Ulis Culinaria

Cora Pearl

*1835 London, †1886 Paris

Ein bei den Schönen und Reichen beliebtes Restaurant im Paris des französischen Second Empire in der zweiten Hälfte des 19.Jhs. war das Petit Moulin Rouge. Dessen Küche war 1865 eine der ersten Stationen von Auguste →Escoffier auf seinem Weg zum cuisinier des rois et roi des cuisiniers. Der Koch liebte es, seine Rezepterfindungen nach berühmten Persönlichkeiten zu benennen. Escoffier war ausgewiesener Kunstliebhaber und Ästhet und wählte häufig Damen als Namensgeberinnen, die als Schauspielerinnen, Opernsängerinnen oder schlicht durch ihre Schönheit seine Bewunderung hervorriefen.

In seinen Erinnerungen notiert Escoffier eine delikate Szenerie aus dem Petit Moulin:

… in einem Séparée … dinierte Cora Pearl in Begleitung eines jungen Lord – oder sollte ich besser sagen eines jungen Täuberichs. Diese unvergesslich schöne Frau war eine besondere Expertin im Rupfen der Vögelchen, die derart von den zarten Damen eingefangen waren … Sie erwartete die gerade flügge gewordenen am Nestausgang und verströmte ihren Liebreiz über sie, bis sie alle ihre Federn verloren hatten. Bevor die Sache lästig zu werden drohte, wandte sie sich einem anderen zu …

Damit ist ziemlich anschaulich beschrieben, womit sich etliche Damen dieser Epoche einen teilweise luxuriösen Lebensstil erarbeiteten. Eine der schillerndsten demi-mondaines oder courtisanes, wie man sie nannte (→Antigny), war zweifellos die Engländerin Cora Pearl.

In ärmlichen Verhältnissen kommt sie als eine von sechs Töchtern eines Cellisten und einer Sängerin in London zur Welt. Der Vater flieht vor Gläubigern in die USA, und die überforderte Mutter schickt die kleine Emma Elizabeth Crouch, so ihr wirklicher Name, in eine Heimschule in Boulogne-sur-mer auf der französischen Seite des Ärmelkanals. Nach acht Jahren kehrt sie nach London zurück und lebt bei ihrer Großmutter im Covent Garden, dem zentralen Marktviertel. Dort gerät sie eines Tages in die Fänge eines älteren Mannes, der sie mit Alkohol gefügig macht und vergewaltigt. Immerhin hinterlässt er dem Mädchen noch einen größeren Geldbetrag, und Emma hat gelernt, dass sie mit der Schönheit ihres Körpers etwas verdienen kann. Sie geht nicht mehr zur Oma zurück, sondern mietet im Covent-Garden-Bezirk ein Zimmer und beginnt ein Leben als Prostituierte. 

Später schreibt sie in ihrer Autobiografie, von Beginn an hätten sie diese ersten Erfahrungen gelehrt, nicht die Männer selbst zu lieben, sondern den Reichtum, den man ihnen mit körperlichen Reizen entlocken könne. Dabei achtet sie durch geschickte Auswahl der Freier darauf, sich von der Masse ihrer Kolleginnen abzuheben, deren oft elendes Ende in Armut und Depression sie hautnah miterlebt.

Auch, um diesem Schicksal zu entgehen, reist sie nach Paris. Sie hofft, dass sie in der demi-monde, der Halbwelt der französischen Hauptstadt, ihr Ziel, als Edelprostituierte reich zu werden, besser verwirklichen kann als im eher prüden England. Emma Crouch legt sich, passend zum erhofften Luxus, den Namen Cora Pearl zu. Natürlich profitiert sie von ihrer Kenntnis der französischen Sprache, die sie in Boulogne erworben hat.

Nach einer kurzen Durststrecke in der Straßenprostitution macht sie erste Bekanntschaften mit Freiern aus adligen Kreisen. Mit Victor Masséna, Duc de Rivoli, und Achille Murat, einem Neffen von Napoléon Ier, pflegt sie eine fast fünfjährige Dreiecksbeziehung. Die Herren führen sie in die feine Gesellschaft ein, indem sie Cora z.B. auf Reisen mitnehmen. So genießt sie auch einige Tage im mondänen Kur- und Casino-Betrieb von Baden-Baden. 1864 wird sie maîtresse des Duc de Morny, eines Halbbruders von Napoléon III. Diese lukrative Beziehung ermöglicht ihr, ein kleines Schloss im Süden von Paris zu mieten, das sie 1875 selbst kauft und bis kurz vor ihrem Tod behalten wird. Im Château de Beauséjour in Olivet veranstaltet sie opulente Feste mit illustren Gästen.

