Als eines der besten Restaurants des zur Weltstadt aufstrebenden New York der ersten Hälfte des 19.Jhs. galt das Delmonico’s im Stadtteil Manhattan. Das Haus war 1837 von den italienischschweizerischen Brüdern Pietro und Giovanni Delmonico gegründet worden. Eine Blütezeit erlebte es, nachdem 1862 der seinerzeit schon international renommierte französische Koch Charles Ranhofer die Leitung der Küche übernahm.
In diesen Jahren soll ein gewisses Ehepaar LeGrand Benedict zu den Stammgästen des Hauses gehört haben. In keiner der vielen Quellen ist Näheres über die Herrschaften zu erfahren, nur, dass Mr. LeGrand Benedict in Finanzgeschäften am noch jungen Börsenstandort Manhattan zu Wohlstand gekommen war. Regelmäßig sei er jedenfalls mit seiner Gattin im Delmonico’s zum brunch erschienen, jener ausgedehnten Kombination von breakfast und lunch.
Ja, und wie das so kommen kann, wenn man sehr häufig im selben Restaurant speist: Man kennt die Karte irgendwann von vorne bis hinten und wünscht sich etwas Abwechslung. So soll Mrs. LeGrand den Küchenchef Ranhofer eines Tages gebeten haben, sich bezüglich der als Rühr- oder Spiegel-Version servierten Eier doch mal was Neues einfallen zu lassen. Das Ergebnis fand offensichtlich nicht nur Frau LeGrand Benedict überzeugend. Denn das, was Ranhofer da auftischte, hat sich längst als Eggs Benedict zu einem Brunch- und Vorspeisen-Klassiker der internationalen Küche gemausert.
Auf deutschen Karten heißt das Gericht Eier Benedict, im Küchenfranzösischen Œufs Bénédicte. In seinem erst 1894 erschienenen Kochbuch The Epicurean hielt Ranhofer sein Rezept als Eggs Benedick fest.
Zur Benennung des Eiertoasts wird alternativ erzählt, erst gegen Ende des 19.Jhs. habe ein nach durchzechter Nacht verkaterter Börsenmakler namens Samuel (in manchen Quellen auch Lemuel) Benedikt im New Yorker Hotel Waldorf Astoria die Komposition zum Frühstück bestellt. Dem Küchenchef habe die Idee dann so gut gefallen, dass er das Katerfrühstück in seine Brunch-Karte übernahm ‒ und dabei den wohl genesenen Gast namentlich geehrt.
Auf eine völlig andere Erklärung des Namens weist die französische Benennung Œufs (à la) bénédictine hin: Das Armutsgelübde des katholischen Benediktinerordens habe sich u.a. darin manifestiert, dass eine Mahlzeit oft nur aus Wasser und altbackenem Brot bestand. Nur zu besonderen Anlässen habe man sich den bescheidenen Luxus gegönnt, das karge Mahl mit gebackenen oder gekochten Eiern etwas aufzuwerten. Und dieses klösterliche Festmahl sei Vorbild des modernen Eiertoasts.
Gegen diesen etymologischen Versuch spricht allerdings, dass die Benennung erst im 19.Jh. auftaucht, also zu einer Zeit, in der die gesellschaftliche – und auch küchen-geschichtliche – Bedeutung der Mönchsbruderschaften längst weitgehend verschwunden war.
Wie auch immer, Ranhofer hat die Eier weder gebraten noch gekocht, sondern
Diese Zubereitungsweise wird im Deutschen auch mit verlorene Eier bezeichnet. Es geht darum, ein aufgeschlagenes, also seiner schützenden Kalkschale beraubtes Ei in heißem Wasser zu garen.
Das Wort pochieren leitet sich ab vom französischen poche für Tasche, nach dem Pochieren soll also das gestockte Eiweiß das flüssige Eigelb umhüllen wie eine Tasche (*). Im Englischen übernimmt man den französischen Begriff als poached eggs.
Um dem Ganzen eine möglichst kompakte Form zu verleihen, darf das Eiweiß sich nicht in Fransen aufteilen, bevor es fest wird. Das Wasser darf deshalb nicht sprudelnd kochen, sondern nur bewegungslos bei ca. 80°C simmern. Das Stocken des Eiweißes wird unterstützt, indem dem Wasser zuvor statt des üblichen Salzes ein Schuss Essig zugegeben wird. Für manche Rezepte werden die Eier in Fleisch-, Gemüse- oder sonstiger Brühe pochiert, um ihnen von Anfang an Würze zu verleihen.
Um den richtigen Zeitpunkt für das Herausfischen der Eier zu erwischen, also bei festem Eiweiß um ein flüssiges Eigelb, braucht es etwas Übung. Ein Nachgaren des Dotters wird verhindert, wenn man das pochierte Ei mit der Siebkelle kurz in Eiswasser taucht.
