Die meisten Informationen über das Leben des Römers sind einer Biografie zu entnehmen, die der griechische Schriftsteller Plutarch wenige Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst hat. Lucullus entstammte einer Familie, die mit Sicherheit zur einflussreichen und wohlhabenden Oberschicht des Imperium romanum zählte. Über seine Mutter war er beispielsweise mit dem Feldherrn und Diktator Lucius Cornelius Sulla verwandt. In dessen Auftrag zog er als Heerführer gegen den Herrscher von Pontos, König Mithridates VI, zu Felde.
Das pontische Reich zog sich vom Osten der heutigen Türkei bis an den Kaukasus, und Mithridates stemmte sich gemeinsam mit den Griechen gegen Bestrebungen der Römer, ihr Imperium nach Osten auszudehnen. In den sogenannten drei Mithridatischen Kriegen zwischen 89 und 63 v.Chr. gelangen Lucius Lucullus etliche militärische Erfolge, für die er von Sulla mit hohen politischen Ämtern sowie mit Reichtümern und Ländereien in Rom und in Kleinasien reichlich entlohnt wurde. Er konnte die völlige Unterwerfung des pontischen Reiches zwar nicht vollenden, da seine Soldaten gegen die hohen Anforderungen meuterten, doch schmälerte das seinen Ruf in Rom nur kurzfristig. Zeitweilig gehörte er dem höchsten römischen Staatsgremium, dem Senat an. Bereits im Alter von 43 Jahren wurde er zum Konsul ernannt. Und quasi als Ehrenbezeichnung wurde seinem Namen der Anhang Ponticus beigefügt.
Dieser Wohlstand erlaubte ihm, neben seiner militärischen Begabung ein ganz anderes Steckenpferd zu pflegen. Er war sehr interessiert an allen kulinarischen Genüssen, die er während seiner Feldzüge in Kleinasien und später auch in Afrika kennenlernte.
Deshalb ließ er verschiedene als Lebensmittel nutzbare, aber bis dahin im römischen Reich noch unbekannte Gewächse in den parkähnlichen Gärten seiner Villen anpflanzen, die er sich in Rom, dem umgebenden Latium und selbst in Neapel hatte errichten lassen. Hierbei übernahm er auch die Anbaumethoden aus den jeweiligen Herkunftsgebieten, ein wichtiger Grundstein für den dauerhaften Erfolg seiner botanischen Importe. Für die horti lucullani, die lukullischen Gärten, ließ er Mitte des 1.Jhs.v.Chr. einen ganzen Hügel im Norden Roms landschaftlich umgestalten. Noch im Jahr 2007 wurden bei Bauarbeiten an einer römischen Niederlassung des Max-Planck-Instituts Brunnenanlagen entdeckt, die zu diesen Gärten gehört haben.
Der römische Naturgelehrte Plinius schreibt in seiner Naturalis historia etwa 100 Jahre nach Lucullus, dass dieser in seinen horti auch die ersten Kirschbäume Europas kultivierte. Der wahrscheinlich früheste Kochbuchautor →Apicius hat die Kirschen wenig später als cerasium in seine Rezepte aufgenommen. In der heutigen botanischen Nomenklatur nach Carl von →Linné (18.Jh.) heißt nur die Sauerkirsche Prunus cerasus. Für die zur Gruppe der Vogel-Kirschen gehörenden süßeren Sorten hat Linné, nach dem lateinischen Wort avis für Vogel, den botanischen Namen Prunus avium gewählt.
Lucullus hatte die Kirschbäume bei der Stadt Kerasous, lateinisch Cerasus, in den Pontischen Alpen an der Schwarzmeerküste gefunden, also im Reich des Mithridates, wo man die Früchte griechischsprachig kerásion nannte. In →Giresun, so der aktuelle türkische Name der Stadt, werden bis heute, neben Hasel- und Walnüssen, auch nach wie vor Kirschen kommerziell angebaut. Und eine dicke rote Kirsche ziert das Stadtwappen. Ob nun die süßsauren Früchtchen ihren Namen von der Stadt haben oder umgekehrt, ist nicht ganz klar. Im aktuellen Türkischen heißen sie kiraz, und auch die deutsche Kirsche, die französische cerise oder die englische cherry haben hier ihren sprachlichen Ursprung.
Wie auch immer, die Kirschen und andere von Lucullus in den römischen Speiseplan eingeführte Früchte und Gemüse wurden schnell im ganzen Imperium romanum beliebt. Der alte Feldherr und Senator liebte es, seine kulinarischen Eroberungen bei prunkvollen Einladungen aufzutischen. Solche Gelegenheiten wurden schon von Chronisten der römischen Spätantike als lukullische Gastmahle beschrieben, und im ganzen Reich wurden die neuartigen Lebensmittel als lukullische Genüsse begehrt. Heute werden diese Begriffe meist als redensartliche Beschreibung von kulinarischem Luxus, manchmal gar mit dem Anflug von Protzerei verwendet.
