Ulis Culinaria

Rigó Jancsi

*1858 Pákozd (HG), †1927 New York

So mancher osteuropäische Roma-Musiker verdiente im 19.Jh. seinen Lebensunterhalt mit Auftritten in westeuropäischen Metropolen. Dabei blieben den Zigeunermusikanten, wie man sie damals noch nannte, allerdings Konzertbühnen meistens verschlossen, weswegen sie ihre Kunst eher als Straßenmusiker oder, wenn sie Glück hatten, in der Gastronomie präsentierten. Die besten unter ihnen begleiteten mit Gitarre, Violine oder Hackbrett in den angesagtesten Restaurants die vornehmsten Gäste beim Genuss der erlesensten Menüs. Zu ihnen gehörte auch der ungarische Rom Rigó Jancsi, der in Paris sein Geld mit virtuosem Geigenspiel als Zigeunerprimás verdiente.

der Zigeunerprimás

Dabei ist Rigó der Familienname, der im Ungarischen üblicherweise dem Vornamen vorangestellt wird. Und 1896 hatte Johannes, so die deutsche Form seines Namens, eine besondere Begegnung. In welchem Restaurant sie stattfand, ist nicht überliefert, aber es war vielleicht eines von denen, in welchen der Jahrhundertkoch Auguste →Escoffier am Herd stand. Denn die Dame, in die sich Rigó an jenem Abend verliebte – und umgekehrt – war die amerikanische Millionärstochter Clara Ward. Die junge Dame hatte 1890 den belgischen Prince de Camaran-Chimay geheiratet und nannte sich seitdem Princesse Clara de Chimay. Und Escoffier war von ihr offensichtlich ebenfalls sehr beeindruckt, denn, nachdem das adlige Paar einige Male bei ihm gespeist hatte, benannte er immerhin gleich zwei Gerichte, eine Vorspeise mit gefüllten Eiern und eine gefüllte Poularde, mit dem Zusatz à la Chimay.

Rigó Jancsi mit Clara de Chimay

Clara konnte ihre Affäre mit Jancsi eine Zeitlang geheimhalten, aber noch im Jahr 1896 berichtete die Boulevardpresse, dass die prominente Dame ihren Ehemann und die beiden gemeinsamen Kinder verlassen habe und mit dem Musiker durchgebrannt sei. Der belgische Prinz reichte unverzüglich die Scheidung ein und stellte jegliche Zahlungen an die untreue Gattin ein. Auch deren amerikanische Familie drehte den Geldhahn zu, denn als Tischmusiker war ein Gypsy natürlich akzeptabel, aber doch nicht als standesgemäßer Schwiegersohn! Trotzdem blieben die beiden zusammen. Clara verdiente etwas Geld als Fotomodell, die Aufnahmen, auf denen sie in teils erotischen Arrangements posierte, verkaufte sie z.B. als Postkarten. Sie verließen Frankreich, und nach diversen Stationen, u.a. auch in der Lüneburger Heide, landeten sie in der ungarischen Heimat von Rigó. Dort traten sie vor den Traualtar, Clara behielt ihren adligen Namen de Chimay allerdings bei. Der feurige Roma-Geiger kam aber wohl auch bei anderen Damen gut an, denn bald ließ sich Clara de Chimay wieder scheiden, nachdem Jancsi ihr mehrmals untreu geworden war. Ein letztes Mal noch steigerte das illustre Paar damit die Auflagen der Klatschpresse.

Rigó-Jancsi-Torte

Es war wohl vor allem diese zweifelhafte Popularität, die ein unbekannter ungarischer Konditor als Verkaufshilfe für eine Tortenneuheit nutzte, indem er sie Rigó Jancsi Torta taufte.

