Ulis Culinaria

Gottfried Wilhelm Leibniz

*1646 Leipzig, †1716 Hannover

Keks [engl.] der od. das … kleines trockenes Feingebäck;

So steht es im Fremdwörterlexikon von Duden. Ja, der anscheinend so deutsche Begriff Keks ist tatsächlich ein Fremdwort. Wie zwischen den eckigen Klammern angezeigt wird, ist er aus dem Englischen übernommen worden.

Und das ist noch nicht einmal allzu lange her.

der Leibniz-Keks

In den 1880er Jahren arbeitete der aus →Hannover stammende Kaufmann Hermann Bahlsen eine zeitlang in London. Dort lernte er als wichtigen Teil der britischen Lebensart natürlich auch die tea time kennen. Und zum gepflegt servierten Tee reicht man gerne kleine, trockene butter biscuits, die man auch scones oder cakes nennt. Gerne schneidet man diese Mini-Kuchen auf und füllt sie mit Konfitüre und clotted cream.

Der Plural stellt hier gleichzeitig die Verkleinerungsform von englisch cake für Kuchen dar. Zurück in Hannover, begann Bahlsen, den Brauch der Teestunde und das dazugehörige Kleingebäck in Deutschland zu einem Geschäftsmodell zu machen. 

Nachdem er die englischen Cakes anfänglich importierte, kam ihm die Idee, sie selbst herzustellen. Immerhin kauften die Engländer das Weizenmehl für ihre Cakes auch in Frankreich und Deutschland ein ‒ warum also sollte er den Rohstoff erst in gebackener Form quasi reimportieren?

cakes → Keks

1889 gründete Bahlsen die Hannoversche Cakesfabrik. 1891 brachte er den Leibniz-Butterkeks auf den Markt, der seinen Betrieb explosionsartig wachsen ließ. Das Englische hatte sich seinerzeit noch nicht mit Anglizismen in Deutschland breit gemacht, sodass viele Menschen das Wort cakes entsprechend der deutschen Phonetik aussprachen, also ‚ka-kes. Das von Bahlsen erfundene phonetische Kunstwort Keks kam immerhin der englischen Aussprache schon näher und wurde tatsächlich ‒ siehe oben! ‒ 1911 vom Duden in den deutschen Wortschatz übernommen. Ab 1912 wurde das Firmenschild Hannoversche Cakesfabrik ersetzt durch H.Bahlsens Keks-Fabrik.

Für die Benennung seines Butterkekses nach Gottfried Wilhelm Leibniz könnte Bahlsen mehrere Gründe gehabt haben. Obwohl in Leipzig geboren, wird Leibniz gerne von den Hannoveranern quasi als Sohn ihrer Stadt vereinnahmt. Schon als Kind hatte sich Leibniz in der umfangreichen Bibliothek seiner Eltern ein beachtliches Wissen und ‒ autodidaktisch! ‒ Kenntnisse in Griechisch und Latein angeeignet. Nach dem Studium von Theologie, Philosophie und Juristerei erwarb er sich mit diversen Schriften, Forschungs- und Lehrtätigkeiten in verschiedenen Ecken Europas einen guten Ruf in der Welt der Wissenschaften. 1676 engagierte ihn Herzog Johann Friedrich als Bibliothekar und Hofrat nach Hannover. Noch heute versammeln sich Gäste der nach Leibniz benannten Universität von Hannover im Leibnizhaus, wo auch ein Museum an den Gelehrten erinnert.

Universalgenie und Humanist

Leibniz beschränkte sich freilich nicht auf die bloße Verwaltung der Hofbibliothek, sondern weitete sein Tätigkeitsfeld ständig aus und wird heute zu Recht als Universalgelehrter, von vielen gar als Universalgenie angesehen. Er konstruierte diverse Rechenmaschinen und wandte das Dualsystem aus den Zahlen 1 und 0 an. Obwohl für den Theologen Leibniz die 1 für Gott und die 0 für das Nichts stand, legte der Mathematiker Leibniz damit bereits die Grundlagen der binären Computer-Betriebssysteme. Er verfasste historische und naturwissenschaftliche Abhandlungen und gilt als Mitbegründer der heute gültigen Sprachwissenschaft. Und mit seinen philosophischen und gesellschaftspolitischen Ideen zur Überwindung nationaler und religiöser Grenzen, zur Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen wird er heute als Vordenker der Aufklärung gesehen.

