Das Dörfchen im gebirgigen Zentrum der Mittelmeerinsel Zypern war bis vor gut 100 Jahren ein verschlafenes Nest, das wie viele andere Orte der Jugend keine Perspektive bot und dem deshalb die Entvölkerung durch Landflucht drohte. Im Jahr 1917 beschloss der Dorflehrer Nearchos Klirides, aus einem alten Naturschatz etwas zu machen.
Schon lange blühten um Agros herum Rosen der Spezies Rosa damascena und bedankten sich für die guten Boden- und Klimabedingungen mit betörendem Duft.
Die Damaszenerrosen, benannt nach →Damaskus, stammten ursprünglich aus Kleinasien und gelangten wohl mit einer der vielen Eroberungen in der zypriotischen Geschichte oder mit Kreuzfahrern auf die Insel.
Das Klima im Troodos-Gebirge, dessen vulkanisches Gestein und die Lage von Agros in einem wind- und regengeschützten Talkessel auf rund 1.100m Höhe lassen prächtige blass rotviolette Blüten entstehen, deren Aroma im Mai die Luft erfüllt.
Lehrer Klirides gründete eine Schülergruppe für den systematischen Anbau der kostbaren Blumen. Er besorgte ein erstes Destilliergerät, mit dem die Schüler die Herstellung von Rosenwasser begannen. Das in der Kosmetik und in der Küche begehrte Destillat entwickelte sich zu einem Verkaufsschlager, der bis heute wesentlich dazu beiträgt, dass den rund 800 Dorfbewohnern nicht nur eine stattliche Infrastruktur geboten werden kann, sondern dass rund um die Rosenkultur ein spezieller Tourismus als Einnahmequelle entstanden ist.
Für das Rosenwasser werden die Blüten in den frühen Morgenstunden gepflückt, wenn sie noch nicht voll geöffnet und noch taufeucht sind. Die Blütenblätter werden von Hand gezupft und sofort in der Destillierblase mit klarem Quellwasser angesetzt. Dort entstehen aus einem Kilogramm Blütenblättchen rund 2l Rosenwasser von bester Güte.
Die Frauen des Ortes haben aus den gleichen frischen Rosenblättchen seit jeher auch eine köstliche Süßigkeit hergestellt. Sie legen sie mit Zucker in ein großes Gefäß ein, das sie hermetisch verschließen. Über Nacht entzieht der Zucker den Blütenblättern die Feuchtigkeit und damit das intensive Rosenaroma, das im Wesentlichen in ätherischen Ölen gebunden ist. Danach wird das Zucker-Rosen-Gemisch mit Wasser aufgegossen und behutsam zum Kochen gebracht. Ein Deckel verhindert weiterhin den übermäßigen Verlust von Duftstoffen, während das Ganze langsam eindickt. Das klare, leuchtend rotviolette Gelee ist fertig, wenn ein heißer Tropfen davon auf einem kühlen Teller nicht mehr auseinanderfließt, sondern eine schöne kleine Halbkugel bildet.
Um diese Konsistenz und vor allem die richtige Mischung von Süße und Rosenaroma zu erzielen, ist viel Erfahrung notwendig. Die Blättchen bleiben in der süßen Masse, da sie natürlich immer noch Aroma enthalten, das sie beim Genuss abgeben. Allerlei Feingebäck bekommt mit dem konzentrierten Rosensirup besonderen Pfiff, ebenso wie damit hergestellte köstliche Eiscreme. Oder es macht aus gut gekühlter Milch einen herrlich erfischenden Drink. Und wie Fruchtgelee kann es aufs Frühstücksbrot gestrichen werden.
Im Südwesten Zyperns, in →Geroskipou, wird Rosenwasser für die Herstellung von Lokum verwendet, einer im gesamten Bereich des früheren Osmanischen Reiches beliebten Süßigkeit.
Ein besonders gutes Rezept hatte offensichtlich die junge Niki Agatheokleous von ihrer Schwiegermutter geerbt. Jedenfalls stellte sie ab 1985 das Rosensirup nicht mehr nur für den Eigenbedarf her, sondern begann es gläserweise zu verkaufen. Und das mit solchem Erfolg, dass es unter dem Namen Γλυκό Τριαντάφυλλο Αγρού, in lateinischer Schrift Glykó Triantáfyllo Agroú, zur Marke wurde. Das erste Wort bedeutet Süße (vgl. Glukose), das zweite Rose.
Inzwischen hat sich die Rosensüßigkeit aus Agros zu einem kleinen Unternehmen gemausert, das mit der Anerkennung des Namens als →ΠΓΕ (g.g.A.) im Jahr 2016 sicher den größten Erfolg seiner Geschichte verbuchte. In den hiermit verbundenen Regularien ist festgelegt, dass die Blüten von Rosen im Gemeindegebiet von Agros stammen müssen und dass dazu nur Wasser und Zucker kommen dürfen. Lediglich mit bis zu 1% Zitronensaft darf das Rosenaroma unterstützt werden, ohne es jedoch zu verfälschen.
Die Gemeinde zeigt ihren Stolz auf die Rosen und die daraus hergestellten Produkte im Ortswappen, das von zwei prächtigen Damaszenerrosen geziert wird. Jedes Jahr im Mai, zur Erntezeit, findet in Agros über zwei Wochenenden ein Rosenfestival statt, bei dem sich die besten Vertreter der zypriotischen Kunst und natürlich der Kulinarik ein fröhliches Stelldichein geben. Und Touristen, die ansonsten beim Wandern die duftende Landschaft genießen, machen bei dem Fest gerne Zwischenstation.