Ulis Culinaria

Sophie Charlotte von Meckklenburg-Strelitz

*  1744 Mirow,  †  1818 Kew Palace

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sie ist überhaupt nicht belesen, hat nur eine mittelmäßige Bildung … und keinerlei Ahnung von Politik und parteilichen Intrigen

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königliche Brautschau in der Provinz

So beschrieben britische Diplomaten die gerade 17jährige Prinzessin Sophie-Charlotte aus dem flachen Land der Mecklenburgischen Seenplatte. Das war allerdings keine Kritik, denn vor allem der zweite Teil des Zitats machte die junge Dame gerade zum geeigneten Ziel der diplomatischen Suche: Der britische Thronfolger George sollte zu King George III gekrönt werden, und was ihm für diese Rolle noch fehlte, war eine standesgemäße Gattin.

Sie sollte also blaublütig genug sein, um die Krone der britischen Queen zu tragen, aber unter der Krone sollten Gedanken an eine Beteiligung an der königlichen Macht doch bitte nicht entstehen. Immerhin waren die Mutter von Charlotte und die Mutter von George Cousinen um drei Ecken, und abgesehen von ihrer angeblich mangelnden Bildung attestierten die königlichen Brautsucher der Prinzessin gute Fremdsprachenkenntnisse (mit Ausnahme des Französischen …), liebenswerte Umgangsformen und ein gutes Herz.

Direkt nach Unterzeichnung des Ehevertrages durch die Vertreter des Fürstentums Mecklenburg-Strelitz und der britischen Krone wurde Charlotte mit einer königlichen Yacht nach London gebracht. Im St.James Palace sah sie am 8.September 1761 erstmals ihren künftigen Gemahl, am Abend des selben Tages war sie bereits verheiratet. Und schon 14 Tage später wurde das junge Paar zu King George III und Queen Charlotte gekrönt.

Ein knappes Jahr danach kam der Thronfolger George IV zur Welt, das erste von 15 Kindern, die Charlotte innerhalb der folgenden 21 Jahre gebar. Aus den Amtsgeschäften ihres Gatten hielt sie sich tatsächlich völlig heraus, während dieser sich als liebevoller Ehemann und Vater zeigte. Die Queen beschäftigte sich neben der Erziehung der Kinder mit Interessen, die sie schon in ihrer deutschen Heimat entwickelt hatte: Sie liebte es, allein oder in Gesellschaft zu musizieren, und besonders intensiv widmete sie sich dem Betrieb und der Erweiterung der königlichen Botanischen Gärten um den Kew Palace, ihren Wohnsitz im Südwesten Londons. Die britische Presse verlieh ihr bald den Titel Queen of Botany.

Eine bleibende Erinnerung an die naturkundliche Begeisterung der Königin schuf 1773 Joseph Banks, der damalige Chef der Londoner Botanic Gardens. Die in solchen überdachten Gärten präsentierten Pflanzen kamen hauptsächlich aus den zahlreichen Kolonien, und fünf sehr auffällige Blumen-Arten aus dem südlichen Afrika fasste Banks in der Gattung der Strelitzien zusammen. Die Schönste unter ihnen widmete er Queen Charlotte zwiefach: Strelitzia reginae (Strelitzie der Königin). Deren lang haltbare Blüten erinnern an einen bunten, flatternden Vogel, weshalb sie in deutschen Blumengeschäften auch als Paradiesvogelblume gekauft werden.

Die Begeisterung Charlottes für Natur und Botanik wurde übrigens von ihrem Gatten sehr unterstützt. Und das königliche Paar ließ beileibe nicht alle Gartenarbeit von Personal erledigen, man sah die beiden durchaus auch selbst mit Harke und Gartenschere hantieren. Nicht umsonst hatte der Volksmund George den Spitznamen Farmer George verliehen, während man Charlotte Queen of Botany nannte.

Schon in den frühen Jahren der Amtszeit von George III wurden in den nordamerikanischen Kolonien zahlreiche Orte Charlotte, Charlottesville oder Charlottestown getauft. Sowohl in South Carolina als auch in Virginia existiert jeweils ein Mecklenburg County, zweiteres hat zudem seinen Verwaltungssitz in der Stadt Charlotte. Zwar verlor das britische Empire diese Kolonien mit der Unabhängigkeitserklärung vom 4.Juli 1776, also ebenfalls noch unter George III, aber die Benennungen haben bis heute überlebt.

