund 250.000 Torten mit dem Gehalt von 15.000 Litern Kirschwasser gehen jedes Jahr auch ein paar auf die Reise nach Rom: Papst Franziskus weiß offensichtlich neben der Schweizergarde (→Valence) auch die schweizerische Konditoren- (und Schnapsbrenner-!) -Kunst zu schätzen …

Obwohl der Namensschutz des Kirschwassers und der Torte für den Kanton Zug gilt, habe ich sie hier als lokalen Genuss aufgenommen: Immerhin hat Heinrich Höhn die geistvolle Süßigkeit in seinem Café in der Stadt Zug erfunden.

Treichler Zuger Kirschtorte © 2020