Für ein schönes, kompakt pochiertes Ei kursieren in der Kochliteratur – ob gedruckt oder online – verschiedenste Tricks. Ich habe hier drei herausgesucht, die ich nicht nur für praktikabel halte, sondern die ich auch selbst schon angewandt habe – mit Erfolg!
Entgegen dem, was oben steht, wird das heiße Wasser absichtlich in Bewegung versetzt: Mit dem Kochlöffel bringt man es, sobald es kurz vor dem Siedepunkt steht, zum raschen Rotieren, wobei sich in der Mitte ein Strudel bildet. In diese Vertiefung lässt man nun das Ei vorsichtig aus einer Tasse oder aus einer Schöpfkelle gleiten. Bis die Strudelwirkung, die das Ei zusammenhält, nachlässt, sollte das Eiweiß genügend Festigkeit gebildet haben.
Die Eier werden in einer Suppen- oder Saucenkelle pochiert. Diese sollte aus Metall sein, denn sie wird ins siedende Wasser gestellt, bis sie dessen Temperatur angenommen hat.
Dann lässt man das Ei in die etwa halb mit dem heißen Wasser gefüllte Kelle gleiten, die man dann solange mit ihrem Rand auf Höhe der siedenden Wasseroberfläche hält, bis die Eiweiß-Tasche die gewünschte Stabilität hat.
Hier macht man die Suppenkelle quasi zu einem kleinen →Bain Marie.
Bei diesen beiden Methoden kann immer nur eine Pochierportion nach der anderen ins Wasser gegeben werden, da der Strudel mehrere Eier natürlich in seiner Mitte zusammenziehen würde, und für den zweiten Trick bräuchte man mehrere Kellen und entsprechend viele Hände. Will man mehreren Gästen gleichzeitig pochierte Eier servieren, kann es eng werden, denn ein längeres Warmhalten eines frisch pochierten Eies ist, im Gegensatz zum in der Schale gekochten Ei, ohne Qualitätsverlust kaum möglich. Immerhin lassen sich größere Portionen mit Pochier-Zwillingen oder auch -Drillingen zubereiten, wenn man dementsprechend 2 bzw. 3 Eier gleichzeitig in die Kelle bzw. in den Strudel gibt.
Um mehrere Eier-Portionen gleichzeitig zu pochieren, hilft ein dritter Trick.
Dazu lässt man die aufgeschlagenen Eier einzeln (oder auch wieder zu zweit oder zu dritt) auf ausreichend große Stücke kochfester Folie gleiten, die nun zu Beutelchen zusammengebunden werden. Damit die Eier nicht auseinanderlaufen, drückt man die Folie vorher in eine Tasse oder in ein Schälchen. Beim Verschließen der Beutelchen sollte man darauf achten, dass möglichst wenig Luft im Inneren bleibt. Gleichzeitig ist behutsames Vorgehen angesagt, damit die Eigelbe unversehrt bleiben. Dann bilden sich schöne kugelige Beutel, die gleichzeitig ins Pochierwasser versenkt und dann – nach dem Entfernen der Folie – mehreren Gästen gleichzeitig serviert werden können.
Auch hier sollte man das Nachgaren durch ein kurzes Bad im Eiswasser stoppen.
Obwohl die namensgebende Tasche dabei keine Rolle mehr spielt, wird der Begriff pochieren inzwischen in der Küchensprache auch auf Lebensmittel angewandt, bei denen es wegen ihrer Empfindlichkeit darauf ankommt, dass sie beim Garen nicht ihre Fassung verlieren.
Z.B. Fische mit besonders zartem Fleisch, die in der Pfanne spätestens beim Wenden zerfallen würden, lässt man gerne sanft unter dem Siedepunkt in einem Sud garziehen.
Auch bei manchem zarten Gemüse wie Spargel & Co.bietet sich das Pochieren an.
Das Fleisch vieler Früchte ist sehr hitzeempfindlich, weshalb z.B. die berühmte Birne →Helene gerne in gewürztem Sirup oder Weinsud pochiert wird.
Ein solch zartes Gebilde wie ein pochiertes Ei lässt sich am ehesten ohne Platzen der Eihülle servieren, wenn man es auf eine – getoastete – Brotscheibe oder ein aufgeschnittenes Brötchen gleiten lässt. Der Teig fängt dann schon einen Teil des Eigelbs auf, das ausläuft, wenn der Gast den Toast anschneidet.
Küchenchef Ranshofer servierte dem Ehepaar LeGrand Benedict die poached eggs auf einem halbierten english muffin. In den USA bezeichnet man so, in Unterscheidung zu dem in der Papiermanschette gebackenen Minikuchen namens muffin, ein Weizen-Hefeteigbrötchen ohne spürbare Kruste. Heute kommen häufig die ebenfalls weichen buns zum Einsatz, die beim Fast Food dem Hackfleisch-Burger als Verpackung dienen. In Frankreich bieten sich die in jeder Bäckerei erhältlichen →brioches an.
