Ulis Culinaria

Horatio Nelson

* 1758 Burnham Thorpe  † 1805 Trafalgar

Einer der meistbesuchten Plätze der britischen Hauptstadt London ist der Trafalgar Square, der durch die Sichtachse der Mall mit dem gut 1km entfernten Buckingham Palace verbunden ist. Mitten auf dem Square ragt eine Granit-Säule in den Himmel. Auf einem korinthischen Kapitell an der Spitze, in 46m Höhe, richtet die fünfeinhalb Meter große Figur des Admirals Lord Horatio Nelson den über alle Horizonte erhabenen Blick nach Süden, in Richtung des Regierungsviertels Westminster. Und natürlich weit darüberhinaus bis zum namensgebenden Kap Trafalgar, fast am südlichsten Punkt des europäischen Festlandes an der Meerenge von Gibraltar.

unsterblicher Nationalheld ...

Tatsächlich hatte die Regierung des Vereinigten Königreiches dem Seemann einiges zu verdanken. Dabei war dem kleinen Horatio die Seefahrt nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater, ein anglikanischer Geistlicher, hatte für acht Kinder zu sorgen, nachdem seine Frau gestorben war. Der damals gerade neunjährige Nelson fand Spaß am Segeln, das er in der gewässerreichen Grafschaft Norfolk gut erlernen konnte. Mit 12 Jahren, gleich nach dem Grundschulabschluss, schrieb er sich bei der Royal Navy ein. Der Start seiner außergewöhnlichen Karriere wurde unterstützt durch einen bei der Königlichen Kriegsmarine arbeitenden Onkel.

Nach diversen Fahrten durch arktische Gewässer sowie auf den Kolonial-Routen nach Indien und in die Karibik wurde ihm 1778, also mit 20 Jahren, erstmals die Kommandantur eines Kriegsschiffes übergeben.

Weder die Neigung zur Seekrankheit, die ihn lebenslang begleitete, noch gelegentliche Infektionen mit Tropenkrankheiten konnten seinen Werdegang bremsen. Erst die Zeit nach dem Friedensvertrag mit Frankreich von 1783, die für einen Berufssoldaten wenig Gelegenheiten für Heldentum bot, führte Nelson in ruhigere Gewässer und für ein paar Jahre sogar zurück ins heimatliche Burnham Thorpe. Er heiratete und bereiste das ehemals verfeindete Frankreich.

Das beschauliche Leben war allerdings schon wieder vorbei, als Frankreich in Folge der Révolution Française dem monarchischen Großbritannien den Krieg erklärte. Da sich Spanien und die süditalienischen Monarchien Neapel und Sizilien auf die Seite der Briten schlugen, verlagerten sich die kriegerischen Auseinandersetzungen zusehends in den Mittelmeerraum.

1783 wurde Nelson zum Kommandanten der HMS Agamemnon ernannt. Mit diesem Linienschiff, ausgerüstet mit der Zerstörungskraft von 64 Kanonen, begann der Aufstieg Nelsons. In mehreren erfolgreichen Seeschlachten wie z.B. vor →Toulon, Tunis oder bei den Kanarischen Inseln machte er mit strategischem Geschick die Admiralität der Royal Navy auf sich aufmeksam. Es folgten entsprechende Beförderungen, die in der Ernennung zum Vize-Admiral im Jahr 1801 vorläufig gipfelten.

Sein dafür noch junges Alter machte ihn auch in der britischen Öffentlichkeit zum Volkshelden. Ebenso die Tatsache, dass er sich auch durch schwere Verwundungen – er hatte bei verschiedenen Gefechten die Sehkraft eines Auges und seinen rechten Arm verloren – nicht in seinem Lauf aufhalten ließ. Als einen seiner wichtigsten Siege bezeichnen Historiker die Seeschlacht vor →Abukir im Jahr 1798, in der er den vom späteren französischen Kaiser Napoléon Bonaparte angeführten Ägyptenfeldzug stoppte.

Da verzieh ihm die prüde anglikanische Gesellschaft sogar ein Privatleben, für das man ansonsten geächtet wurde: Bei einem Treffen mit dem britischen Botschafter in Neapel und Sizilien, Sir William Hamilton, lernte er dessen Ehefrau →Emma kennen – und vor allem lieben!

