Ulis Culinaria

Suzanne Reichenberg

*1853 Paris, †1924 Paris

Der deutsch klingende Familienname stammt vom Vater, der aus der österreichisch-ungarischen k.u.k.-Monarchie kam und in Paris sein Glück als Schneider versuchte. Große Bedeutung für den Werdegang der kleinen Suzanne hat die Stellung ihrer Mutter als dame de compagnie, als Gesellschaftsdame von Suzanne Brohan, einer damals bekannten Schauspielerin. Denn die Mutter wählt nicht nur deren Vornamen für ihre Tochter, sondern gibt diese als Patenkind gänzlich in deren Obhut, als der Vater 1857 stirbt.

Mme Brohan meldet ihre Patentochter mit 13 Jahren bei der Pariser Hochschule Conservatoires nationaux supérieurs de musique et de danse an. Und mit großem Erfolg! Schon nach zwei Jahren erringt Suzanne Reichenberg bei den alljährlichen Aufführungen den ersten Preis. Im gleichen Jahr, 1868, hat sie ihren ersten Auftritt an der Comédie Française, dem altehrwürdigen Theater im Palais Royal. 

Sie spielt die Rolle der Agnes in Molières Komödie L’École des femmes (Die Schule der Frauen), die bei ihrer Uraufführung fünf Jahre zuvor für einigen gesellschaftlichen Wirbel gesorgt hatte. Das Début an der Comédie wird zum Startpunkt einer glanzvollen Schauspielkarriere, und sie bleibt diesem Theaterhaus bis zu ihrem letzten Auftritt im Jahr 1903 treu. 1872 erhält sie den Status eines offiziellen Mitglieds der Comédie Française, eine absolute Ehrung. Die Kritiken loben ihre äußere Erscheinung, ihre silberne Stimme und die Anmut ihres Spiels. Das Pariser Theaterpublikum hat sie unter dem liebevollen Kosenamen Suzette ins Herz geschlossen.

Und natürlich wird sie auch von der feinen Gesellschaft hofiert. Bei einem Besuch in London im Jahr 1890 trifft sie →Edward, Prince of Wales, den späteren King Edward VII. Dieser sorgte mit zahlreichen Affären auch während seiner Ehe für Klatsch und Tratsch, obwohl er sich stets um Diskretion bemühte. Techtelmechtel werden ihm u.a. nachgesagt mit den in diesem Buch erwähnten Schauspielerinnen →Hortense Schneider und SarahBernhardt.

So ist auch über sein Verhältnis zu Suzanne Reichenberg nichts Näheres bekannt, auch nicht das genaue Datum des gemeinsamen Abendessens im Hotel Savoy.

Place Édouard VII, Paris

Zumindest stand die Küche der Londoner Luxusherberge 1890 unter der Leitung des Jahrhundertkochs AugusteEscoffier, der es sich nicht nehmen ließ, dem prominenten Paar eine seiner Kreationen zu präsentieren.

Zum Dessert buk er hauchdünne Eierpfannkuchen, in Österreich Palatschinken (→Gundel), in Frankreich crêpes genannt, die er in einer Sauce aus Butter und karamellisiertem Zucker, abgelöscht mit Mandarinensaft, baden ließ. Die zu Dreiecken gefalteten und auf einem Teller angerichteten Crêpes übergoss er zum Schluss mit Curaçao, einem süß-herben Orangenlikör.

Crêpes Suzette

Der Legende nach beabsichtigte der Koch, das Dessert auf den Namen des Prinzen zu taufen. Dieser jedoch, ganz gentleman, soll geantwortet haben:

Pas du tout, je n’en suis pas digne. Nous donnerons à cette chose merveilleuse le nom de cette jeune personne qui est avec moi (Keineswegs, dessen bin ich nicht würdig. Wir werden diesem wunderbaren Gericht den Namen meiner jungen Begleiterin verleihen).

Also schrieb Escoffier das Rezept unter

Crêpes Suzette

auf.

Flambieren? Naja, ...

Spätere Variationen geben statt des Curaçao den ebenfalls aus Orangen hergestellten Likör Grand Marnier an. Dieser wurde 1880 erfunden und von dem großen Hotelier César Ritz nach seinem Erfinder Marnier-Lapostolle benannt. Ritz und Escoffier arbeiteten viele Jahre zusammen, auch das Savoy in London stand damals unter ihrer Leitung.

... wenn's Spaß macht

Entgegen häufiger Annahme hat Escoffier den Alkohol nie zum Flambieren in Brand gesetzt, was von Puristen und in seriösen Kochbüchern bis heute als modischer Schnickschnack abgetan wird. Beliebt ist das Feuerspiel eh weniger wegen des geringen geschmacklichen Effektes als wegen des Spektakels, das der Kellner am Tisch des Gastes veranstaltet.

Auch Thomas Lieven, der kochende Geheimagent aus Johannes Mario Simmels Roman Es muß nicht immer Kaviar sein, der ansonsten gerne mit dem Effekt eines guten Mahls Erfolge erzielt, verzichtet auf das Flambieren, dafür empfiehlt er – seltsam! – die Beigabe von Kirschwasser oder –likör.

Das Flambierspektakel macht natürlich besonders Kindern Spaß. Dann hat  es noch den positiven Nebeneffekt, dass der größte Teil des Alkohols vor dem Genuss verdampft ist.

Die Verwendung von Orangen anstelle der Mandarinen gilt als durchaus akzeptable, weil etwas fruchtigere Alternative. In diesem Fall wird als liqueur zum Aromatisieren gerne der leicht herbe, aus der Rinde von Orangenbäumen destillierte Cointreau genommen.

Gerne werden die Orangen bzw. Mandarinen noch in Form von ausgelösten Filets beigefügt.

Beliebt ist als kontrastierende Zugabe zu dem heißen Dessert auch eine Kugel Vanilleeis.