20. Jh.
Hast du auch schon einmal in einem Flugzeug auf der üblichen Reisehöhe von rund 10.000m eine Mahlzeit als fade, ja direkt geschmacklos empfunden? Das muss nicht etwa an Flugangst oder an grundsätzlichem Unvermögen der Catering-Köche liegen. Denn dass die Umstände in einem Flugzeug das Geschmacksempfinden schwächen, ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Im Wesentlichen liegt es wohl an der Luft, die aus der Eiseskälte von außerhalb angesaugt und dann auf Zimmertemperatur aufgewärmt wird. Dabei wird die Luftfeuchtigkeit derart reduziert, dass unsere Mundschleimhäute austrocknen. Und die Geschmackspapillen auf Zunge und Gaumen benötigen Feuchtigkeit, um auf geschmackliche Reize von Speisen reagieren zu können.
Der sprichwörtlich bei Fluggästen beliebte, weil mit Salz und Pfeffer gut geschärfte Tomatensaft ist das Paradebeispiel für den Versuch, trotzdem etwas Geschmack in den Mund zu bekommen. Natürlich sind auch die langen Transportwege der vorbereiteten Gerichte von der Cateringküche bis zum Platz des Passagiers mit Warte- und Aufwärmphasen verbunden, die das auf Jedermanns-Geschmack abgestimmte Essen nicht gerade würziger werden lassen. Aber gegen die atmosphärischen Ursachen des Geschmacksverlustes versuchen immer mehr Fluggesellschaften mit wissenschaftlicher Hilfe, küchentechnische Alternativen zu finden. In Testreihen hat man festgestellt, dass vor allem die Geschmacksrichtungen süß und salzig unter den Flugbedingungen leiden.
Da lag der Mitarbeiter eines schwedischen Flug-Caterings wohl intuitiv gar nicht so falsch, als er schon in den 1950er Jahren ein Gericht entwickelte, bei dem besonders Salzgeschmack, Süße und zusätzlich Schärfe zur Geltung kommen. Der Name des Herrn ist als Ove Jacobsson überliefert, mehr Informationen sind nicht zu finden. Aber sein Rezept wurde um 1957 in der schwedischen Kulinaria-Zeitschrift Allt om Mat (Alles rund um’s Speisen) unter dem Namen Flygande Jacob veröffentlicht, zu deutsch Fliegender Jakob. Im Englischen, der internationalen Fliegersprache, Flying Jacob.
Dabei ist Hähnchenfleisch, die Hauptzutat, nicht unbedingt als besonders geschmacksintensiv bekannt. Aber Ove löste das Fleisch immerhin aus, nachdem er das Hähnchen gut gewürzt und gegrillt hatte. Besonders, wenn dabei die Haut dranbleibt, entwickelt die intensive Hitze schon einmal kräftige →Röstaromen. Das ausgelöste Fleisch schnitt er in mundgerechte Stücke und legte sie in eine feuerfeste Form. Darauf drapierte er ein paar in Scheiben geschnittene, gut gereifte und deshalb zuckersüße Bananen.
Das alles bedeckte er mit einer Mischung aus geschlagener Sahne und einem dank Chili feurigen Ketchup. Als Abschluss streute er gesalzene und geröstete Erdnüsse sowie scharf angebratene Würfelchen von salzigem Räucherspeck darüber. Somit hatte er, ohne die heutigen Testergebnisse zu kennen, deren Erkenntnisse hinsichtlich der am stärksten beeinträchtigten Geschmäcker Süße und Salz vorweggenommen. Die Kombination von Süße mit Salz bzw. Schärfe ist in der skandinavischen Küche seit jeher sehr beliebt.
Die Form schob er in den vorgeheizten Backofen, sodass die Geschmacksnoten beim Gratinieren zusätzlich intensiviert wurden. Küchentechnisch ist es natürlich kaum möglich, einen überbackenen Auflauf wie den Flygande Jacob in den flugüblichen Portionstellern anzurichten, wenn das Ganze auch auf dem Klapptischchen im Flugzeug noch appetitlich aussehen soll. Aber wenn es um die flugtaugliche Umsetzung schwieriger Rezepte geht, sind Catering-Köchinnen und -Köche sehr kreativ …
Herr Jacobsson hat, so erzählt man, das Gericht auch garnicht für Fluggäste erfunden: Überrascht von ein paar Freunden, die sich kurzfristig bei ihm zum Essen eingeladen haben, soll er auf die Schnelle auf das zurückgegriffen haben, was er gerade vorrätig hatte – also ein weiteres Beispiel für ein Rezept aus Zufall. Und in die Zeitschrift Allt om Mat sei es gekommen, weil einer dieser Freunde dort als Redakteur arbeitete. Und der habe mit der Benennung des Gerichtes Herrn Jacobsson vom Bodenpersonal in die Flug-Crew befördert.
Dafür ist das Gericht in Schweden inzwischen auch auf sehr niedriger Flughöhe, also am heimischen Tisch, äußerst beliebt, ja fast zu einem Klassiker der Landesküche geworden. Manchmal wird das Hähnchen durch Schwein oder Kalb ersetzt, und bekanntlich verträgt sich die Süße von Bananen auch mit würzigem Curry-Pulver bestens. Sehr gut passt dazu Reis als Beilage.
Wenn statt der Bananenscheiben Ananasstückchen und statt der Chili-Sahne ein mit Pfifferlingen aromatisierter dicker Schmand über das Fleisch kommen, nennen schwedische Feinschmecker die Zubereitung Flygande Lotta.
Und wer war nun Lotta …?!