Ein wenig von dieser Haltung hat auch Hermann Bahlsen gegenüber seinen Arbeiterinnen und Arbeitern bewiesen, deren Zahl um 1900 schon mehrere Hunderte betrug, gut zehn Jahre später rund anderthalb Tausend. Beispielsweise entwickelte er bereits Systeme einer betrieblichen Renten- und Krankenversicherung. Nach dem Ersten Weltkrieg entwarf er in Zusammenarbeit mit Architekten Pläne für eine futuristische 17.000-Einwohner-Siedlung, in der seine Angestellten mit ihren Familien wohnen und arbeiten sowie kulturelle, sportliche und andere Bildungs- und Freizeiteinrichtungen genießen sollten. Dieses TET-Stadt (s.u.) genannte Vorhaben wurde allerdings 1919, im Todesjahr von Hermann Bahlsen, ad acta gelegt.

Leider haben sich die Nachfahren des Firmengründers nach dem Zweiten Weltkrieg weniger sozial gezeigt, als das Unternehmen wegen der Beschäftigung von Zwangsarbeitern während des Nazi-Regimes zur Rechenschaft gezogen werden sollte …

göttliche Mathematik

Leibniz war kein lebensfremder Studierstuben-Theoretiker, sondern arbeitete auch an ganz praktischen Problemen wie z.B. an mechanischen Verbesserungen für den Bergbau. Auch um Methoden einer effizienten Kriegsführung machte er sich Gedanken, konzipierte beispielsweise ein U-Boot. Unter anderem schlug Leibniz vor, einen nahrhaften und wegen seiner Trockenheit haltbaren Zwieback als Standard für das Marschgepäck des Heeres einzuführen.

Schon mit dieser Idee ergibt sich eine erste Verbindung zu Bahlsens Leibniz-Keks: auch hier handelt es sich um ein Gebäck, das wegen seiner Trockenheit praktisch unbegrenzte Aufbewahrungsdauer versprach. Schon der französische Begriff biscuit besagt ja nichts anderes, als dass der Teig zweimal gebacken wurde (auch, wenn das bei der in der Konditorei üblichen Biskuit-Masse nicht mehr der Fall ist). Zusätzlich verpackte Bahlsen die Kekse in luftdichte, beschichtete Alufolie, seinerzeit ein revolutionäres Material.

Um die Haltbarkeit seiner Produkte zum Ausdruck zu bringen, entwickelte Bahlsen wenig später ein Firmenlogo mit einem historischen Bezug, der Leibniz sicher gefallen hätte: Friedrich Tewes, der Leiter der hannoverschen Bibliothek, also quasi ein Nachfolger von Leibniz, schlug nach einer Ägyptenreise seinem Freund Bahlsen vor, die altägyptische Hieroglyphe djet zu verwenden. 

Unendlichkeit als Markenzeichen

djet

Die grafische Kombination aus Oval, Halbkreis und einer Schlange steht für unendliche Beständigkeit.

 

In dem von 1903 an bis heute verwendeten Logo stehen über der stilisierten Hieroglyphe, als phonetische Übertragung von djet, die drei Großbuchstaben TET.

Der rechteckige, nur wenige Millimeter dicke Leibniz-Keks ist an den Ecken von je einem rundlichen Zahn begrenzt. Dazwischen befinden sich an den Längsseiten je 14, an den kurzen Seiten je 10 kleinere, abgerundete Zähnchen ‒ also insgesamt 52. Bahlsen wirbt noch heute damit, dass nur ein Leibniz-Butterkeks mit den 52 Zähnen das Original sei. Auf der Unternehmens-Website zitiert man stolz die Jury, die dem Feingebäck auf einer Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893 eine Goldmedaille zuerkannt hatte: Leibniz-Cakes wird in ähnlicher Form von der Konkurrenz unter anderem Namen nachgemacht; der feine Buttergeschmack ist indes nur diesem Fabrikate eigen.

Original oder Imitat ...?

Da war die Jury wohl nicht ganz korrekt informiert. Denn bereits fünf Jahre, bevor man in Hannover in den ersten Leibniz-Cakes beißen konnte, brachten im französischen Nantes die Bäckerei-Besitzer Jean-Romain Lefèvre und seine Gattin Pauline-Isabelle Utile einen kleinen biscuit auf den Markt, den sie Petit-Beurre tauften. Und seit 1886 bis heute unverändert sieht das Gebäck so aus: Dünn, rechteckig, mit zweimal 14 und zweimal 10 Zähnchen plus 4 rundlichen Ecken! Lediglich in zwei Details unterscheidet sich das französische vom hannoverschen Gebäck.

Während die reliefartige Beschriftung der Oberseite bei Lefèvre-Utile (heute unter dem Markenzeichen LU jedem Franzosen ein Begriff) LU PETIT-BEURRE NANTES lautet, liest man auf dem Bahlsen-Produkt LEIBNIZ-BUTTERKEKS. Und die Oberfläche des Kekses weist bei Bahlsen 15 kleine, nadelstichartige Löcher auf (3 x 5), während es bei LU 24 (4 x 6) sind.