Die junge Frau, die aus ärmlichen nordenglischen Verhältnissen kam, war von ihrem damaligen Geliebten gegen ein stattliches Erbe quasi an den mehr als doppelt so alten Diplomaten verkauft worden und diesem an seinen Dienstsitz in Neapel gefolgt. Schon allein diese Geschichte sorgte für reichlich Schlagzeilen in der Klatschpresse.

Vigée-Lebrun, Emma Hamilton in der Attitude einer Bacchantin, 1791

... diese Frau Hamilton ...

Dazu kam, dass Emma ihre außergewöhnliche Schönheit gerne in theatralischen, allegorischen Auftritten zur Schau trug, von denen sich sogar der deutsche Dichterfürst Goethe beeindruckt zeigte.

Und nun bekamen Moralapostel und Berufsvoyeure weiteren Diskussionsstoff mit der seltsamen Dreiecksbeziehung, die sich zwischem dem alten Botschafter, seiner Gattin Emma und deren neuem Geliebten Horatio Nelson entwickelte. Hamilton hatte sich gegenüber Emma schon zuvor eher wie ein gut sorgender väterlicher Freund verhalten. Er ließ ihr z.B. umfangreiche Bildung zukommen, die sie als Kind und Jugendliche versäumt hatte. Nun duldete er ihre Beziehung mit Nelson nicht nur, er förderte sie geradezu, indem er unter anderem das stillschweigende Einverständnis von König George III. erlangte, der schon die seltsame Ehe zuvor aus Sympathie zu Sir Hamilton nicht untersagt hatte. Selbst die einzige – wenn man so will – Bestrafung, die Abberufung Hamiltons als Botschafter in Neapel, nahm dieser – es stand eh die Pensionierung an – gelassen hin.

HMS Victory, Galionsfigur

Nelson regelte die Trennung von seiner Ehefrau recht großzügig. Mit Emma, die 1801 Tochter Horatia zur Welt gebracht hatte, gründete er einen eigenen Hausstand auf der südenglischen Isle of Sheppey. Aber trotz dieses bewegten Privatlebens arbeitete Nelson weiter an der Vergrößerung seines Heldenstatus. Zwischenzeitlich hatte er den Oberbefehl über die britische Ostsee-Flotte inne, dann befehligte er eine zeitlang die Schiffe der Royal Navy im strategisch wichtigen Ärmelkanal. Seine höchste Stufe auf der Karriereleiter erreichte Nelson 1803 mit der Ernennung zum fünfthöchsten Vizeadmiral, die mit dem Oberbefehl über die Mittelmeerflotte verbunden war. Und auf der HMS Victory errang er 1805 im nationalen Bewusstsein des Vereinigten Königreiches die Unsterblichkeit, die die Nelson-Säule auf dem Trafalgar Square symbolisiert.

Die Seestreitkräfte Frankreichs und Spaniens hatten einen Großteil ihrer Schiffe vor dem südspanischen Hafen Cádiz versammelt und man befürchtete einen Angriff auf die britischen Inseln. Vor dem Cabo de Trafalgar traf Nelsons Flotte auf die zahlenmäßig weit überlegene spanisch-französische Flotte. Dank des taktischen und strategischen Könnens von Admiral Nelson gelang am 21. Oktober 1805 ein überwältigender Sieg, der für geraume Zeit die Vormachtstellung der Royal Navy auf den Meeren der Welt begründete.

Für Nelson selbst allerdings war die Kunde vom siegreichen Ende der Schlacht die letzte Meldung, die er entgegennahm: Er war von einer französischen Gewehrkugel getroffen worden und verstarb wenige Stunden später an Bord der Victory. Das abgebildete Bronzerelief vom Sockel der Nelson-Säule zeigt den getroffenen Admiral, umringt von Männern seiner Crew.

Immortality !

Seit jeher haben Helden, die im Moment ihres größten Sieges den Tod fanden, im kollektiven Gedächtnis nicht nur Dankbarkeit, sondern eine an Heiligenverehrung erinnernde Unsterblichkeit erfahren. Schon im selben Jahr stellte der Zeichner James Gillray, eigentlich bekannt für beißende Karikaturen zu Politik und Gesellschaft, …the Death of Admiral Nelson in the moment of Victory … als Entwurf für ein Denkmal dar (Abb. rechts). Ganz oben trompeten Engel die Immortality des verwundeten, von einer Meeresgöttin gestützten Admirals in den Himmel.