Jedenfalls hat Ranhofer beide Hälften des quer geteilten Gebäcks in der Pfanne mit Butter angeröstet, bevor er sie mit jeweils einer kross gebratenen Scheibe bacon und einem perfekt pochierten Ei belegte. Zum Schluß nappierte er das Ganze mit sauce hollandaise. Wenn der Gast den Toast nun anschneidet, läuft das cremige Eigelb aus der Eiweißhülle und vebindet sich mit der Holländischen Sauce. Der geröstete Muffin und der Frühstücksspeck bilden dazu einen knusprigen Kontrast.
Natürlich hat dieses einfache Grundrezept immer wieder Abwandlungen erfahren. Einige von ihnen haben es sogar zu eigenen Namen gebracht. So werden, um nur wenige Variationen zu nennen, aus den Eiern Benedikt durch Zugabe von gut schmelzendem Käse eggs/œufs Mornay (→Mornay). Die Liebe der Küche in →Florenz zu Spinat zeigt sich bei eggs florentine. Und wenn der Speck durch (Räucher-)Lachs ersetzt wird, werden die Eier als royal geadelt. Zur fruchtig-saftigen Ergänzung kommen häufig noch ein, zwei kleine angeschmolzene Tomaten auf den Teller.
Ein großer Kollege von Ranhofer, Auguste →Escoffier, hat seine Version der œufs bénédicte in seinem Buch Ma cuisine (1934) festgehalten. Er ersetzt den Muffin durch brandade de morue, ein Mus aus zerstoßenem Stockfisch, das in seiner provençalischen Heimat und besonders in →Nîmes beliebt ist. Das Rezept lautet knapp: Œufs pochés sur un lit de brandade de morue truffée; napper les œufs de sauce crème! (Pochierte Eier auf einem Bett von getrüffeltem Stockfischmus. Mit Sahnesauce nappieren!). Escoffier verfeinert also das Stockfischmus noch mit frisch gehobelten Trüffelspänen. Übrigens hat sich Escoffier, genauso wie Ranshofer mit seinem Kochbuch, gerne auf den altgriechischen Genussphilosophen →Epikur berufen …
Im altehrwürdigen Restaurant des Delmonico’s (manche sagen sogar, dem ältesten von NY!) lässt man offen, ob nun das Ehepaar LeGrand Benedict oder Mr. Lemuel Benedict Namensgeber des legendären Toasts waren – Konkurrenz belebt die Legendenbildung, und diese wiederum das Geschäft …!
So mancher Tourist kommt eigens hierher, um die originalen Eggs Benedict zu genießen. Wie Billy Oliva, der Chefkoch, in einem interessanten →Interview von 2019 erklärt, bereitet aber auch er eine leicht veredelte Variante zu.
Zwei rund ausgestochene, getoastete Scheiben Brioche werden mit gegrilltem Black Forest Ham belegt. Darauf kommen zwei pochierte Eier. Die hollandaise sauce aromatisiert er mit vinegar und Worcestershire-Sauce. Als Dekoration kommen oben drauf noch ein, zwei Löffelchen Kaviar und ein paar frisch gehobelte Späne von weißer Trüffel.
Eine solche feine Version der Benedict-Eier bekommt man leider selten, und dann hat sie natürlich ihren Preis.
Pochierte Eier lassen sich nicht vorbereiten, sondern müssen à la minute zubereitet werden. In so manchem Lokal bekommt man deshalb stattdessen wachsweich aus der Schale gepellte Eier. Da tut es dann auch als Ersatz für den kross gebratenen bacon eine ziemlich geschmacksneutrale Scheibe von Formschinken. Und die Sauce Hollandaise kann doch locker durch Mayo aus der Tube ersetzt werden …
Mag ja auch satt machen, aber den Namen Benedict hat so etwas wirklich nicht verdient.
In der guten deutschen Kneipenkultur gibt es ein Gericht, das den Eiern Benedict bezüglich der Grundkomponenten Ei, Brot und Schinken ähnelt: Der Stramme Max.
Bei diesem bildet eine in Butter angebratene Scheibe von kräftigem Bauernbrot die Unterlage, und beim Schinken wird, wie im Delmonico’s, gerne Schwarzwälder oder ein ähnlicher Rohschinken genommen.
Die Eier werden allerdings nicht pochiert, sondern zum Spiegelei gebacken.
Aber im Idealfall fließt hier ebenso beim Anschneiden ein noch flüssiges Eigelb quasi als Sauce über den Schinken und das Brot.
Trüffel und Kaviar als Deko wären hier deutlich overdressed, da passt zum Beispiel eine herzhafte Essiggurke viel besser!