Die süße Kreation ist nicht ganz so spektakulär wie die Liebesgeschichte zwischen dem Geiger und der schönen Prinzessin. Es handelt sich um zwei fingerdicke Schichten aus kakaogefärbtem Biskuit, zwischen denen sich eine üppige Füllung aus Schokoladen-Sahnecreme verbirgt. Vor dem Aufbau der Torte werden die beiden Biskuitböden aprikotiert, also mit Aprikosenkonfitüre bestrichen. Zum Schluss wird die Torte mit einer glänzenden Schokoladenglasur überzogen.

Ursprünglich hatte die Rigó-Jancsi-Torte wohl eine rechteckige Form, die dann zum Portionieren in kleinere Rechtecke geschnitten wurde, weshalb man sie in manchen Cafés auch als Rigó-Jancsi-Schnitte bekommt.

Da über das vereinfachte Grundrezept hinaus keine genaueren Angaben überliefert sind, findet man etliche Abwandlungen. Häufig wird sie als runde Torte hergestellt. Die Biskuitmasse wird nach manchen Rezepten klassisch angerührt, also mit getrennten Eiern, wobei das steif geschlagene Eiweiß unter die Mischung aus Eigelb, Zucker und wenig Mehl gehoben wird. Andere Autoren empfehlen die Genueser Masse bzw. génoise, bei der das Vollei gemeinsam mit den anderen Zutaten schaumig geschlagen wird. Gelegentlich wird noch zerlassene Butter zugefügt, was die Wiener Masse genannte, etwas saftigere Biskuit-Variante ergibt. Der leicht bittere Geschmack des Kakao, der den Biskuit dunkel färbt, kann durch Zugabe von Schokolade gemildert werden. Die Füllcreme ist, je nach Mischungsverhältnis von Schokolade und Sahne, mal heller, mal dunkler, und manchmal kommen noch Mascarpone oder Quark ins Spiel, was dann eher der fast weißen Käse-Sahne-Torte ähnelt.

Über den Geschmack von Creme und Glasur entscheidet vor allem der verwendete Schokoladetyp: eher eine süße oder doch eher die bittere Sorte? Zusätzlich wird die Creme gerne mit einem Spritzer Rum, etwas Vanille oder anderen Zutaten aromatisiert.

Eine bittere Komponente weist auch die ebenfalls aus mehreren Biskuitböden geschichtete Herrentorte auf, die in vielen deutschen Konditoreien zum festen Angebot gehört. Sie wird mit besonders herber Kouvertüre verkleidet. Die Schichten werden hier von Weincreme getrennt. Die geschlechtsspezifische Benennung hat natürlich ihren Grund: Alkohol und Bitterkeit sind eben nur mit männlicher Stärke zu bewältigen …!

Die Rigó Torta hat nicht ganz den Status der Dobos Torta erreicht, die fast als nationaler Kulturerbe-Beitrag der ungarischen Konditorenzunft gilt. Da auch hier die Kombination von Biskuit und Schokoladencreme die Grundlage bildet, bezeichnen manche sogar die Rigó-Torte als Abwandlung des Dobos-Rezeptes. Aber auch außerhalb Ungarns findet man die Rigó-Torte sowohl in der Back-Literatur als auch in der süßen Gastronomie. In englischsprachigen Backbüchern steht sie oft als Gipsy John.

Manchmal wird berichtet, Jancsi habe die Torte selbst erfunden oder zumindest bei einem Konditor in Auftrag gegeben, um damit seine geliebte Clara zu überraschen. Aber derart romantische Geschichten gehören, wie z.B. auch die Vermutung, es handle sich um die Hochzeitstorte des Paares, sicher eher zur Kategorie der unzähligen Love-Stories, die sich die Regenbogenpresse zu der Liebesaffäre einfallen ließ.

Nach der Scheidung von Clara de Chimay wurde es bald wieder still um Rigó. Einigen wenigen Quellen zufolge verstarb er 1927 in ärmsten Verhältnissen in New York. Auf alle Fälle ist postum über den Musiker und sein Leben ungleich weniger geschrieben worden als über die nach ihm benannte Torte.