Der wachsende Tourismus der Wirtschaftswunderjahre nach dem Zweiten Weltkrieg brachte viele Deutsche erstmals in den Genuss der mediterranen Kulinarik. Und an so manchem Dia-Abend vom Lido an der italienischen Riviera hörte man abenteuerliche Geschichten vom verdorbenen Magen, an dem natürlich nur das Olivenöl Schuld sein konnte, und vom Kampf gegen diese kilometerlangen →Nudeln namens spaghetti. Als wohlerzogener Deutscher mochte man die nicht so gestenreich auf die Gabel wickeln und so geräuschvoll einsaugen, wie das die Einheimischen taten. Da wurde der Genuss einer Portion spaghetti al pomodoro nicht selten zur Geschicklichkeitsprüfung, die mit roten Flecken auf der Kleidung noch lange in Erinnerung blieb. Mancher Gast bestellte zur Belustigung des Kellners gar ein Messer, um die ungewohnt widerspenstige, weil al dente servierte pasta mit rabiaten Schnitten zu bezwingen.
Nach und nach machte sich die →Pasta-Küche, begleitet von →Pizza&Co., auch in deutschen Städten breit, in denen der eine oder andere italienische Gastarbeiter ein ristorante oder eine pizzeria eröffnete. Heute, ein paar Jahrzehnte später, haben die meisten Deutschen längst gelernt, die mediterrane ‒ und speziell die italienische ‒ Küche in ihrer Vielfalt zu schätzen. Aber immer noch gelten die Spaghetti als die typischste aller italienischen Pasta-Sorten. Und das sind bekanntlich so viele, dass man selbst in verschiedenen Regionen Italiens die gleiche Nudelvariante unterschiedlich benennt.
Aber während beispielsweise praktisch jedes italienische Restaurant in Deutschland Spaghetti Bolognese auf der Karte hat, gehören in →Bologna seit jeher tagliatelle, also Bandnudeln an das ragù aus fein geschnittenem Bratenfleisch. Das Prinzip der Formenvielfalt italienischer Nudeln, ob tagliatelle, spaghetti, fusilli, penne, orecchiette, farfalle oder wie sie alle heißen, ist einfach: es geht immer darum, mit jedem Pasta-Happen möglichst viel salsa in den Mund zu bekommen. Und welche Form das nun am besten kann? Na ja, einfach ausprobieren ‒ immer wieder und so oft es geht!
Einen eigenen Beitrag zur internationalen Bekanntheit der Spaghetti hat die ‒ neben Gina Lollobrigida ‒ wohl berühmteste aller italienischen Filmdiven mit einem viel zitierten, wenn auch nicht so recht belegten Spruch geleistet. Angesprochen auf das Geheimnis ihrer makellosen Schönheit, soll Sophia Loren mit den Händen die Formen ihres Körpers nachgefahren haben:
Das, was Sie hier sehen, verdanke ich den Spaghetti!
Den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend hatte sie in Pozzuoli nahe bei Napoli verbracht. Und die Napolitaner beanspruchen nicht nur die Urheberschaft der →pizza verace, der wahren Pizza für sich, sondern auch die der Pasta. Immerhin hat man in unmittelbarer Nachbarschaft mit →Gragnano die unumstrittene Hauptstadt der italienischen Nudeln.
Es wird erzählt, die Loren habe selbst während schwieriger Dreharbeiten keinen Tag ohne ein gutes Nudelgericht verstreichen lassen. Und sie stellte sich immer wieder gerne selbst an den Herd, um ihre Gäste zu verwöhnen. 1971 brachte sie unter dem Titel In cucina con amore ein köstliches Kochbuch heraus, indem sie die geliebte Küche der Großmutter wieder aufleben ließ. Und in vielen kleinen Anekdoten aus ihrem glamourösen Leben als Leinwandstar an der Seite von namhaften Hollywood-Größen wird das scheinbare Paradox der italienischen Kochkunst deutlich: So großartig und köstlich sich manches Gericht auch präsentiert, beruht es doch meist auf der Kombination nur ganz weniger Elemente. Aber die sind dafür von auserlesener Güte!
So ist das auch bei einer ihrer Lieblings-Zubereitungen der Fall, die als Spaghetti Sophia Loren bekannt geworden ist. In ihrem eigenen Kochbuch ist das Rezept schlicht mit Spaghetti al burro di acciuga überschrieben, mit dem man aber den Gästen eine lustige Überraschung bereiten kann. Denn man könne mit der Sardellenbutter das direkt davor notierte Gericht Vermicelli alle vongole (hauchdünne Fadennudeln mit →Venusmuscheln), ersetzen, falls man gerade keine frischen Muscheln bekommen habe.
Neben den Spaghetti, so etwa 100g pro Person, braucht es lediglich ein Päckchen Butter, ein Döschen eingelegte Sardellen, geschälte Tomaten und frischen Knoblauch. Ein anständiges Olivenöl, Zitronen, Kräuter und ein Stück gereifter →parmigiano-regiano oder →pecorino gehören eh zur Grundausstattung einer italienischen Küche.
