Ulis Culinaria

Marjorie King

*1911, †1998 Baltimore

Schon lange vor der Landung des Seefahrers Cristoforo Colombo in Mittelamerika berauschten sich die Azteken im Gebiet des heutigen Mexiko gerne an einem noch heute beliebten Getränk, das sie ixtac octli nannten. Dazu vergoren sie das zuckerhaltige Fruchtfleisch der ursprünglich nur in Mittelamerika heimischen Agaven, einer Pflanzengattung aus der Familie der Spargelgewächse, zu einem mit rund 3 bis 6% recht schwach alkoholhaltigen Gebräu, dem pulque. Die spanischen Eroberer Mittelamerikas wollten es dagegen etwas kräftiger und begannen, das Fruchtfleisch zu brennen, was eine Spirituose von rund 40-50 Vol.-% Alkohol ergab.

Mezcal

Feuriges aus der Agave

Das saftreiche Fruchtfleisch der Agaven, das den Rohstoff der Destillation darstellt, befindet sich im Herz der Pflanze. Dieser ballonförmige Kern, der bis zur Erntereife gut 8 Jahre braucht, wurde von den Ureinwohnern Mexikos mezcal genannt, Mondhaus. Und dieses Wort aus der Sprache Nahuatl übernahmen die Spanier als Überbegriff für alle Agavenbrände, egal, aus welcher der zahlreichen Unterarten der Pflanze sie gewonnen wurden. Das Agavenherz wird auch piña genannt. Das spanische Wort bezeichnet wegen ihrer Formähnlichkeit sowohl einen Pinienzapfen als auch eine Ananas-Frucht. (Die gleiche Assoziation gibt übrigens auch das englische Wort pineapple für die Ananans wieder.)

Mondhaus und Kiefernzapfen

Agaven-Ernte
Piñas
Erdofen

Die Piñas werden in Erdöfen zusammen mit heißen Steinen für ein bis zwei Tage vergraben und im eigenen Dampf weichgekocht. Der zuckrige Saft wird anschließend herausgepresst und vergärt nach Zugabe von Hefe während einer Zeit von ein, zwei Wochen. Die Maische erhält hierbei aus dem Zucker einen Alkoholgehalt von 6 bis 7% und wird in der Regel zwei mal durch den Destillierapparat geschickt.

In den großen Brennereien der Mezcal-Marktführer sind die Erdöfen längst modernen, schnelleren Dampfdruck-Anlagen gewichen.

Einer der auch international bekanntesten Mezcals ist der Tequila, der allein aus der Unterart Agave tequilana gebrannt wird. Den Namen hat sie von der nordmexikanischen Stadt Tequila, in der schon um 1600 die in der Umgebung wachsenden agave azul (deutsch: Blaue Agaven) in größerem Stil zur Schnapsbrennerei genutzt wurden. So wird die Sorte wegen der blaugrünen, von einer schimmernden Wachsschicht überzogenen Stachelblätter genannt (Foto oben).

Tequila, König der Mezcals

Für einfache Tequilas mit der Kennzeichnung mixto müssen lediglich 51% des zum Brennen verwendeten Fruchtfleischs von der blauen Agave stammen. Für Kenner kommen allerdings nur die Brände der Kategorie 100% Agave azul in’s Glas. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal ist die Farbe. Ein Tequila blanco oder plata/silver ist farblos, da er direkt von der Brennblase aus in die verkaufsfertige Flasche abgefüllt wird. Die Klassifizierung eines leicht cognac-farbenen Tequilas als reposado/aged besagt, dass er mindestens zwei Monate in einem Eichenfass gelagert wurde. Bei einem añjejo/extra-aged gehen Farbe und Aromen des Eichenholzes während mindestens einem Jahr in den Brand über, und bei extra- añjejo/ultra-aged sind es mehr als 3 Jahre. Ein oro oder golden auf dem Etikett zeigen an, dass der Tequila seine goldene Farbe lediglich durch Verschnitt von weißem mit gealtertem Brand oder durch Zusatz von Zuckercouleur erhalten hat.

Tequila Sunrise

Tequila-Liebhaber in Mexico schwören auf den puren Genuss eines 100% Agave azul, dessen Aromen am ehesten in einem bauchigen Glas, beispielsweise in einem Cognac-Schwenker, und bei Raumtemperatur zur Entfaltung kommen.