Wie bei den christlichen Heiligen wird die Erinnerung an den Nationalhelden nicht nur durch unzählige Gemälde, Statuen, literarische Werke, Museen und geografische Namensgebungen wachgehalten, sondern auch durch Reliquien wie Kleidungsstücke, Habseligkeiten oder Haarlocken. Und immer wieder, so zeigen auch etliche Beispiele in diesem Lexikon, drückt sich die Verehrung in der Benennung von kulinarischen Produkten oder Kochrezepten aus. Dabei hat dies oft nichts mit irgendwelchen besonderen Vorlieben der/des Namenspaten/-patin zu tun.

So verhält es sich auch mit ein paar Rezepten, mit denen der große französische Koch Auguste →Escoffier dem britischen Admiral fast ein Jahrhundert nach dessen Sieg über Frankreich huldigt. Der scheinbare Widerspruch ergibt sich aus dem langjährigen Wirken Escoffiers in Londoner Spitzen-Hotels, wo er sein Lebenswerk vorantrieb, nämlich die Vormachtstellung der cuisine française in den Küchen der Welt zu festigen. Friedlich, aber entschlossen. Und nicht eben erfolglos …!

Auguste Escoffier

Consommé Nelson

In seinem Hauptwerk, dem Guide Culinaire, hat Escoffier ein Rezept für eine Consommé Nelson veröffentlicht, die als klare Fischsuppe immerhin zum Meer als Arbeitsfeld des Seehelden passt. Als Einlage empfiehlt er Reis, dazu gibt es →Profiteroles, gefüllt mit gehacktem Hummerfleisch.

Filets de Sole Nelson

Nelsons Geliebte, Emma, wurde von einem unbekannten Koch zur Namenspatin für die →Seezunge Hamilton mit Spinat gekürt.

Escoffier dagegen verarbeitet den gleichen feinen Meeresfisch zu Filets de Sole Nelson. Dazu werden die sanft →pochierten Filets mit Weißweinsauce zu turbans aufgerollt und mit pommes de terre noisette garniert. Das sind mit dem →Parisiennestecher ausgestochene Kartoffelkügelchen in Größe einer Haselnuss (frz. noisette), goldbraun und knusprig gebraten.

Das Gericht wird abgerundet von pochierter →laitance , Fischmilch.

Selle de Veau Nelson

Escoffier hat eine Menge seiner kulinarischen Kreationen nach bekannten Persönlichkeiten benannt. Vielen von ihnen war er persönlich begegnet, z.B. wenn sie in einem seiner Restaurants zu Gast waren. Andere hat er, der sich selbst als Künstler am Herd verstand, wegen ihrer künstlerischen Bedeutung durch die Widmung eines Gerichtes geehrt. Für die Benennung der Selle de veau Nelson lässt sich ein inhaltlicher Bezug nicht feststellen.

Ein Kalbsrücken wird mit einer großzügig getrüffelten Sauce →Soubise überbacken. Da diese recht schwere Abwandlung der Sauce →Béchamel nicht mehr so recht zu den heutigen Ernährungsstandards passt, findet man das Rezept in unterschiedlichsten Abwandlungen. 

Auch ein kompletter Kalbssattel (der hintere Teil des Kalbsrückens, frz. selle) kommt heute nur noch selten auf den Tisch. Meist werden zuvor die Koteletts einzeln tranchiert und als Koteletts oder Schnitzel à la Nelson zubereitet.

Kalbskoteletts

Escoffier hat das Rezept auch auf Côtelettes d’Agneau Nelson (Lammkotelettes) übertragen.

Nicht von Escoffier, aber ebenfalls ohne erkennbaren Bezug zum Namensgeber findet man in Restaurants rund um die Nordsee Matjesfilets Lord Nelson.

Matjes Lord Nelson

Die fermentierten →Heringsfilets werden mit Apfelscheibchen, Meerettichsahne, Preiselbeeren und Mandelsplittern kombiniert. Wenn man beim Einkaufen die Apfelsorte Lady Hamilton findet, kann man wenigstens die große Liebe des Seehelden mit ins Spiel bringen. Da es sich um eine neuseeländische Zufallszüchtung handelt, muss man aber eher auf den bekannteren Braeburn ausweichen, einen engen Verwandten.