Diese Einstiche dienen allerdings weder bei LU noch bei Bahlsen der Verzierung, sondern haben einen backtechnischen Zweck: Um einen möglichst trockenen Keks mit knusprigem Biss zu erhalten, soll in der Ofenhitze das im Teig enthaltene Wasser möglichst vollständig als Dampf entweichen können.

Umgekehrt weisen deshalb Kekse, bei denen ein zarter Biss gewünscht ist, eine geschlossene Oberfläche ohne Einstiche auf.

Aber selbst in diesen kleinen Einstichen steckt Symbolik.

Lefèvre-Utile hat von Beginn an den Véritable Petit-Beurre, den wahren kleinen Butterbiscuit, mit folgender Symbolik beworben: Die vier Ecken stehen für die vier Jahreszeiten, die insgesamt 52 Zähnchen für die Wochen des Jahres und die 24 Dampflöchlein für die 24 Stunden des Tages. 

gebackene Symbolik

Schade nur, dass der Gelehrte Leibniz zu früh und nicht in Nantes gelebt hat. Denn diese zeitumspannend-mathematische Symbolik hätte ihm ‒ neben dem genussvollen süßen Geknabber beim Studieren dicker Bücher ‒ sicher auch Spass gemacht!

Glückskeks

Schon in Reiseberichten aus dem Japan des 19.Jhs. wird von der Sitte berichtet, den Gästen eines Mahles zum Abschluss ein tsujiura senbei, ein hohl gebackenes kleines Gebäckstückchen zu servieren. Darin befand sich ein omikuji, ein auf ein Papierstreifchen geschriebener Weissagungs-Spruch. Solche Orakel-Lotterieen sind bis heute in Japan in verschiedenen Formen beliebt. Selbst an so manchem buddhistischen Tempel stehen Omikuji-Automaten …!

Mit Auswanderern kamen die frühen Glückskekse über den Pazifik an die Westküste Nordamerikas, wo man sie vor allem in chinesischen Restaurants bekam. Aus der ursprünglich japanischen Erfindung wurde so eine chinesische Sitte, die sich als solche später auch in Europa verbreitete.

Scherzkeks

Im Englischen heißen die gebackenen Glücksbringer fortune cookies. Auch hier geht das deutsche Wort Keks also auf den englischen Begriff für ein kleines Gebäckstückchen, für einen kleinen Kuchen zurück.

Manchmal wird auch ein Mensch, dem ohne eigenes Verdienst das Glück in den Schoß fällt, als Glückskeks bespöttelt – oder auch beneidet …

Und wenn jemand die manchmal witzigen, aber doch meist sinnfreien Sprüche auf den eingebackenen Zettelchen zum Maßstab seines eigenen Humors erhebt, wird er schon mal abfällig-mitleidig zum →redensartlichen Scherzkeks.

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts veröffentlichte die Firma Bahlsen das Rezept für eine Kombination von Butterkeksen mit einer Creme aus Kokosfett und Kakao, wohl um den Absatz der Kekse zu beflügeln. Da die Kastenform, in die man die Kekse mit der schaumig geschlagenen Creme schichtete, an die Transport-Loren erinnerte, die unter der Bezeichnung Hunt im Bergbau rollten, bekam die süße Zubereitung den Namen Kalter Hunt. Es dauerte allerdings nicht lange, bis daraus der Kalte Hund wurde.

Die Kälte ist nötig, um die Creme erstarren zu lassen. Wenn das kuchenartige Gebilde dann aus dem Kühlfach geholt und aus der Form gestürzt wird, beschlägt die fast schwarze Oberfläche leicht wie die feuchte Nasenspitze eines Hundes, weshalb manche es als Kalte Schnauze genießen.

Kalter Hund

Kalte Schnauze

Lukullus

Wenn man vor dem Erkalten noch Mandelsplitter in die Schokolade steckt, wird aus dem Kalten Hund ein Kalter Igel. Vor dem Anschneiden wird der Kuchen mit Kuvertüre überzogen.

Und da Kakao und Schokolade noch bis in die Wirtschaftswunder-Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als besonderer Genuss galten, hat sich ein unbekanntes Schleckermaul irgendwann an den altrömischen Feinschmecker Lucius →Lucullus erinnert und den Kekskuchen Lukullus getauft. Unter diesem Namen war er nicht nur bei Kindergeburtstagen beliebt, kam aber (leider) mit dem zunehmenden Massenangebot an Schokoriegeln und ähnlichen mundgerechten Süßigkeiten etwas aus der Mode.