Völlig verpönt ist in Mexico – zumindest bei den guten Tequila-Sorten – der international zur Sitte gewordene Ritus, zunächst etwas Salz aus der Kuhle zwischen Daumen und Zeigefinger zu lecken, dann den Tequila in einem Schluck zu kippen und schließlich in eine Zitronen- oder Limettenspalte zu beißen. Lediglich in Tourismusorten hat sich diese Methode breit gemacht.

Internationale Bekanntheit erlangte der Agavenbrand allerdings als Basis-Spirituose für zwei Cocktails, die in Bars weltweit längst als Klassiker gelten. Da ist zum einen der Tequila Sunrise, bei dem das leuchtende Orangerot des Sonnenaufgangs im Glas durch kunstvolles Aufgießen des Tequilas mit Orangensaft und Grenadine (Granatapfelsirup) entsteht.

Die zweite internationale Berühmtheit heißt Margarita. Dieser Cocktail wird zur Gruppe der Sours gezählt, bei denen eine Spirituose mit Zitronensaft und Zucker gemischt wird. Bei der Margarita wird der Zucker durch einen Triple Sec ersetzt, die meisten Bartender verwenden Curaçao. Dieser herb-süße Orangenlikör wurde nach der gleichnamigen, nördlich von Venezuela gelegenen Insel benannt, ist aber eher unter den französischen Markennamen Cointreau oder Grand Marnier bekannt. Vor dem Einschenken des Drinks aus dem Shaker wird der angefeuchtete Glasrand in Salz gestippt, sodass man beim anschließenden Nippen jedesmal etwas Salzgeschmack mitbekommt. Hiervon hat sich wohl die oben erwähnte Manier des vom Handrücken geleckten Salzes abgeleitet.

Margarita

Kind der Prohibition

Als Standard-Mischung gilt: 1 Teil Triple Sec, 1 Teil Limettensaft und 2 Teile Tequila. Die zitronengelbe mexikanische Limette ist saftiger und weniger herb als die hier bekannte grüne Limette und wird von vielen Barkeepern bevorzugt. Und welche Sorte des Agavenbrandes nun am besten geeignet ist ‒ tja, da scheiden sich die Bartender-Geister noch immer …

Vieles spricht dafür, dass die Margarita in den Jahren zwischen 1920 und 1933 erfunden wurde, in denen die Prohibition in den USA jeglichen Alkoholgenuss verbot. Gerne fuhren damals Südstaatler und an der mexikanischen Grenze stationierte GI’s in’s südliche Nachbarland, um dort preisgünstig zu speisen und ihren Alkoholbedarf zu decken (→Cardini). Oft wird ein mexikanischer Barkeeper namens Carlos Herrera genannt, der den Cocktail dem US-amerikanischen Revue-Girl Marjorie King gewidmet habe. Die auch durch B-Movies mit erotischem Touch bekannt gewordene Dame soll in seinem Rancho la Gloria in der Nähe von Tijuana öfters zu Gast gewesen sein. Herrera habe den englischen Vornamen dann einfach ins Spanische übersetzt.

Es existieren neben dieser Namenslegende noch ein paar Variationen, denen zufolge beispielsweise auch eine gewisse Margarita Carmen Cansino als Taufpatin fungiert haben soll, die in den 1930er Jahren eine steile Filmkarriere unter dem Namen Rita Hayworth startete. Der Barbesitzer Herrera wird mit wechselnden Vornamen zitiert, und so mancher seiner mexikanischen Berufskollegen hat versucht, die Erfindung des Margarita für sich zu reklamieren.

Margarita bedeutet auf spanisch auch das Gänseblümchen. Und schon Jahre vor dem Genuss der ersten Cocktail-Margarita wurde ein ähnlicher Drink in den USA als Tequila Daisy serviert. Daisy ist nicht nur ein weiblicher Kosename, den zum Beispiel die Geliebte des Comic-Erpels Donald Duck trägt, sondern steht englischsprachig auch für das mit den Margeriten verwandte Gänseblümchen. Daisy wird abgeleitet von day’s eye, was wörtlich Tagesauge bedeutet, aber auch eine schöne Perle bezeichnet ‒ womit wir beim Ursprung des Namens Margarethe wären. Wenn das gut gekühlte, gelblich-grün schimmernde Getränk das Glas an der Außenseite leicht beschlagen lässt, kann die Assoziation mit dem Lüster einer edlen Muschelperle den Genuss einer Margarita tatsächlich beflügeln!

Gänseblümchen und Perlmuscheln

Und wer würde sich wohl ‒ ohne den unsterblich gewordenen Cocktail ‒ an die angebliche Namensgeberin Marjorie King noch erinnern …?