Und auch in der Kulinarik wurde die beliebte, weil so garnicht klassisch monarchisch auftretende Monarchin zur Namenspatin gekürt. Mit der englischen Aussprache, also mit einem T am Anfang und Betonung auf der ersten Silbe, finden sich Rezepte für eine Charlotte im Kapitel Desserts in englischen Kochbüchern aus dem späten 18.Jh. Ein in der Regel vanillierter Pudding wird mit Apfelspalten und gebutterten Toastscheiben, später mit Stücken von luftigem Biskuit in einer Form geschichtet und nach dem Erkalten gestürzt. Dieser Apfelkuchen ähnelt einem →clafoutis, bei dem traditionell Kirschen in einer schaumigen Eier-Mehl-Zucker-Mischung versinken.

In englischen Küchen bezeichnet pudding sowohl solcherlei Süßspeisen als auch herzhafte Pasteten und wurstartige Produkte, z.B. den blutwurstähnlichen black pudding.

Antonin →Carême, den man roi des chefs et chef des rois (König der Chefs und Chef der Könige) nannte und der eine zeitlang King George IV und seine Familie bekocht hatte, veröffentlichte das Rezept für die Apfel-Nachspeise als Charlotte à la parisienne. Statt der Brot- bzw. Biskuitscheiben kleidete er die Innenseite der Puddingform mit boudoirs aus. Diese trockenen, länglichen Biskuits mit ihrer gezuckerten Oberfläche werden auch →biscuits champagne oder, in leicht abgeänderter Rezeptur, biscuits à la cuillère genannt, zu deutsch Löffelbiskuits.

Die cuisine française – man verstand sich gerade gut mit Zar Alexander I. – bereitete das gleiche Dessert als Charlotte russe zu. Als Standardfüllung für dieses Rezept gilt die crème bavaroise (ja, mit den Wittelsbachern hatte man gerade mal wieder familiäre Bande geknüpft …), eine rahmige Zubereitung aus Eigelb, Milch, Zucker und →crème chantilly, die mit Vanille nicht geizen darf und dank Gelatine und Kühlung fest wird.

Charlotte royale

Nach und nach entstanden Charlotte-Rezepte, für die kein Pudding gekocht, sondern diverse kalte Cremes zubereitet werden. Statt des Apfels kamen andere Früchte ins Spiel, und bei Aromen und Garnituren gibt es keine Grenzen. Entsprechend dem Französischen als internationaler Küchensprache spricht man den Namen ohne T am Anfang und betont ihn auf –lott.

Spätestens seit auch der große Auguste →Escoffier in mehreren Rezepten in seinem Guide culinaire die Löffelbiskuits verwendete, gelten sie als typisches Merkmal einer Charlotte.

Dafür gibt es inzwischen eigene Moules à Charlotte (Charlotte-Formen) aus Keramik oder Metall, die sich auch für das →bain-marie eignen. Beim normalen Durchmesser von ca. 18cm entspricht die Höhe der leicht nach außen geneigten Wand der Länge der auf 13cm standardisierten Löffelbiskuits. Diese werden, mit der gezuckerten Seite nach außen, aufrecht nebeneinander an die Innenseite der Moule gestellt. Dicht an dicht passen da etwa 20 bis 25 in den Kreis. Dann wird die Pudding- bzw. Crememasse eingefüllt, und nach dem Erstarren und Stürzen umgeben die Löffelbiskuits die Charlotte wie ein Palisadenzaun.

Charlotte

klassische Moule à Charlotte

Escoffier verwendet diese moule à charlotte auch als Backform in mehreren Pasteten- und Auflaufrezepten. Als Alternative zur speziellen Charlotte-Form lassen sich auch die Kugelhupf- oder eine kleine →Savarin-Form verwenden, dann wird aus der Charlotte-Kuppel eben ein Charlotte-Kranz.

Das international bekannteste dolce (Süßspeise) der cucina italiana ist sicher das tiramisu (zieh mich hoch!). Da auch hier die Kombination einer cremigen Füllmasse mit den zarten Löffelbiskuits (denen man in Italien mit der Bezeichnung savoiardi eine französisch-alpenländische Herkunft zuschreibt) die Grundlage ist, kann man es durchaus als Charlotte-Variante sehen.

Wenn man nun eine köstliche Charlotte auf einem hübsch gedeckten Kaffeetisch serviert, auf dem zur Zier eine Vase mit einer voll entfalteten Strelitzienblüte steht, ja, was soll denn dann noch fehlen zum königlichen Flair …