Von Lucullus ist allerdings, anders als später von Apicius, angeberische Zurschaustellung nicht überliefert. Von ihm wird eher berichtet, dass er als hoch gebildeter Mann an vielem Neuen und eben auch an wohlschmeckenden Neuheiten interessiert war. So wird ihm neben seinen Villen und Gärten auch eine gut sortierte Bibliothek mit zahlreichen Werken zu Philosophie und Wissenschaften zugeschrieben, die er der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Die Gastmahle waren nicht nur durch die erlesenen Gaumengenüsse gekennzeichnet, sondern waren stets auch Gelegenheit für angeregten politischen und philosophischen Gedankenaustausch. Unter anderen nahm auch der berühmte Staatsmann Cicero gerne an der Tafel seines Freundes Lucullus Platz.
In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts veröffentlichte die hannoveranische Großbäckerei Bahlsen das Rezept für eine Kombination von Butterkeksen mit einer Creme aus Kokosfett und Kakao, wohl um den Absatz der von ihr erfundenen →Leibniz-Kekse zu beflügeln. Da die Kastenform, in die man die Kekse mit der Creme schichtete, an die Transport-Loren erinnerte, die unter der Bezeichnung Hunt im Bergbau rollten, bekam die süße Zubereitung den Namen Kalter Hunt, woraus schnell ein kalter Hund wurde: Die Kälte ist nötig, um die Creme erstarren zu lassen. Wenn das kuchenartige Gebilde dann aus dem Kühlfach geholt und aus der Form gestürzt wird, beschlägt die fast schwarze Oberfläche leicht wie die feuchte Nasenspitze eines Hundes, weshalb manche es auch als Kalte Schnauze genießen.
Vor dem Anschneiden wird der Kuchen mit Kuvertüre überzogen. Mit Mandelsplittern, die man vor dem Erkalten da hineinsteckt, wird aus dem Kalten Hund ein Kalter Igel.
Und da Schokolade noch bis in die Wirtschaftswunder-Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als besonderer Genuss galt, hat sich ein unbekanntes Schleckermaul irgendwann an den altrömischen Feinschmecker erinnert und den Kekskuchen Lukullus getauft. Unter diesem Namen war er nicht nur bei Kindergeburtstagen beliebt, kam aber (leider) mit dem zunehmenden Massenangebot an Schokoriegeln und ähnlichen mundgerechten Süßigkeiten etwas aus der Mode.
Das Rezept für den Kuchen ist wohl auch im Norden Frankreichs bald bekannt geworden. Denn es war sicher kein Zufall, dass ein Metzger aus dem nordfranzösischen →Valenciennes um 1930 auf die Idee kam, aus den Produkten seines Metiers eine optisch verblüffend ähnliche Kreation zu gestalten und diese ebenfalls namentlich dem römischen Feinschmecker zu widmen.
Die wenigen heutigen Hersteller der* Lucullus de Valenciennes erzählen, ein Ehepaar, das wegen einer Beerdigung aus Paris angereist war, hätte den Wirt für das Trauermahl um eine interessantere Zubereitung der hier traditionell beliebten langue de bœuf, der Rinderzunge gebeten. Der namentlich nicht überlieferte Koch habe die Zunge dann mit einem edlen Produkt kombiniert, das in ganz Frankreich beliebt ist, nämlich mit foie gras, Stopfleber vom canard (Ente) oder von der oie (Gans).
*Die Valenciennois/es verwenden trotz des männlichen Namensgebers die feminine Form la Lucullus. Das liegt wohl an der Rinderzunge, die ebenfalls la langue de bœuf heißt. Und das Gericht wird beim charcutier auch als Langue de Lucullus bestellt.
Die Rinderzunge wird zunächst leicht geräuchert und anschließend in Brühe gegart. Nach dem Erkalten hat sie etwa die Konsistenz eines feinen Rohschinkens.
Aus Geflügel-Stopfleber, Ei und weiteren, streng geheimen Zutaten wird eine schaumige Creme zubereitet. In einer Kuchenform – siehe beim süßen Lukullus oben! – werden nun dünn von der Zunge geschnittene Scheiben abwechselnd mit einer ebenso dünnen Schicht der Leber-Creme aufeinandergeschichtet. Nach dem Durchkühlen wird die Form gestürzt. In dünne Tranchen geschnitten ergibt sich durch die dunkle langue de bœuf und die helle Leber-Creme ein Streifenmuster, das an den Schokolade-Keks-Lukullus erinnert.
Übrigens
hat der Begriff kulinarisch mit dem Namen Lucullus bzw. mit lukullischen Genüssen sprachlich nichts zu tun, auch wenn es vom Wortlaut her so scheinen könnte. Im alten Rom nannte man den Raum mit der zum Kochen nötigen Feuerstelle coquilina oder culina. Kulinarik beschreibt also zunächst all jene Tätigkeiten, die in der Küche zur Nahrungszubereitung dienen. Heute wird das Wort aber meistens für eine eher anspruchsvolle Ausführung solcher Tätigkeiten verwendet.