Ulis Culinaria

Monte Sant'Angelo

liegt auf der Halbinsel Gargano, die den Sperone d’Italia bildet, den Sporn über der Ferse des italienischen Stiefels. Im Jahr 2011 stellte die UNESCO sieben große sakrale Bauwerke in Italien auf eine Liste mit dem Titel Longobardi in Italia: i luoghi del potere (568-774). Die Orte der Macht, an denen die Langobarden architektonische Spuren ihrer Eroberungszüge in Italien hinterließen, sind verteilt vom Friuli ganz im Norden bis hierher, zum Monte Gargano. Das Santuario di San Michele Arcangelo war eine der letzten Stationen der Kreuzfahrer vor ihrer Überfahrt nach Jerusalem. Hier baten sie den Erzengel Michael um Beistand für ihr Vorhaben.

Il Sperone d'Italia

Der Sporn am italienischen Stiefel

Schon früh sollen Nonnen und Mönche, die sich um die Wallfahrtsstätte ansiedelten, aus einfachem Oblatenteig eine üppige Süßigkeit fabriziert haben, die Ostie ripiene di Monte Sant’Angelo. Sie stellten aus Azyma, dem sog Esspapier aus Weizenpuder, etwa handtellergroße, hauchdünne Plättchen her. Geschälte Mandeln werden geröstet und mit Honig und Zucker karamellisiert. Noch heiß und klebrig kommen die Mandeln zwischen zwei der Hostien und bilden nach dem Erkalten eine süß-knackige Waffel.

Ostie ripiene di Monte Sant'Angelo

Man erzählt sich, eine Nonne habe, als sie Mandeln aus einem heißen Zucker-Honig-Bad fischen wollte, zwei Hostien benutzt, um sich nicht die Finger zu verbrennen. Nachdem es ihr nicht gelang, die fragilen Oblaten wieder von den Mandeln zu lösen, habe sie das so per Zufall entstandene Naschwerk kurzerhand als neue Kreation ausgegeben. Mit offensichtlichem und bis heute anhaltendem Erfolg!

So manchem Kreuzritter mögen sie damals die Reise ins Ungewisse etwas versüßt haben. Heute gehören die gefüllten Hostien zum kulinarischen Selbstverständnis von Monte Sant’Angelo und wurden sogar als →PAT anerkannt.

Ebenfalls lange Tradition hat das Pane di Monte Sant’Angelo. Es zeichnet sich vor allem durch seine flach gewölbte, runde Form und seine Größe von bis zu 70cm Durchmesser aus. Für den häuslichen Bedarf wurden früher alle zwei Wochen, je nach Anzahl der Familienmitglieder, mehrere solcher Laibe gebacken, jeder bis zu 7kg schwer. Der Teig bestand nur aus Weißmehl, das mit natürlicher Hefe (it. lievito), einer Prise Salz und Wasser angesetzt wurde. Der Hefe wurde in mehrmaligem Wechsel von Knetgängen und Ruhephasen Zeit zur Vervielfachung des Teigvolumens gelassen. Währenddessen wurde der Gemeinschaftsofen angefeuert, in dem die Brote dann in zwei, drei Stunden ihre goldbraune Kruste bekamen und eine elfenbeinweiße, großporige Krume.

Pane di Monte Sant'Angelo

Der bedächtigen Teigführung verdankt das pane seine für Weißbrot erstaunliche Haltbarkeit. Diese Eigenschaft wird manchmal noch verbessert, indem man dem Teig gekochte, durchgedrückte Kartoffeln beimengt. Um die eigenen Brote nach dem Öffnen des forno a legno, des Holzofens, herausfinden zu können, hat jede Familie sie mit Mandeln oder Teigverzierungen auf der Oberseite markiert. Inzwischen hat das Brot längst den familiären Bedarf überholt und wird weit über die regionalen Grenzen hinaus verkauft.

Auf der östlichen Seite der Adria, gegenüber dem Gargano, liegt Albanien. Von dort stammt ein Gebäck, das als Poperato di Monte Sant’Angelo vor allem zum carnevale hergestellt wird. Die rund 20cm großen Teigkringel kommen außen knusprig goldbraun aus dem Ofen und besitzen ein mürbes, aber kompaktes Inneres. Der Teig für die poperati besteht aus Weizenmehl, Schmalz, Honig und Süßwein (vino cotto, wörtl. gekochter Wein). Geschmack bringen zusätzlich Gewürznelken, Zimt, Zitronensaft und Orangenabrieb.

Poperato di Sant'Angelo

In Albanien gelten solche gebackenen Ringe als traditionelles Symbolgeschenk bei Hochzeiten oder Verlobungen. Im Dialekt des Gargano, der vom Albanischen beeinflusst ist, heißt das Gebäck pupréte, was soviel wie gepfeffert bedeutet. Über peperato ist dann die heutige Form poperato entstanden. Pfeffer wird zwar heute nicht mehr mitgebacken, aber ein würzig-süßer Genuss sind die schmalzigen Kringel allemal. An Karneval beschenkt man sich gegenseitig damit und sammelt sie wie Trophäen als Armreife. Und wie Goldschmiede verzieren die Poperati-Bäcker ihren Schmuck häufig mit phantasievollen Reliefmustern.