Ulis Culinaria

Joseph Joffre

*1852 Rivesaltes, † 1931 Paris

Im Zentrum der rumänischen Hauptstadt Bukarest liegt das altehrwürdige Hotel Casa Capşa. Das Haus wurde 1868 von drei Brüdern der Familie Capşa gegründet, und Grigore, der Jüngste, hatte in Frankreich das Konditorenhandwerk erlernt. Vor allem seine süßen Kunstwerke machten die Casa Capşa zu einer weit über die Grenzen Rumäniens hinaus bekannten Adresse. Nach dem Zweiten Weltkrieg versank das Hotel/Restaurant in einen Dornröschenschlaf, aus dem es erst durch die gesellschaftlichen Umwälzungen von 1989 geweckt wurde. Auch die Pâtisserie-Tradition hat man wiederbelebt, sodass der Gast im hoteleigenen Café wieder eine beachtliche Auswahl an süßen Verführungen vorfindet. Und ganz oben auf der Kuchen-Karte steht die Tort Joffre.

Tort Joffre

Die Torte soll ein namentlich nicht bekannter Nachfolger von Grigore im Jahr 1920 kreiert haben. Damals weilte Joseph Joffre im Auftrag der französischen Regierung in Bukarest, um dem rumänischen Volk und seinem König Ferdinand I. Dank und Verehrung für die im Ersten Weltkrieg erwiesene Bündnistreue abzustatten. Nachdem der Gast, der sich während des Krieges als Maréchal de France, als Oberbefehlshaber des französischen Heeres verdient gemacht hatte, den Rumänen feierlich das Croix de Guerre überreicht hatte, lud der König zum Ehrendiner in die Casa Capşa ein. Der Chefkonditor des Hauses ließ es sich nicht nehmen, Marschall Joffre, der in Rumänien ebenso als Kriegsheld verehrt wurde wie in seiner Heimat, ein besonderes Dessert namentlich zu widmen. Und nicht nur Joffre selbst war geschmeichelt. Die französische Delegation nahm das Rezept mit, sodass die Torte in Frankreich bald als Gâteau Joffre die Pariser Cafés eroberte.

Dabei handelt es sich um eine eigentlich recht einfache Torte aus schokoladebraunem Biskuit, gefüllt mit einer Ganache und von glänzender Kuvertüre überzogen. Die Ganache ist eine Mischung aus heller oder dunkler Kuvertüre und Sahne, die in der Konditorei vielfältige Anwendungen findet. Sie hat ihren Namen angeblich dem Missgeschick eines französischen Lehrlings zu verdanken, der versehentlich heiße Sahne über Schokolade verschüttete und daraufhin von seinem Meister als ganache, als Dummkopf beschimpft wurde. Nachdem sich das Ergebnis des dummen Fehlers aber als sehr brauchbare Creme herausstellte, wurde daraus eine der wichtigsten Grundzubereitungen der Süßbäckerei. Hier kommt sie als Füllung zwischen die zwei oder drei Lagen des aufgeschnittenen Biskuits. Auch die Decke und die Außenseite der Joffre-Torte können, statt mit reiner Kuvertüre, mit der Ganache glasiert werden. In manchen Rezepten wird die Ganache mit reichlich Butter verfeinert, was sie zur Buttercreme werden lässt.

Gâteau Joffre

Gelegentlich liest man, der Konditor des Hotels Capşa habe den von französischen und rumänischen Soldaten im Ersten Weltkrieg getragenen Adrian-Helm als formales Vorbild für seine Kreation im Sinn gehabt. Allerdings sieht man die Torte nie in der typischen Kuppelform dieses Stahlhelms. Wenn überhaupt, könnte aber das képi gemeint sein, mit dem Joffre auf vielen Fotografien oder auch auf der hier abgebildeten kriegerischen Postkarte zu sehen ist und das man bis heute als Teil der französischen Paradeuniformen kennt. Diese zylindrische, trommelförmige Kopfbedeckung gleicht durchaus dem Kuchen, wenn er hoch genug aufgebaut wurde. Auch die mal schwarze, mal dunkel rot-braune Farbe passt, lediglich der Schirm an der Stirnseite fehlt. Manchmal wird die Kuvertüre-Hülle mit Schokoladengirlanden aus dem Spritzbeutel verziert, die an die goldenen Kordeln eines echten Képi erinnern.

Adrian-Helm
Képi (frz. Polizei)

Die Tort Joffre gehört heute zum Standardrepertoire rumänischer Konditoreien. Ob man das Gebäck nun, wie die Franzosen, als gâteau, also als Kuchen klassifiziert oder, wegen der Ganache und der Glasur, als Torte, ist eine rein fachliche Frage. Wahrscheinlich verschwenden die wenigsten Café-Gäste daran einen Gedanken. Und ebenso wenige werden noch an den französischen Feldherrn oder an irgendwelche militärischen Kopfbedeckungen denken, wenn sie – einfach nur genießen.

Und das ist doch gut so!