Olivet, Château de Beauséjour

Die Presse berichtet von luxuriösester Ausstattung der Räume, die dem Namen des Schlosses, wörtlich schöner Aufenthalt, alle Ehre macht. Aufsehen erregt z.B. eine riesige marmorne Badewanne, in der man sich sicher nicht nur zur Körperreinigung vergnügte und die auch schon mal mit Champagner befüllt wurde. Überhaupt macht Cora Pearl immer wieder durch spektakuläre Selbstinszenierungen von sich reden. Eine Boulevardzeitung verleiht ihr den Beinamen plat du jour (Tagesgericht), als sie sich völlig nackt, nur garniert mit kulinarischen Leckereien, auf einer silbernen Platte zur Tafel tragen lässt. Später verkörpert sie in der Operette Orpheus in der Unterwelt von Jacques Offenbach die Figur des antiken Liebesgottes Cupido, einziges Kostüm bildet ihr Diamantschmuck.

Nach dem Tod des Duc de Morny 1865 wird ein weiterer Spross aus der Verwandtschaft der Bonapartes, Prince Jérôme Napoléon, ihr Liebhaber. Und vor allem ihr Gönner, denn er schenkt ihr zwei reich ausgestattete Häuser im 16e arrondissement, dem noch heute vornehmsten Stadtbezirk von Paris. Diese hôtels werden zum Schauplatz der Blütezeit von Cora Pearl. Hoch- und Finanzadel der Epoche geben sich die Klinke in die Hand. Sie gilt als bestbezahlte Kurtisane der Zeit, ihren Reichtum gibt sie großzügig für Schmuck, Mode und ihre soirées aus, und zeitweilig unterhält sie mehrere Dutzend edle Pferde.

Cora Pearl und Achille Murat

Der deutsch-französische Krieg 1870-71 macht dem Luxusleben ein jähes Ende. Cora Pearl wandelt eines ihrer Häuser zum Lazarett um und betätigt sich dort während der Belagerung von Paris selbst als Pflegerin. Der Großteil ihrer männlichen Klientel ist nicht mehr in der Hauptstadt. Sie kehrt für ein paar Monate nach England zurück. Wieder in Paris, ist sie zunächst auf sich allein gestellt, bis sie Alexandre Duval kennenlernt, der als Erbe einer Restaurant-Kette schon mit 24 Jahren ein reicher Mann ist. Er wird ein tragisches Beispiel für die oben zitierte Charakterisierung durch Escoffier. Nachdem er die gut 12 Jahre ältere Cora mit neuem Reichtum überhäuft und ihr u.a. ein Schloss im Westen von Paris geschenkt hat, ist Duval selbst finanziell am Ende, und seine Familie stellt ihm den Geldhahn ab. Nun nicht mehr von Nutzen, wendet sich die Pearl von ihm ab, woraufhin der in seiner Liebe getäuschte junge Alexandre einen Selbstmordversuch unternimmt.

Die Figur eines ebenso enttäuschten Liebhabers der Nana im gleichnamigen Roman von Émile Zola – dem der Suizid allerdings tatsächlich gelingt – soll von Alexandre Duval inspiriert sein. Obwohl Alexandre Duval den Suizidversuch überlebt, zerstört die in der Presse breitgetretene Affäre das Ansehen der Kurtisane, sie wird sogar zeitweise des Landes verwiesen. Ein Großteil ihres Vermögens wird zugunsten von Gläubigern versteigert. Nach ihrer Rückkehr versetzt Cora Pearl ihren Schmuck und ihr Tafelsilber bei einem 

Glanz und Elend

Pfandleiher und verkauft ihre sämtlichen, teils schon verschuldeten Immobilien. In einem der Häuser bleibt ihr gerade noch ein kleines Appartement. Sie ist zuletzt angewiesen auf eben die elende Form der Prostitution, die sie bis dahin zu vermeiden wusste. Ohne durchschlagenden Erfolg veröffentlicht sie zwar noch eine Autobiografie, stirbt aber kurz darauf an einer Krebserkrankung. Das kleine Begräbnis bleibt weitgehend unbeachtet.

Im Nachhinein werden die autobiografischen Mémoires de Cora Pearl wegen der schonungslosen Schilderungen des Lebens hinter der glänzenden Fassade des Second Empire von manchen Historikern als authentisches Zeugnis dieser Epoche der französischen Geschichte gewertet.

Noisettes d'agneau à la Cora

Escoffier war, trotz der drastischen Schilderung ihres Lebenswandels, von der schillernden Erscheinung der Cora Pearl offensichtlich schwer beeindruckt. So hat er ihr die Noisettes d’agneau à la Cora gewidmet. Bei dieser kulinarischen Kreation füllte er cœurs d’artichauts pochés, gedünstete Artischockenherzen, mit gebratenen Lammnüsschen. Diese Nüsschen werden aus dem zarten Rückenmuskel des Lamms geschnitten, der beim Carré bzw. bei den einzelnen Koteletts als Auge sichtbar wird..

Artischockenherzen
Lammcarrés

Mir fallen bei dieser Komposition die jungen und naiven Galane ein, die mit vollem Herzen (und Geldbeutel!) alles für die Pearl gaben, um dann mit ausgeraubtem Herzen (und Geldbeutel!) von ihr fallengelassen zu werden.

Aber unschuldige Opferlämmer waren diese Herren ganz gewiss auch nicht …!