Den ersten Schritt kann man schon lange vorher machen. Denn die Butter und die Sardellen, italienisch acciughe oder alici genannt, werden zu einem burro composto vereinigt, der sich als Vorrat im Kühlschrank recht lange hält. Dafür empfiehlt Loren →acciughe sotto sale, in salamoia (Salzlake) eingelegte Fischchen der Art Engraulis encrasicolus. Sie rät aber, die Sardellen gut zu waschen, um überschüssiges Salz zu entfernen. Alternativ lassen sich auch sott’olio, in Öl eingelegte Sardellen verwenden. Mit der zimmerwarmen Butter, dem Saft einer halben Zitrone und etwas Pfeffer werden die Sardellen jedenfalls im Mörser zu einer gleichmäßigen Paste verarbeitet. Wenn man es zwar würzig, aber nicht so fischig mag, reichen schon 4 Sardellen je 100g Butter, ansonsten erhöht man den Fischanteil eben nach Belieben. Zum besseren Portionieren stellt man die Sardellenbutter erst einmal kühl.
Der Knoblauch ‒ auch hier bestimmt der Geschmack die Menge ‒ wird fein gehackt und in etwas Olivenöl sanft angeschwitzt. Dabei aufpassen: zu stark gebräunter aglio wird unangenehm bitter. Also rechtzeitig ‒ Sophia Loren sagt quando l’aglio biondisce, wenn der Knoblauch blond wird ‒ die Tomaten dazugeben! Und die sollten richtig Geschmack haben. Auch auf unseren Märkten findet man zur richtigen Jahrezeit sehr aromatische und fleischige pomodori wie beispielsweise cuore di bue, die großen, wulstigen Ochsenherzen, oder die kleinen →pomodori Venere, bei uns Venusbrüstchen genannt. Statt wässriger, weniger geschmackvoller Treibhaus-Tomaten sollte man in diesem Fall tatsächlich eher zur Dose greifen, denn da kommen die roten Früchtchen erntefrisch und mit allen Aromastoffen hinein. Und das Schälen hat man sich auch gespart. Also, so oder so werden die Tomaten gut gesalzt und gepfeffert und mit dem Knoblauch zu einem kräftigen sugo eingekocht. Hat man sich für acciughe sotto sale entschieden, sollte man beim Sugo mit dem Salz vorsichtig sein.
Inzwischen können die Spaghetti im sprudelnden Salzwasser den gewünschten al-dente-Gargrad erreicht haben. In eine vorgewärmte Schüssel kommt nun die Sardellenbutter, rund 100g auf vier Portionen, und darauf die abgegossenen Nudeln. Zusammen mit dem Sugo und etwas gehackter Blattpetersilie werden sie gut vermengt und serviert. Den frisch geriebenen Käse gibt man zu allerletzt darüber, oder jeder Gast bestreut seine Portion selbst nach Lust und Laune.
Es gibt zahlreiche Fotografien, auf denen die große Schauspielerin mit einer üppigen Portion ihrer Lieblings-Pasta posiert ‒ und man nimmt ihr einfach ab, dass das genießerisch lachende Gesicht keineswegs nur große Schauspielerei ist!
Im gleichen Jahr, in dem ihr Kochbuch erschien, kam ein Film in die Kinos, in welchem Sophia Loren es mit einer anderen weltberühmten italienischen Spezialität zu tun hat, nämlich mit der →mortadella, dem Paradestück der salumerie (Wurstmetzgereien) von Bologna.
Unter dem Originaltitel La Mortadella spielt sie die junge Arbeiterin Maddalena, die ihrem Verlobten in die USA folgen will. Als Brautgeschenk von den Kolleginnen in der Wurstfabrik hat sie eine prächtige Mortadella im Gepäck! Damit soll der Bräutigam in seiner Pizzeria den New Yorkern echtes italienisches Lebensglück vermitteln und so den eigenen wirtschaftlichen Erfolg sichern.
Die amerikanischen Lebensmittelgesetze verbieten aber die Einfuhr, und Maddalena harrt im New Yorker Flughafen aus, weil sie sich nicht von dem Mitbringsel trennen möchte. Ihre Hartnäckigkeit führt zu köstlichen Verwirrungen, wegen des Charmes der jungen Einwanderin aber schließlich zum Happy End.
Während des unfreiwilligen Aufenthaltes im Terminal ernährt sich Maddalena von der feinen Wurst und lässt auch das Flughafenpersonal an der Köstlichkeit teilhaben. Als schließlich nur noch ein paar Hundert Gramm von dem ursprünglichen Wurstmonstrum übrig sind, ist die Zollmenge unterschritten und sie darf die USA betreten.
Auf dem Plakat zum englischsprachigen Titel Lady Liberty posiert die Loren als Freiheitsstatue. Statt der Schrifttafel trägt sie auf dem linken Arm eine pralle Mortadella und andere Würste, und die Fackel in der rechten Hand ist ersetzt durch einen großen Teller Pasta.
Spaghetti, natürlich …!